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Ein Lachen im Haus des Täters

Am Rande des KZ Sach­sen­hausen ließ sich der Inspek­teur der deutschen Konzen­tra­tionslager von Häftlin­gen eine Vil­la erricht­en. Heute eröffnet hier eine Jugend­begeg­nungsstätte. Der Leit­er der Gedenkstätte ver­spricht ein buntes poli­tis­ches Bil­dung­spro­gramm — und frische Denkanstöße gegen rechts. 

In der Vil­la des KZ-Inspek­teurs riecht es nach frischem Holz und Farbe. Auf dem Kamin liegen Krepp­ban­drollen neben Fan­ta-Flaschen, im Foy­er stapeln sich Kloschüs­seln. Handw­erk­er wuseln durch die Räume. Die Sonne bricht durch staubige Scheiben. Viel Zeit bleibt nicht bis zur Eröff­nung am Sam­stag. “Das schaf­fen wir schon”, macht Gün­ter Morsch sich Mut. “Die Architek­ten haben uns ver­sichert, dass sie das Haus bis zur Ein­wei­hung besen­rein übergeben”, sagt der Leit­er der Gedenkstätte Sach­sen­hausen. Jahre­lang hat er um die Vil­la gekämpft, da wer­den ein paar fehlende Leis­ten jet­zt nicht die Stim­mung verderben. 

Es ist die Vil­la von Theodor Eicke, dem Inspek­teur der NS-Konzen­tra­tionslager, in der heute die Jugend­begeg­nungsstätte Haus Szczy­p­i­ors­ki” eröffnet. Ein grau ver­putztes Gebäude inmit­ten herb­stlich gefärbter Eichen. Ein Haus, von dessen Balkon aus man auf die Barack­en des ehe­ma­li­gen KZ Sach­sen­hausen blickt. Jenes KZ am Rande Berlins, das 1936 als “Muster­lager” der SS gebaut wurde. 

In den Räu­men des Schreibtis­chtäters Eicke wer­den kün­ftig Jugend­grup­pen aus aller Welt und Schulk­lassen über die Ver­brechen der Nazis debat­tieren. In dem parkähn­lichen Garten wer­den sie Vol­ley­ball spie­len, am ver­fal­l­enen Brun­nen über Gott und die Welt plaud­ern. Aber geht das über­haupt? An einem Ort, an dem Drangsalierung, Folter und massen­hafter Mord ver­wal­tet wur­den? Gedenkstät­ten-Chef Morsch ist sich sich­er, dass das funk­tion­iert. “Wir haben diesen Ort als Chance begrif­f­en”, sagt der 54-Jährige, der auch die Stiftung Bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten leit­et. “Ler­nen am authen­tis­chen Ort” nen­nt er das. Auch ganz per­sön­lich habe er seit 1994 den Plan vor­angetrieben, aus der Täter­vil­la eine Jugend­begeg­nungsstätte zu machen. Im Deutschen Jugend­her­bergswerk (DJH) fand er einen Part­ner, der sich um den Unter­halt des Haus­es küm­mern kon­nte. Im Sep­tem­ber 2005 schließlich stand er mit Über­leben­den des KZ und dem pol­nis­chen Botschafter vor der Eicke-Vil­la: Der erste Spaten­stich zum Umbau war getan. 

67 Jahre vorher, 1938, waren es Häftlinge des KZ, die die Inspek­teursvil­la erricht­en mussten. Ein herrschaftlich­es Haus sollte es sein: Kamine, Par­kett aus Eiche, zwei mächtige Balkone. Das Are­al hat­te sich Eicke schon beim Auf­bau des Lagers frei­hal­ten lassen: ein mehrere Fußballfelder großes Grund­stück in einem Eichen­hain. Mit sein­er Frau und der Fam­i­lie sein­er Tochter wohnte Eicke hier, zum Lager ritt er auf dem Pferd. 

Nicht weit hin­ter Eick­es Garten­mauer standen die Barack­en der Gefan­genen. Über 200.000 Men­schen waren in Sach­sen­hausen interniert, mehrere zehn­tausend star­ben an Folter, Erschöp­fung oder Krankheit. Allein im Herb­st 1941 ließ die KZ-Leitung mehr als 10.000 sow­jetis­che Kriegs­ge­fan­gene in ein­er Genickschus­san­lage hinrichten. 

Eicke, Chef der SS-Totenkopfver­bände, hat­te Sach­sen­hausen als “Muster­lager” der deutschen KZ erricht­en lassen. Sein Chef Hein­rich Himm­ler war beein­druckt von den vielfälti­gen Ideen, wie man die Häftlinge in Schach hal­ten kon­nte: durch gegen­seit­iges Ausspie­len der Gefan­genen­grup­pen, durch den bedin­gungslosen Drill der Wach­leute. Dass man ihn zum Inspek­teur des Konzen­tra­tionslager­we­sens ernan­nt hat­te, war auch der Dank dafür, dass Eicke per­sön­lich den SA-Führer Ernst Röhm ermordet hat­te. Seine steile Kar­riere endete im Feb­ru­ar 1943 — mit dem Abschuss seines Kampf­fliegers in Russland. 

Viel wird es nicht sein, was in der Jugend­begeg­nungsstätte noch an den SS-Mann Eicke erin­nert. In küh­lem Türkis wur­den die Zwei- und Vier­bettz­im­mer der Her­berge gestrichen, im Keller find­et sich eine Mediathek mit Com­put­ern und Vide­olein­wand. “Wir woll­ten einen Ort des Ler­nens ohne emo­tionale Über­wäl­ti­gung”, sagt Gün­ter Morsch. Und Mar­cus Hirschberg, Medi­en­ref­er­ent des DJH Berlin-Bran­den­burg, bekräftigt: “Hier darf auch mal gelacht werden.” 

Wer genau hin­schaut, wird allerd­ings die geschichtliche Dimen­sion des Haus­es erken­nen: “Ernesto”, “John”, “Vos­sel” und viele andere Namen ste­hen in zartem Grau an den Wän­den des Zim­mers zur Ter­rasse. Namen von Häftlin­gen, die im KZ ihr Leben ließen. Für jede Nation­al­ität der Opfer ein Name. “Natür­lich zieht die Geschichte mit ins Haus ein”, weiß Morsch. An der Mauer, die die Her­berge umgibt, hän­gen Infor­ma­tio­nen über Eicke, im Trep­pen­haus bauen die Handw­erk­er Vit­ri­nen auf, die vom neuen Namensge­ber des Haus­es, Andrzej Szczy­p­i­ors­ki, erzählen. 

Der Schrift­steller war Über­leben­der des KZ und bemühte sich zeitlebens um die Aussöh­nung von Deutschen und Polen. Noch zum 50. Jahrestag der Befreiung von Sach­sen­hausen sprach er hier. Szczy­p­i­ors­ki war, schwärmt Stiftungs-Chef Morsch, “ein Mann, der über nationale Gren­zen und konkrete his­torische Phasen hin­weggedacht hat.” 

Szczy­p­i­ors­ki statt Eicke — die Vil­la des Täters wird den Opfern zurück­gegeben. Der Ver­band der über­leben­den KZ-Insassen, das Inter­na­tionale Sach­sen­hausen-Komi­tee, hat­te sich wieder­holt für den Erhalt des Haus­es und für eine jugend­kul­turelle Nutzung aus­ge­sprochen. Auch war es 1997 an der Bil­dung eines Ini­tia­tivkreis­es beteiligt, der sich dieses Ziel auf die Fahne schrieb. Lan­desju­gen­dring, Kirchen, Gew­erkschaften, Anti­ras­sis­musvere­ine — sie alle woll­ten die Begeg­nungsstätte und fin­gen an, in der Vil­la zu werkeln. Wände wur­den gestal­tet, Türen aus­gewech­selt, Gelän­der gestrichen. “Hier sind bes­timmt 70 Jugend­grup­pen, beson­ders aus der Berufs­bil­dung, ein und aus gegan­gen”, erin­nert sich Morsch. 

Es war vielle­icht die let­zte Chance, den Ver­fall des Haus­es zu stop­pen. Fünf Jahre nach Ende des Zweit­en Weltkriegs wurde das Gebäude noch von der Volk­spolizei als Lazarett benutzt, später von der NVA, dann stand es leer. Erst 1993 sanierte die Gedenkstätte Sach­sen­hausen das Dach der Vil­la, vier Jahre später kamen die jun­gen Handw­erk­er des Ini­tia­tivkreis­es. Kurz vor der Eröff­nung waren sie hier nicht mehr anzutr­e­f­fen — den let­zten Schliff gaben Profis dem Haus. 

Zwis­chen Staub und Schutt ent­standen 32 Über­nach­tungsplätze. 1,25 Mil­lio­nen Euro kostete die Sanierung, finanziert vom Bun­des­fam­i­lien­min­is­teri­um und der Lan­desregierung Bran­den­burg. Das let­zte Drit­tel kam vom DJH. “Wir sind auf aus­drück­liche Bitte der Lan­desregierung die Koop­er­a­tion mit der Gedenkstätte einge­gan­gen”, sagt Thomas Seerig, Vor­standsvor­sitzen­der des DJH Berlin-Bran­den­burg. Das Her­bergswerk unter­hält bere­its auf dem Gelände des ehe­ma­li­gen KZ Ravens­brück zusam­men mit der Gedenkstätte eine Jugendunterkunft. 

“Inhaltlich lohnt sich die Her­berge auf jeden Fall, finanziell weniger”, sagt Seerig. Aber man ste­he gesellschaftlich in der Pflicht: “Dass man poli­tisch aktuell arbeit­en muss, sieht man doch an den Wahlergeb­nis­sen für NPD und DVU. Vielle­icht kann die Beschäf­ti­gung an den Täterorten etwas in den Köpfen der Men­schen verändern.” 

Gün­ter Morsch sieht das ganz ähn­lich: Tol­er­anz und Weltof­fen­heit wolle man den jugendlichen Besuch­ern sein­er Her­berge ver­mit­teln. Das Bil­dungskonzept habe man bewusst “plu­ral­is­tisch” gehal­ten, wie der Gedenkstät­ten­leit­er betont. Auch der alte Ini­tia­tivkreis für die Errich­tung der Begeg­nungsstätte wird sich hier päd­a­gogisch engagieren. Der evan­ge­lis­che Pas­tor oder die Anti-Ras­sis­mus-Ehre­namtliche — sie wer­den kün­ftig in der Vil­la Vorträge hal­ten. Zweimal jährlich wer­den inhaltliche Koor­dinierungstr­e­f­fen mit der Gedenkstätte sta
ttfind­en. “Ich bin mir sich­er, das wird eine bunte Päd­a­gogik”, freut sich Morsch. 

An diesem Woch­enende wird erst mal gefeiert. Am Son­ntag kom­men die “Offiziellen”, wie Bran­den­burgs Bil­dungsmin­is­ter Hol­ger Rup­precht, Kul­tur­min­is­terin Johan­na Wan­ka und der pol­nis­che Botschafter Marek Praw­da. Heute wer­den schon die kün­fti­gen Her­bergsnutzer ange­sprochen: mit dem The­ater­stück “Hal­lo Nazi” und Rock­konz­erten. Rock gegen rechts unter den alten Eichen des KZ-Inspek­teurs. Eine her­rliche Despektierlichkeit.

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