NEURUPPIN “Der Bericht des Flüchtlingsrates muss ganz vorsichtig bewertet werden”, erklärte gestern Landrat Christian Gilde (SPD). Der Rat hatte die Lebensbedingungen im Neuruppiner Asylbewerberheim kritisiert.
Der Bericht von Dominique John decke nicht die Einschätzung der Verwaltung, so Gilde. Doch der Landrat erklärte auch, “noch nicht aussagefähig” zu sein. Es müssen erst Gespräche initiiert werden, weil viele der beteiligten Personen “nicht einbezogen wurden”. Die Sozialamtsleiterin des Kreises, Sabine Schmidt, empfand den Bericht “erschütternd”. Auch weil, “wir die Gesundheits- und Brandschutzkontrollen verstärkt haben”, so Frau Schmidt. Dass “straffere Kontrollen” eingeführt wurden, bestätigte auch Gilde. Die Zusammenarbeit mit Heimbetreiber Karl Wiesemann habe sich zudem “enorm” verbessert. Er sei umgänglicher geworden. “Dazu habe ich eine andere Meinung”, sagte Eckhard Häßler. Er gehört zu einem Arbeitskreis, der den “Beschwerden und Protesten” der Bewohner nachgeht. Mehr wollte Häßler nicht sagen. Die Gleichstellungsbeauftragte des Kreises, Marlies Grunst — ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis -, war trotz mehrmaliger Versuche gestern nicht zu erreichen. Sabine Schmidt weiß aber: “Hinsichtlich der sozialen Betreuung muss etwas gemacht werden.”
Karl Wiesemann wies die Vorwürfe des Flüchtlingsrates zurück und auf ein Protokoll vom Mobilen Team der Migrations- und Heimberatung (MBH) hin, das seine Einrichtung loben würde. Das jüngste Protokoll ist vom 6. September dieses Jahres. Ganz so positiv stellt sich der Zustand allerdings nicht dar. Die Ausstattung der Wohnfläche sowie die Mindestanzahl von Toiletten und Waschbecken sind gewährleistet. Timo Wonkoy von der MBH hat allerdings auch festgehalten, dass nur 30 statt erforderliche 60 Kochplatten den Bewohnern zur Verfügung stehen. “Bei fehlenden Kochplatten hat der Betreiber versichert, das sie im Keller vorhanden sind und demnächst angeschlossen werden”, schrieb Wonkoy in seinem Bericht. Des weiteren lag die Anzahl von elf Duschen mit vier Stück unter der Mindestanforderung. Wonkoy schrieb außerdem: “Außensicht und Außenanlagen/Spielplatz sind in einem sauberen und ordentlichen Zustand.” Einen Eindruck vom Zustand der Innenräume gab er in seinem Protokoll nicht.
Wiesemann erklärte außerdem zu Johns Bericht: “Der weiß doch nicht, wovon er spricht”. Das ist schwer zu glauben. John arbeitete jahrelang in der Forschungsanstalt für Flucht und Einwanderung in Berlin, besuchte und begutachtete Flüchtlingsheime in Ost€pa. Das Asylbewerberheim in Neuruppin war auch nicht das erste, das er in Deutschland besuchte. Dominique John sagte: “Ich habe auch schon schlimmere Heime gesehen als in Neuruppin.” Und weiter: “Ich habe den Eindruck, dass dort ein hartes Regime geführt wird.” Er glaube aber nicht, dass bei der Leiterin Margitta Dauksch und Sozialarbeiter Klaus Randahn “eine rassistische Einstellung” herrsche. Auch John habe im Heim verunsicherte Menschen vorgefunden. Das System sei darauf angelegt, “abschreckend zu wirken”. Die Probleme würden nach Plan gelöst, Flexibilität gäbe es nicht, so Dominique John. Und: “Ich habe natürlich auch ein Interesse an Gesprächen.”
Auch beim Kreistagsabgeordneten Wolfgang Freese (Bündnisgrüne) liegt der Bericht des Flüchtlingsrates auf dem Tisch. Bisher hat er “noch nicht reagiert”. Freese: “Aber verschiedene Leute wollen sich bald selbst ein Bild vor Ort machen.”
Asylbewerberheim: Mut zum Sprechen
Kommentar von RA-Redakteur Daniel Hübner
Ausländer haben es in Deutschland nicht leicht. Viele leben in Angst davor, von Rechtsradikalen angegriffen zu werden. Man sollte denken, ein Asylbewerberheim ist eine sichere Zufluchtsstätte. Doch auch dort sind die Menschen eingeschüchtert. Es fehlt ihnen offenbar die Courage, für die eigenen Rechte zu kämpfen. Am Montag traf ich im Neuruppiner Heim auf solche verängstigten Menschen, die zum Teil verstanden, was ich sie fragte. Erkundigte ich mich nach ihrem Wohlergehen, schauten sie misstrauisch — nach dem Motto Darf ich antworten? Offensichtlich nicht.
Plötzlich hieß es: “Versteh nicht.” Was ist los in dem Asylbewerberheim? Welche Maßnahmen und Bedingungen sind die Bewohner ausgesetzt? Proteste soll es geben. Am Montag waren sie verstummt. Kein Herankommen. Egal, ob es jetzt Gespräche geben wird. Und egal, wie fruchtbar diese sein werden. Fakt ist: Um die Probleme der Menschen hinterfragen zu können, müssen die Menschen selbst zu Wort kommen. Zu diesem Heim gehört ein rat der Bewohner, der sich deren Gefühlen und Wünschen annimmt und diese gegenüber Verwaltung oder Arbeitskreis vertritt. Nur wer sich nicht alleine sieht, wird den Mut finden, seine Sprachlosigkeit zu überwinden.
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