Mehrere hundert Menschen gedachten in Potzlow mit einem Trauermarsch des ermordeten Jungen
POTZLOW. “Hat Gott Potzlow von seiner Landkarte gestrichen? Es ist ein Ort des Schreckens geworden”, sagt eine Jugendliche am Sonntag während des Gottesdienstes in dem uckermärkischen Dorf. Mehrere hundert Menschen sind in die Gemeindekirche gekommen, um des von Rechtsradikalen ermordeten 17-jährigen Marinus Schöberl zu gedenken. Die Leiche des seit Sommer vermissten Schülers war am vergangenen Montag in einer ehemaligen Jauchegrube auf dem verfallenen LPG-Gelände am Rande des Ortes gefunden worden.
Wut macht sich breit
“Die Sprache versagt, wenn ihre Träger mit der Wucht des Leides konfrontiert werden”, versucht Gemeindepfarrer Johannes Reimer die Gefühle der Potzlower in Worte zu fassen. “Die Mitglieder der Gemeinde weinen und schreien vor maßlosem Leid, unbändiger Wut und unsagbarer Enttäuschung.”
Die Sozialarbeiterin Petra Freiberg, die das Kinder- und Jugendzentrum im benachbarten Strehlow leitet, sagt unter Tränen, sie empfinde in den letzten Tagen Wut, Trauer und Sinnlosigkeit. Einer der mutmaßlichen Täter, der 17-jährige Marcel, hatte im August Arbeitsstunden in ihrem Jugendklub abzuleisten. “Damals trug er das Wissen um die entsetzliche Tat und die Schuld schon mit sich”, sagt die Sozialarbeiterin.
Am 12. Juli hatten Marcel, sein 23-jähriger Bruder und ein weiterer 17-Jähriger Marinus Schöberl in einer Wohnung misshandelt, ihn dann zum LPG-Gelände gelockt, mit einem Stein erschlagen und die Leiche vergraben. Die Tat wurde erst Monate später entdeckt: Nachdem die drei im Freundeskreis mit der Tat geprahlt hatten, gruben Jugendliche an der beschriebenen Stelle, entdeckten die bereits skelettierte Leiche und informierten die Polizei.
“Die Begehungsweise der Tat ist so schrecklich, dass es sich verbietet, die Details in der Öffentlichkeit zu nennen”, hatte der leitende Neuruppiner Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher nach den ersten Geständnissen der Täter gesagt. Nur der Älteste der Festgenommenen schweigt bislang. Er soll — so schreibt das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” — Mitte November gegen Zahlung von 25 Euro zwei Bekannte zu dem Ort geführt haben, an dem er Monate zuvor die Leiche verscharrt hatte. Als er das tote Opfer gefunden hat, soll er mit einem Beil auf den aus der Grube ragenden Schädel geschlagen haben. Unbegreiflich ist, warum Marinus sterben musste: Den mutmaßlichen Tätern soll die Hose des 17-Jährigen und dessen blond gefärbtes Haar nicht gepasst haben.
Nach dem Gottesdienst setzt sich langsam ein Schweigemarsch in Richtung Tatort in Bewegung. Am Rande des LPG-Geländes haben Jugendliche aus dem Ort ein Holzkreuz errichtet, auf dem der Name des 17-Jährigen eingebrannt ist. Dort legen Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und viele Potzlower Kränze und Blumen nieder. Einige Anwesende weinen. Platzeck ermuntert die Jugend- und Sozialarbeiter des Ortes, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen. “Die Arbeit der letzten Jahre war nicht umsonst, trotz dieses schrecklichen Verbrechens.”
Platzeck besuchte Eltern
Der Ministerpräsident sagt den Eltern des getöteten Jungen, die er nach der Gedenkfeier besuchen wollte, und den Jugendlichen, die die skelettierte Leiche fanden, Hilfe zu. “Ich hoffe, dass jetzt mehr Leute die Augen öffnen”, sagt Bürgermeister Peter Feike, “und dass sie mehr miteinander sprechen.”
Beerdigt werden soll Marinus in den nächsten Tagen.