Morgen wird sich das Leben der Familie Cikaj radikal verändern. Sie muss um 10.30 Uhr in Berlin in ein Flugzeug nach Priztina steigen. Sie reist in ein kriegszerstörtes Land, das die Kinder nicht kennen und mit dem die Eltern
die schlimmsten Erinnerungen verbinden. Der Winter naht, und sie haben weder Unterkunft noch Geld. Vor zehn Jahren flüchteten die Kosovo-Albaner vor dem Krieg nach Deutschland, ihr jüngster Sohn wurde in Berlin geboren. Die vier Kinder gehen in Forst zur Schule. Ein Anruf — das ist die letzte Hoffnung für Familie Cikaj.
Mutter Dusha (40) hat das Taschentuch immer griffbereit. Tränen stehen ihr in den Augen, sie ringt nach Fassung. «Das ist eine Katastrophe» , murmelt sie immer wieder, leise, damit die Kinder es nicht hören. Doch Jetmir (6) und Rexhe (11) brauchen ihre Mutter nur anzusehen, um zu wissen, wie ernst die Lage ist. Tochter Mirlinda (14) nimmt kein Blatt vor den Mund, sie kämpft für ihre Familie: «Ich finde es unglaublich, wie die Ausländerbehörde
mit uns umgeht. Sie sagen einfach, im Kosovo gibt es keinen Krieg mehr, also können wir auch wieder zurück. Dabei haben sie keine Vorstellung wie es dort wirklich ist und es interessiert sie nicht, wie es uns geht.»
Die größte Angst hat Mirlinda um ihre Eltern: «Sie sind beide so krank. Ich habe das Gefühl, sie werden dort sterben.» Auch Sozialarbeiter Ingolf Pilz macht sich Sorgen: «Eine richtige medizinische Versorgung gibt es im Kosovo nicht.» Doch die brauchen Vater Iljaz (42) und Mutter Dusha unbedingt. Beide haben psychische und körperliche Probleme, sind auf ärztliche Dauerbehandlung angewiesen. Die Mutter hatte mit ansehen müssen, wie ihr
Bruder auf seiner Hochzeit von serbischen Soldaten zusammengeschlagen wurde. Seit diesem dramatischen Erlebnis ist sie nervlich angeschlagen, kann sich kaum etwas merken, hat ständig Kopfschmerzen und erdrückende Ängste. «Meine
Eltern brauchen Medikamente, wir haben kein Geld, wie sollen wir das nur schaffen» , fragt sich Mirlinda immer wieder. Gespartes gibt es nicht, ihr altes Haus in Prizren ist zerbombt.
Kommen sie nach Pristina, haben die Cikajs nicht mehr, als sie in Koffern mit nehmen dürfen. Für jede Person sind für den Reise vom Flughafen Berlin-Schönefeld 25 Kilogramm Gepäck erlaubt. «Man steht vor dem Schrank und weiß nicht, was man einpacken soll» , erzählt Mirlinda. Für Spielsachen
ist da kein Platz. Rexhe bedauert am meisten, dass er seinen Fußball hier lassen muss. Er spielt bei Rot-Weiß Forst. Seine Freunde Steve und Paul holen ihn zum Training ab, sie gehen mit ihm in die Klasse 5a der Grundschule Mitte. Als beide ihre Abschiedsgeschenke auspacken, fließen die Tränen bei Rexhe: Erinnerungsfotos, Briefpapier, ein Adressbüchlein und einen kleinen Plüschhund mit der Aufschrift «Ich denk an dich» haben die
Jungen mitgebracht. Rexhes Gedanken wandern in den Kosovo: «Ich kann Albanisch nicht lesen oder schreiben. Und hier bin ich in der Schule gerade so gut geworden und habe viele Freunde gefunden.» Den anderen Familienkindern geht es nicht anders: Der kleine Bruder Jetmir wurde erst in
diesem Jahr eingeschult, Mirlinda geht in die 8. Klasse der Realschule.
Trotzig meint sie: «Dort will ich überhaupt nicht in die Schule gehen.» Einzig Bruder Jeton (18) hat seinen Schulabschluss in Forst machen können. Angesichts der dramatischen Lage der Familie versteht Sozialarbeiter Ingolf
Pilz die Entscheidung der Ausländerbehörde des Landkreises nicht, dass Familie Cikaj in den Kosovo abgeschoben werden soll. «Die Behörde hält sich an die Gesetze. Aber sie hat auch einen Spielraum. Aber meiner Erfahrung nach, stellt sich die Forster Ausländerbehörde im Vergleich zu anderen
Bundesländern meist stur, lässt die menschliche Einschätzung außer Acht.»
Morgen müssen sich Iljaz, Dusha, Jeton, Mirlinda, Rexhe und Jetmir um 4.30 Uhr mit Gepäck bei der Ausländerbehörde melden. Von dort werden sie nach Berlin gefahren.