Trotz Warnung zweier Gutachter ist der Vergewaltiger Michael B. in FreiheitJetzt erhebt das Opfer schwere Vorwürfe gegen die Justiz. Ob der Mann in Freiheit bleibt, darüber entscheidet demnächst das Gericht.
(A. Lier, H. Nibbrig, T. Lanninger und G. Mallwitz, Die Welt) Strausberg — Carmen M. ist einfach nur wütend. “Und das permanent”, wie sie sagt. Die Berlinerin, die seit einigen Jahren in Strausberg lebt, muß damit fertig werden, daß der Mann, der sie vor sechs Jahren vergewaltigt hat, wieder auf freien Fuß ist. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) eine an die Haftstrafe anschließende Sicherheitsverwahrung beantragte und zwei Gutachter dem heute 38jährigen attestierten, von ihm gehe weiterhin ein hohes Risiko aus.
Seit Michael B. aus der Haft entlassen wurde, hat Carmen M. keine ruhige Minute mehr. Angst habe sie eigentlich nicht, nur mitunter ein ungutes Gefühl, erzählt sie. Was sie antreibt, ist der “Kampf gegen ein Rechtssystem, daß mehr für die Täter als die Opfer tut”. Diesem Kampf widmet sie sich Tag für Tag, telefoniert mit ihrem Anwalt, schreibt an Behörden und Gerichte, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Sogar bei Brandenburgs Justizministerin Beate Blechinger (CDU) ist sie Ende April vorstellig geworden — ein Termin, über den sie heute noch den Kopf schüttelt. “Nachdem ich den Fall geschildert hatte, kam von der Ministerin als einziger Vorschlag, ich solle doch überlegen, ob es nicht besser wäre, wegzuziehen”, berichtet Carmen M. fassungslos.
Die Ministerin hält die derzeitige Bundesgesetzgebung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für nicht weitgehend genug. “Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hätte ich mir gewünscht, daß die Bundesratsinitiative der CDU-Minister im Jahr 2004 Gesetz geworden wäre”, sagte die Ministerin dieser Zeitung. Der Bundestag habe leider ein Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung verabschiedet, das hinter der ursprünglichen konsequenten Forderung zurückbleibe. Im Gesetzentwurf des Bundesrates vom April 2004 heißt es noch: “Es geht nicht an, daß Straftäter, deren hohe Gefährlichkeit sich während des Strafvollzugs ergibt und die die Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erfüllen, nach Verbüßung der zeitlichen Freiheitsstrafe entlassen werden müssen.” Blechinger sagt: “Natürlich habe ich großes Verständnis dafür, daß die Bevölkerung und die Presse sehr aufmerksam beobachten, wie die Allgemeinheit vor schweren Straftaten — insbesondere Sexualstraftaten — geschützt wird.”
Die gegenwärtige Rechtslage ermögliche jedoch die nachträglicher Sicherungsverwahrung von Tätern, von denen im Fall ihrer Entlassung in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut besonders schwerwiegende Taten zu befürchten sind, nicht mit der nötigen hermetischen Sicherheit. Zu dem in der Öffentlichkeit diskutierten Fall wollte Blechinger sich mit Verweis auf das schwebende Verfahren und die richterliche Unabhängigkeit nicht äußern.
Carmen M. setzt jetzt alle Hoffnung auf das Landgericht Frankfurt (Oder). Dort hatte die Staatsanwaltschaft bereits Anfang des Jahres den Antrag auf Sicherheitsverwahrung für Michael B. gestellt. Eine an die Haft anschließende Sicherheitsverwahrung verfügen Gerichte dann, wenn von dem Täter weiterhin eine Gefahr ausgeht. Normalerweise wird sie schon bei der Urteilsverkündung verhängt. Nach einer Gesetzesänderung kann sie jetzt aber auch nachträglich beschlossen werden, wenn sich etwa während der Haft neue Erkenntnisse über den Täter ergeben, die eine solche Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit notwendig machen.
Angst vor der Rache des Täters
Eine Frau muß fürchten, erneut Opfer ihres Vergewaltigers zu werden: Er gilt als gefährlich — und er ist frei
(Tanja Laninger und Axel Lier, Welt vom 30.6.05) Potsdam — Vor fast sechs Jahren ist Carmen M. in Strausberg vergewaltigt worden. Der Täter, Michael B., wurde damals gefaßt und zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Seit März 2005 ist er ein freier Mann — obwohl die Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg/H. gegen seine Freilassung plädiert hat. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (O.) läßt nun prüfen, ob B. nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen werden kann. Ein Verfahren, auf das Carmen M. große Hoffnung setzt — und das ihr zugleich Alpträume beschert. Denn das Landgericht in Frankfurt hat Ablehnung signalisiert.
Die Staatsanwaltschaft hatte bereits am 28. Februar 2005 einen Unterbringungsbefehl für B. beantragt. “Der hätte verhindert, daß der Mann das Gefängnis verläßt, bevor über die nachträgliche Sicherungsverwahrung verhandelt wird”, sagt Frau M.s Rechtsanwalt Jens Kroll. Doch das Landgericht lehnte schon damals ab: Während der Haft seien keine “neuen Tatsachen” zutage getreten, die B.s Persönlichkeit und sein Rückfallrisiko in neuem Licht erschienen ließen (Aktenzeichen 264 Js 20660/99V).
Indes halten zwei Gutachter B. für gefährlich. Sie sind vom Frankfurter Landgericht beauftragt, aber noch nicht gewürdigt worden. Einer schreibt über B.: “In der Gesamtschau überwiegen (…) eindeutig negative Prognosekriterien, so daß (…) nicht auszuschließen ist, daß der Betroffene auch in Zukunft wieder durch erhebliche Straftaten in Erscheinung tritt, durch die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden können.” Im anderen Gutachten steht: “Von B. geht gegenwärtig ein hohes Risiko für die Allgemeinheit aus. Im Falle einer Entlassung aus dem Strafvollzug wäre mit weiteren erheblichen Straftaten zu rechnen, insbesondere mit Sexualstraftaten wie hier verurteilt.”
B. hatte sich in der JVA Brandenburg einer Therapie verweigert. Er habe sich zwar angepaßt verhalten und soziale Kompetenz gezeigt — allerdings nur, so der Gutachter, weil “es ihm vordergründig darauf ankam, nach zwei Dritteln der Strafe entlassen zu werden”. B. mußte trotzdem die gesamt Strafe absitzen.
Ermittlungen der Polizei zufolge hatte der heute 38jährige zwei weitere Frauen vergewaltigt. Die eine hatte aus Angst jede Aussage vor Gericht verweigert, die zweite will sich nicht öffentlich äußern. Auch Carmen M. war von B. mit dem Tode bedroht worden für den Fall, daß sie ihn anzeigt. Doch sie läßt sich nicht einschüchtern, weil sie den Mann für eine “Zeitbombe” hält. Ihr Anwalt sieht das ähnlich: “Bei mir ist B. ganz ruhig, aber meine Kollegin in der Kanzlei hat er bereits telefonisch bedroht.”
B.s Mutter glaubt indes fest daran, daß sich ihr Sohn geändert hat. “Er arbeitet jetzt bei einer Baufirma in der Nähe von Strausberg. Mir hat er gesagt, daß die Vergewaltigungen der größte Fehler seines Lebens waren.”
Streit um Sexualstraftäter
Rückfallgefährdeter Mann nach Entlassung seit Monaten auf freiem Fuß
(FRANK SCHAUKA, MAZ) FRANKFURT (ODER) Um den 38-jährigen Sexualstraftäter Michael B., der trotz anhaltender Gefährlichkeit nach fünfeinhalbjähriger Strafhaft im März 2005 aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist in Brandenburg ein juristischer Streit entbrannt. Dabei geht es um den Umgang mit einem einschneidenden Bundesgesetz vom Juli 2004, das es erlaubt, gefährliche Straftäter mit hohem Rückfallrisiko in einer nachträglichen Sicherungsverwahrung unterzubringen. Obwohl inzwischen zwei Gutachter befunden haben, dass von B. “gegenwärtig ein hohes Risiko fü
r die Allgemeinheit” ausgehe, ist der Mann auf freiem Fuß. Rechtsanwalt Jens Kroll, der ein von B. vergewaltigtes Opfer vertritt, hält dies für skandalös.
Der zuständigen Kammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) lägen die Gutachten “noch nicht vollständig vor”, erklärte Gerichtssprecher Markus Fritsch gestern den Umstand, dass die Kammer knapp vier Monate nach B.s Entlassung noch immer keinen Verhandlungstermin festgesetzt hat, um über die Sicherungsverwahrung des entlassenen Sexualtäters zu entscheiden. Die Richter, erläutert Fritsch, hätten noch Nachfragen zu den vorgelegten Gutachten gehabt, weil ihnen diese zum Teil nicht ausreichend begründet erschienen.
In der Tendenz — soweit sich das mit aller Vorsicht gegenwärtig beurteilen lässt — neigt die Kammer wohl eher dazu, B. nicht wieder zu inhaftieren. Tatsächlich würde er nicht wegen einer neu begangenen Straftat eingesperrt, sondern weil Psychiater der Auffassung sind, der Mann werde wahrscheinlich erneut schwere Verbrechen begehen. Erlassen wurde das Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung, um die Bevölkerung vor hochgefährlichen Straftätern zu schützen. “Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es im gesamten Bundesgebiet nur eine Handvoll Leute trifft”, so Sprecher Fritsch.
B.s Fall ist heikel. Zumindest zwei Frauen hatte er Ende der 90er Jahre vergewaltigt. Möglicherweise ist die Zahl seiner Opfer noch größer, dem Vernehmen nach schüchterte er Frauen so massiv ein, das manche bis heute keinen Mut gefunden haben, um B. bei der Polizei anzuzeigen.
Im Februar 2000 wurde B. dann wegen zweifacher Vergewaltigung zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Haft benahm er sich unauffällig. Aber er verweigerte die Therapie, so dass er nicht, wie sonst oft üblich, nach zwei Dritteln der Haftzeit entlassen wurde. Die Leitung der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel traute B.s angepasstem Verhalten so wenig, dass sie empfahl, ihn nach der regulären Haft in eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu überstellen.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) teilte diese Sicherheitsbedenken und stellte im Dezember 2004 beim Landgericht Frankfurt einen Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung. Da nicht auszuschließen war, dass die zwei vom Gericht beauftragten Gutachter ihre Expertisen nicht vor dem Haftentlassungstermin vorlegen würden, stellte die Staatsanwaltschaft noch einen Zusatzantrag: B. solle, auch wenn er eigentlich entlassen werden müsste, bis zu einer abschließenden Gerichtsentscheidung in Haft bleiben. Das Landgericht lehnte diesen so genannten Unterbringungsbefehl jedoch ab. Dass die Staatsanwaltschaft dagegen keine Beschwerde einlegte, kritisiert Opferanwalt Kroll ebenso wie die Monate, die sich das Gericht Zeit für die Entscheidung nimmt.
Allgemein betrachtet, geht die Justiz in Brandenburg nicht mit Samthandschuhen mit hochgradig rückfallgefährdeten Schwerverbrechern um. Während der kurzen Geltungsdauer des Gesetzes von nicht einmal einem Jahr hat das Oberlandesgericht schon zwei nachträgliche Unterbringungen angeordnet. Im Vergleich zur Rechtsprechung in anderen Ländern steuern die Gerichte in Brandenburg sogar einen härteren Kurs.
Justizministerin Blechinger: Gesetz nicht rigide genug
(Gudrun Mallwitz, Berliner Morgenpost) Potsdam — Die Freilassung des Vergewaltigers Michael B., der nach Ansicht von zwei Gutachtern ein hohes Risiko für die Allgemeinheit darstellt, sorgt für politischen Zündstoff. Brandenburgs Justizministerin Beate Blechinger (CDU) hält die derzeitige Bundesgesetzgebung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für nicht weitgehend genug. “Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens im Fall des freigelassenen Sexualstraftäters hätte ich mir gewünscht, daß die Bundesratsinitiative der CDU-Minister im Jahr 2004 Gesetz geworden wäre”, sagte die Ministerin dieser Zeitung.
Der Bundestag habe leider ein Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung verabschiedet, das hinter der ursprünglichen konsequenten Forderung zurückbleibe. Im Gesetzentwurf des Bundesrates vom April 2004 heißt es noch: “Es geht nicht an, daß Straftäter, deren hohe Gefährlichkeit sich während des Strafvollzugs ergibt und die die Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erfüllen, nach Verbüßung der zeitlichen Freiheitsstrafe entlassen werden müssen.” Blechinger sagt: “Natürlich habe ich großes Verständnis dafür, daß die Bevölkerung und die Presse sehr aufmerksam beobachten, wie die Allgemeinheit vor schweren Straftaten — insbesondere Sexualstraftaten — geschützt wird.”
Die gegenwärtige Rechtslage ermögliche jedoch die nachträglicher Sicherungsverwahrung von Tätern, von denen im Fall ihrer Entlassung in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut besonders schwerwiegende Taten zu befürchten sind, nicht mit der nötigen hermetischen Sicherheit. Zu dem in der Öffentlichkeit diskutierten Fall wollte Blechinger sich mit Verweis auf das schwebende Verfahren und die richterliche Unabhängigkeit nicht äußern. Das Landgericht Frankfurt (O.) hat die Sicherungsunterbringung bislang abgelehnt. Das Hauptsacheverfahren steht noch aus. Sollte die nachträgliche Unterbringung auch dann verwehrt werden, will die Staatsanwaltschaft eventuell Rechtsmittel einlegen.