Eine Woche lang hüllte sich der Lausitzer Bundestagsabgeordnete Henry
Nitzsche (CDU) zu seinem Wahlkampfmotto, das auch die NPD benutzt, in
Schweigen. Jetzt gab er eine Erklärung ab, die wenig erklärt. Seine Partei
stärkt ihm den Rücken. Die Rechtsextremisten freuen sich.
Es ist schon spät am Dienstagabend, als im Saal des Schlosses von
Hoyerswerda lang anhaltender Beifall ertönt. Etwa 70 CDU-Anhänger aus der
Region bejubeln ihren Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche aus Oßling bei
Kamenz. Der hat am Rande einer Partei-Veranstaltung sein Wahlkampfmotto
«Arbeit, Familie, Vaterland» verteidigt. Auf jeden einzelnen Begriff geht er
ein, kaum jedoch darauf, was ihm Kritiker vorwerfen: Dass dieses Motto vom
französischen Vichy-Regime geprägt wurde, das mit Nazideutschland
kollaborierte bis hin zur Judendeportation, und dass die rechtsextreme NPD
unter dieser Losung ihren Bundesparteitag 2004 abhielt.
Eine Null in Geschichte
«Ich bin eine Null in französischer Geschichte, ich kenne Petain, aber nicht
Vichy und nicht die Zusammenhänge» , verteidigt sich Nitzsche mit
«Geschichtsdummheit» . Der NPD, die den Zusammenhang öffentlich gemacht
hatte, werde er den Begriff «Vaterland» nicht überlassen. Nur mit Paul
Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, will
Nitzsche reden. Bisher habe er ihn jedoch noch nicht erreicht. Spiegel hatte
den Abgeordneten aufgefordert, sein Wahlkampfmotto wegen der historischen
Belastung zu ändern.
Nachfragen zu der von ihm im Schlosssaal von Hoyerswerda vorgelesenen
Erklärung lehnt der CDU-Abgeordnete ab. «Es ist alles gesagt» , ruft er eine
m Mann entgegen, der ihn zur Diskussion auffordert. Dann geht Nitzsche.
Vereinzelte Pfiffe und Buh-Rufe lassen ihn kalt. Am Wochenende hatten der
sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt und sein Amtsvorgänger Kurt
Biedenkopf (beide CDU) Nitzsches Slogan verteidigt. Das gibt ihm
offensichtlich Kraft.
Gestern Vormittag in Kamenz. Auf dem Marktplatz bauen Funktionäre der
rechtsextremen NPD Sonnenschirm und Campingtisch mit Werbematerial auf. Vor
dem sanierten Rathaus der Stadt drücken sie Passanten ihre Infoblätter in
die Hand. Nicht jeder nimmt sie an. Im Wahlkreis
Kamenz-Hoyerswerda-Großenhain will nicht nur Henry Nitzsche in den
Bundestag, sondern auch Holger Apfel, stellvertretender NPD-Chef in Sachsen
und Fraktionschef im Landtag.
NPD-Anhänger aus dem Mittelstand
Apfel kommt zur Mittagszeit mit Bodyguards in einer schwarzen Limousine
vorgefahren. Der NPD-Funktionär, der im Landtag schon mal die Fassung verlor
und den sächsischen Innenminister als «Arschloch» bezeichnete, ist trotz
Nieselregens an diesem Vormittag guter Laune. Nitzsche habe geholfen, «dass
Themen wie Volk, Nation und Heimat wieder gesellschaftsfähig werden» , freut
sich Apfel. Die politischen Inhalte, die die NPD verkörpere, müssten in der
Gesellschaft verankert werden, das sei langfristiges Ziel.
Bei Mario Ertel hat diese Verankerung offensichtlich schon funktioniert. Der
selbstständige Kfz-Lackierer aus Kamenz ist einer der wenigen Passanten, die
länger an dem NPD-Schirm vor dem Rathaus stehen bleiben. Ertel, in
blütenweißem T‑Shirt und roter Latzhose, ist NPD-Anhänger, daraus macht er
keinen Hehl. In seinem Bekanntenkreis sei er auch nicht der Einzige,
versichert er.
Das sei die einzige Partei, die deutsche Interessen vertritt, begründet er
seine Affinität zu der braunen Truppe. Er schimpft über «die Menge an
Ausländern» im Land und die EU-Osterweiterung. «Dass über einen EU-Beitritt
der Türkei überhaupt diskutiert wird, ist absurd» , sagt der
Handwerksmeister.
Türkei-Erklärung zurückgezogen
Das verbindet ihn offensichtlich mit Henry Nitzsche. Der hatte 2003 wegen
abfälliger Äußerungen über Muslime bundesweit unrühmliche Schlagzeilen
gemacht. Im Oktober 2004 wetterte auch er in einer Mitteilung an die Presse
gegen Gespräche mit der Türkei über den EU-Beitritt. Erneut war er in der
Wortwahl nicht zimperlich.
Vom Auflösen des deutschen Volkes und der Abschaffung des christlichen
Abendlandes war die Rede, von einem drohenden €päisch-asiatischen
Wirrwarr gegensätzlicher Kulturen. Mit dem rüden Satz «Ich untersage Ihnen
hiermit die Veröffentlichung dieses Artikels» und einer nachgeschobenen
Bitte um Verständnis, zog Nitzsche seinen Text kurz darauf per Fax zurück.
Eine Erklärung für die verbale Entgleisung blieb er schuldig.
Mario Ertel, der NPD-begeisterte Kamenzer Handwerker, verteidigt Henry
Nitzsche im aktuellen Streit um dessen belastetes Wahlmotto: «Der hat
vollkommen Recht, aber Nitzsche ist ein einsamer Rufer in der Wüste. Der
endet wie Hohmann.» Martin Hohmann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Hessen,
war vor einem Jahr wegen antisemitischer Äußerungen von den Christdemokraten
aus der Partei ausgeschlossen worden.
“Unerträgliche Provokation”
Auf dem Kamenzer Marktplatz erntet die NPD jedoch nicht nur Sympathie wie
von Mario Ertel oder Gleichgültigkeit wie von vielen Passanten. Ein Kamenzer
bietet den Ultrarechten offen die Stirn. «Was Sie hier machen, ist
unerträglich» , sagt er. «Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier sind, in
Kamenz, in der Stadt von Lessing.» Noch immer ist er empört, dass die NPD am
Montag mit einem Kleinflugzeug, ein Werbebanner im Schlepp, über dem
Marktplatz kreiste, während dort unten der Blumenkorso des alljährlichen
Forst-Festes vorüberzog. «Das war eine Provokation» , schimpft der Kamenzer,
der aus seiner Abneigung gegen Rechtsextremisten keinen Hehl macht.
Auch an einer Massenschlägerei am vorigen Wochenende auf dem Heimatfest
waren nach seiner Beobachtung Rechtsradikale beteiligt. «Das waren Ihre
Anhänger, die da gepöbelt und sich geprügelt haben» , hält er einem NPD-Mann
vor. Doch der will lieber über Globalisierung reden.
Auch Kurt Jannaschk ist an diesem Vormittag auf dem Kamenzer Marktplatz
unterwegs. Das Wahlblättchen der NPD steckt der Rentner ein, um sich zu
informieren, wie er sagt. Wählen würde er die NPD nicht. Dass der örtliche
CDU-Abgeordnete Henry Nitzsche mit einem Wahlmotto antritt, unter dem sich
schon die NPD versammelt hat, kritisiert er. «Das gefällt den Leuten nicht,
das sollte er ändern. Wir haben ihn ja schließlich gewählt.» Nachdenklich
fügt er hinzu: «Das hätte ich ihm eigentlich gar nicht zugetraut.»