Kategorien
Antifaschismus

Ein neues Germanien in alten Gemäuern

INFORIOT Nur knapp 3900 Ein­wohner­In­nen hat die Gemeinde Plat­ten­burg im Nord­west­en der Prig­nitz. Und trotz dieser beschei­de­nen Größe gerät das Örtchen immer wieder in die Schlagzeilen. 2007 etwa gab es Aufre­gung, weil der Neon­azi Jür­gen Rieger ange­blich einen ehe­ma­li­gen Bauern­hof für die NPD kaufen wollte. Und nun hat tat­säch­lich eine recht­slastige Gruppe eine Immo­bilie erwor­ben: In der Plat­ten­burg­er Teil­ge­meinde Krampfer wurde ein bis dato ver­lassenes Schloss gekauft – die neuen Eigen­tümer wollen dort am 15. Feb­ru­ar ein „Fürsten­tum Ger­ma­nia“ gegrün­det haben. Die alt einge­sesse­nen Plat­ten­burg­erIn­nen sind verun­sichert und in der Tat pro­duziert das Auftreten der Schloss­be­wohn­er mehr Fra­gen als Antworten. Fest ste­ht aber: Ihre krude Mis­chung aus anti­semi­tis­chen Ide­olo­gien, Ver­schwörungs­the­o­rien und Deutschtümelei ist knall­hart reak­tionär, revi­sion­is­tisch und anti­demokratisch. Am Woch­enende kön­nte weit­ere Bewe­gung in die Sache kom­men. Am Sam­stag ver­anstal­ten die Fürsten­tüm­ler ein „Pla­nungstr­e­f­fen“, zu dem sie auch die Bevölkerung von Plat­ten­burg und Umge­bung einladen.

 

Worum es geht – ein anti­demokratis­ch­er Abenteuerspielplatz

Das Schloss in Krampfer mit­samt 4000 Quadrat­metern Boden habe – nach Eige­nangaben gegenüber der Märkischen All­ge­meinen Zeitung (MAZ) – zum 1. Jan­u­ar ein Jessie Marssen gekauft, um dort das „Fürsten­tum“ einzuricht­en. Ange­blich sollen dem­nächst noch 4700 Hek­tar Boden rumherum dazu gekauft wer­den. Bei der Grün­dungsver­anstal­tung, an der rund 30 Per­so­n­en beteiligt waren, wurde der Besitz von Mars­son an das neue „Staat­sober­haupt“ Michael Frei­herr von Pal­landt über­re­icht – ob nur sym­bol­isch oder auch rechtlich verbindlich ist unklar. Das „Fürsten­tum“ soll nach Bekun­den der Pro­tag­o­nis­ten ein „Kirchen­staat“ wer­den – allerd­ings ohne Glaubens­beken­nt­nis – und nach dem feu­dal­is­tis­chen Lehen­srecht funk­tion­ieren. Von Demokratie hal­ten die Fürsten­tüm­lerIn­nen also nicht viel – und darauf auf­bauend auch nichts vom bun­des­deutschen Par­la­men­taris­mus. Die MAZ merkt an, dass bei der Grün­dungsver­anstal­tung davon die Rede gewe­sen sei, „dass jed­er Stich, der der BRD zuge­fügt wird, pos­i­tiv sei. Es war von einem Par­al­lel-Staat die Rede, in dem wahrschein­lich die bun­des­deutschen Geset­ze nicht mehr gel­ten sollen.“ Auf ihren Inter­net­seit­en beziehen sich die Fürsten­tüm­ler unkri­tisch auf die so genan­nten „Kom­mis­arischen Reich­sregierun­gen“ – also jene recht­sex­tremen Ver­schwörungs­the­o­retik­erIn­nen, welche die Bun­desre­pub­lik für inex­is­tent hal­ten und das ihrer Mei­n­ung nach weit­er exis­tente „Deutsche Reich“ zu neuem Glanz führen wollen. Bekan­ntester „Reichs­bürg­er“ ist der Neon­azi Horst Mahler. Nach Ansicht der Fürsten­tüm­ler gelte aktuell die Reichsver­fas­sung von 1871.

Derzeit sieht die Real­ität des Pro­jek­ts „Fürsten­tum Ger­ma­nia“ allerd­ings wenig glanzvoll aus. Es gibt – erstens – das ver­fal­l­ene, nicht win­ter­feste Schloss, in dem sich nach einem weit­eren MAZ-Bericht ganze drei Per­so­n­en ein­gerichtet haben: „Sven, Manuel und Jens ver­ste­hen sich als Pio­niere der ersten Stunde. Ein viert­er Pio­nier strich gle­ich in der ersten Woche die Segel, weil er zur Fam­i­lie musste, wie gesagt wird.“ Und es gibt – zweit­ens – eine Unzahl von mit­telmäßig gestal­teten Inter­net­seit­en, auf denen die Fürsten­tüm­ler ihre kru­den The­o­rien aus­bre­it­en. Nichts­destotrotz sollte es beun­ruhi­gen, dass eine anti­demokratis­che, dem Recht­sex­trem­imus mehr als nur nahe ste­hende Gruppe sich in der Prig­nitz ein Refugium geschaf­fen hat.

Das Per­son­al

Auf der Eso­terik-kri­tis­chen Web­seite Esowatch ist inzwis­chen ein umfan­gre­ich­es Dossier zum „Fürsten­tum Ger­ma­nia“ erschienen. Dort find­en sich auch zahlre­iche Hin­weise, dass „Fürstentum“-Sprecher Jessie Mars­son nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Fol­gende mögliche Pseu­do­nyme wer­den aufge­lis­tet: Byron Michael Jessie Mars­son-Dumanch, Jessie Dumanch, Jesse Dumanch, Michael Jessie Frei­herr von Pal­landt, Michael Hit­zler, Julian Dumanch. Als Real­name wird hinge­gen Frank Bünt­ner ver­mutet. Durch Inter­ne­trecherchen lässt sich leicht nachvol­lziehen, dass Mars­son Anhänger ver­schieden­er Ver­schwörungs­the­o­rien wie der ange­blich­er Chem­trails ist.

Dem „Fürsten­tum“ nahe ste­ht übri­gens Jo Con­rad, dem auf „Fürstentum“-Webseiten gedankt wird und der das Pro­jekt unter anderem als Mod­er­a­tor und mit­tels eines Inter­views mit Jessie Marsen unter­stützt. Jo Con­rad ist Autor von ver­schwörungs­the­o­retis­chen und anti­semi­tis­chen Büch­er. Er bezieht sich in seinen Schriften auf die anti­semi­tis­che Fälschung der „Pro­tokolle der Weisen von Zion“. Sein Inter­net­fo­rum ist Anlauf­platz für rechte Esoterikfans.

Verbindun­gen zur knall­harten Holocaust-Leugner-Szene

Wenn man über das „Fürsten­tum Ger­ma­nia“ recher­chiert, lan­det man auch blitzschnell bei der ganz harten, recht­sex­tremen Pro­pa­gan­da. Nur ein Beispiel: Wer die Home­page vom „Deutschen Volks­blatt“ aufruft, wird mit Zitat­en willkom­men geheißen, die zeigen sollen, dass das Juden­tum 1933 Deutsch­land den „heili­gen Krieg“ erk­lärt habe. Die dafür benutzten Grafiken entstam­men dem Film „Schwindler‘s List“ – einem anti­semi­tis­chen Mach­w­erk von Holo­caustleugner­In­nen. Nach dieser Begrüßung lädt die Inter­net­pub­lika­tion „Deutsches Volks­blatt“ sogle­ich dazu ein, sich über einen „neuen Staat inner­halb der Gren­zen der BRD“ zu informieren. Der dazuge­hörige Link führt direkt zur Home­page vom „Fürsten­tum Ger­ma­nia“. Kein Wun­der: Der „Ger­man News Ser­vice“, der das „Deutsche Volks­blatt“ her­aus­gibt, ist eine mit­tler­weile erlosch­ene Fir­ma, deren Adresse auf den Namen „Jessie Micheal Frei­herr von Pal­landt“ reg­istiert ist.

 

Auf der Grün­dungsver­anstal­tung waren wenig über­raschend auch Holo­caustleugn­er zuge­gen. Ein Foto doku­men­tiert etwa die Anwe­sen­heit des ein­schlägig bekan­nten Bern­hard S. Arn­hold. Auch der mehrfach vorbe­strafte „Reichs­deutsche“ Christoph Kastius ist für das „Fürsten­tum“ aktiv.

Hil­fe“ für Opfer sex­uellen Mißbrauchs

Bei der Grün­dungsver­anstal­tung wur­den auch so genan­nte „Rit­ter der Men­schen­rechte“ gewählt. Diese sollen als Schutz­pa­trone für Kinder und Jugendliche fungieren, welche Opfer von sex­uellem Mißbrauch gewor­den sind. Mars­son selb­st wurde nach eigen­er Aus­sage 1993 mißbraucht. Im „Fürsten­tum“ soll laut Mars­son ein Heim für jugendliche Opfer sex­ueller Gewalt entste­hen. Welche Qual­ität würde diese Betreu­ung durch anti­demokratis­che Ver­schwörungs­the­o­retik­er wohl haben, wenn es tat­säch­lich dazu kom­men sollte? Welchen Schaden wür­den diese Kinder und Jugendlichen wohl nehmen? Das schon erwäh­nte Dossier auf Esowatch berichtet indes über Hin­weise, dass „Fürstentum“-Sprecher Mars­son sich zugun­sten eines wegen Volkver­het­zung und Kinder­porno-Delik­ten vorbe­straften Mannes einge­set­zt und geäußert hat.

Ver­wirrun­gen in der Bewertung

 

Die Äußerun­gen und die Trak­tate, die aus dem Umfeld des „Fürsten­tum Ger­ma­nia“ öffentlich wer­den, sind zahlre­ich und häu­fig wider­sprüch­lich. Mal wird beispiel­sweise verkün­det, man wolle mit Alter­na­tivgeld exper­i­men­tieren, mal wiederum heißt es, Geld solle kom­plett abgeschafft wer­den. So ist es nicht ver­wun­der­lich, dass die Ein­wohner­In­nen von Plat­ten­burg verun­sichert sind, was sie von ihren neuen Nach­barn hal­ten sollen. Der Plat­ten­burg­er Gemein­der­at füh­le sich laut der MAZ-Berichte „über­rumpelt“ und die Bürg­er­meis­terin gibt sich rat­los: „Ich weiß nicht, was für Ziele diese Leute ver­fol­gen.“ Bis auf Polizeistreifen scheint es übri­gens staatlich­er­seits bish­er keine Reak­tio­nen gegeben zu haben. Auch der Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz scheint desin­ter­essiert – es lägen derzeit keine Anze­ichen für ver­fas­sungs­feindliche Bestre­bun­gen vor, berichtet die MAZ. Die Verbindun­gen der Fürsten­tüm­ler bis in die neon­azis­tis­che Holo­caustleug­nungs-Szene scheinen dort also nicht bekan­nt zu sein oder für nen­nenswert gehal­ten zu wer­den. Der Sek­ten­beauf­tragte der evan­ge­lis­chen Kirche in Berlin-Bran­den­burg gab gegenüber der MAZ eben­falls eine bemerkenswert real­itäts­ferne Ein­schätzung ab: Er könne im „Fürsten­tum“ nichts „rechts gestrick­tes“ erken­nen son­dern sehe eher links ange­hauchte Anar­chis­ten am Werke.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inforiot