Hinter Gittern sitzt seit gestern ein 19-Jähriger Cottbuser: Der Rechtsextremist hatte gemeinsam mit zwei anderen Tätern am vergangenen Wochenende im
Stadtzentrum einen 16-Jährigen überfallen (die RUNDSCHAU berichtete). Gegen
einen weiteren Mann, 20 Jahre alt, wurde ebenfalls Haftbefehl erlassen. Auf
Weisung der Staatsanwaltschaft wurde ein Dritter wegen geringer
Tatbeteiligung vorläufig aus dem Polizeigewahrsam entlassen.
Nach Auskunft von Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Rupieper erging der
Haftbefehl wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Der
gestern inhaftierte Mann sei im Februar schon einmal verurteilt worden. Zur
Tatzeit am Sonnabend habe er unter Alkoholeinfluss gestanden. «Ihn erwartet
eine Haftstrafe im Rahmen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.» Der
zweite Beteiligte, gegen den die Staatsanwaltschaft Haftbefehl beantragte,
halte sich derzeit an unbekanntem Ort auf — die Polizei sucht nach ihm. Der
Dritte habe das Opfer nur einmal angerempelt, sei deshalb von der Polizei
vorläufig entlassen worden.
Für Polizeisprecher Berndt Fleischer ist der Vorfall ein Beispiel «für die
zunehmende Verrohung unter Jugendlichen» : Die Täter, junge Männer aus der
rechtsradikalen Szene, hatten den Jugendlichen geschlagen, getreten und
schließlich auf ihn uriniert, als er am Boden lag. Zehn weitere Jugendliche
schauten unbeteiligt zu, nur ein Mädchen erklärte sich später zur
Zeugenaussage bereit — für Fleischer eine schockierende Tatsache. «Heute hat
doch fast jeder Jugendliche ein Mobiltelefon, mit dem er kostenfrei den
Polizeinotruf alarmieren kann. Das wäre auch in diesem Fall richtig
gewesen.»
Als Indiz für das Erstarken der Rechtsextremen wertet Martina Münch vom
Cottbuser Aufbruch den Überfall. «Das ist sicher keine Einzeltat.» Zwar sei
das dreiste Vorgehen der Schläger, ihr Opfer am helllichten Tag und vor
Zeugen zu verprügeln, ungewöhnlich. Drohungen und Rempeleien rechtsradikaler
Täter seien aber permanent zu beobachten. Bedenklich findet Münch das
Verhalten der umstehenden Jugendlichen, die dem Opfer weder halfen noch die
Polizei riefen. «Die Jugendlichen verhalten sich nicht anders als der Rest
der Gesellschaft.» Die meisten Leute würden wegsehen, wenn in ihrer Umgebung
jemand Opfer von Gewalttaten wird. «Wir hatten nach den letzten Fällen in
Cottbus gehofft, dass ein Stimmungswandel eingetreten sei» , sagt Münch
bedauernd. Um so wichtiger sei es nun, dem Opfer und anderen Jugendlichen zu
zeigen, dass sie nicht allein sind. Der Cottbuser Aufbruch wolle zur Familie
des 16-Jährigen in den nächsten Tagen Kontakt aufnehmen, um ihr Mut zu
machen. Dazu müsse aber auch eine wirkungsvolle Verfolgung der Täter
einsetzen. «Verschweigen bringt solche Vorfälle nicht aus der Welt.»
Es geschehe immer wieder, dass Zeugen eingeschüchtert werden — diese
Beobachtung macht Amtsgerichts-Direktor Wolfgang Rupieper. Oft passiere es,
dass eine Aussage zurückgezogen werde, weil die Zeugen Drohanrufe erhielten
oder zerstochene Reifen an Auto oder Fahrrad vorfänden. Viele Jugendliche
hätten Angst und würden Plätze meiden, an denen sich rechte Schläger
treffen. «Für uns ist es dann schwer, die Taten nachzuweisen» , sagt
Rupieper. «Ohne Zeugen lässt sich eine Tat vor Gericht nicht
rekonstruieren.» Aussage stehe so gegen Aussage — der Täter werde
schließlich auf freien Fuß gesetzt. «Diese Gruppen schaffen sich einen
rechtsfreien Raum» , befürchtet der Amtsgerichts-Direktor. «Wir sind auf
Zeugen angewiesen.» Um Aussagewillige vor Verfolgung durch den rechten Mob
zu schützen, könnten die Strafverfolger Zeugen eine gewisse Anonymität
zusichern.