Kategorien
Uncategorized

Eine Jugend in Neuruppin

(TAZ/Henning Kober) Es ist ein kalter Tag und der Nebel, der vom Rup­pin­er See her­aufzieht, hat sich noch nicht aufgelöst. In dem trüben Licht sehen die Häuser der Alt­stadt Neu­rup­pins far­b­los aus, obwohl viele frisch saniert sind. In ein­er Seit­en­straße befind­et sich das selb­st ver­wal­tete alter­na­tive “Café Mittendrin”. 

Drin­nen ist es warm und die Strahler der Lam­p­en wer­fen auf die orange­far­be­nen Wän­den ein angenehmes Licht. An der Wand hängt ein überdi­men­sion­ales Plakat, das an den Tod Car­lo Giu­lia­n­is erin­nert, den die ital­ienis­che Polizei im let­zten Som­mer beim G‑8-Gipfel in Gen­ua erschoss. In den drei Räu­men sitzen, lüm­meln, liegen Schüler, meist Gym­nasi­as­ten, auf Stühlen und aus­rang­ierten Ses­seln, trinken, rauchen und unter­hal­ten sich. 

Unauf­fäl­lig, harm­los ste­ht neben einem der Fen­ster zur Straße ein Stück Pappe, in der ein großes Loch klafft. “Das war vor vier Wochen, da haben sie uns mal wieder die Scheiben ent­glast”, erk­lärt Miri­am, als sei dies das Nor­mal­ste der Welt. Miri­am, die im ver­gan­genen Jahr Abitur gemacht hat, erzählt feix­end von dem typ­is­chen Besuch­er aus Berlin, der zu einem der Punkkonz­erte ins “Mit­ten­drin” kommt: “Die erste Frage ist, ob auch genug Leute da sind, um den Laden im Not­fall gegen die Nazis zu vertei­di­gen.” Dann lehnt sich Miri­am in das rote Sofa zurück, zün­det sich eine Zigarette an und dreht an ein­er braunen Haarsträhne. Zusam­men mit Maik und Hannes, die neben ihr sitzen, gehört sie zu den Aktivsten der Jugendantifa. 

Vor drei Jahren haben sie die Gruppe gegrün­det. “Nazistress an der Schule war für uns alltäglich gewor­den”, sagt Hannes und zieht die Ärmel seines Kapuzen­pullovers über die Hände. Ins “Mit­ten­drin” kom­men Leute, die ähn­lich denken und von denen etwa ein Dutzend im Alter zwis­chen 16 und 22 zur Jugen­dan­tifa gehören. Wenn es ums Plakatek­leben oder ‑sprühen geht, sind es auch mehr, und wenn es bei Demos gegen die Recht­en geht, machen fast alle “Mittendrin”-Besucher mit. Nicht mehr allein zu sein mit der täglichen Angst in der Schule oder auf dem Nach­hauseweg, ist das Motiv, das die Gruppe zusam­men­hält. Auch viele unpoli­tis­che Skater, Kif­fer, Nor­ma­los fühlen sich in dem Jugend­club zu Hause und beteili­gen sich dann an den Demos. Skater, Kif­fer, Nor­males, Rechte, Linke — die Jugendlichen in Neu­rup­pin benutzen diese Begriffe häu­fig und kat­e­gorisieren sich damit selb­st, vielle­icht, weil es etwas Sicher­heit gibt. 

Inzwis­chen sei es ein biss­chen bess­er gewor­den mit den Recht­en, seit der Schließung des “Bunkers”, sagt Miri­am und kor­rigiert sich gle­ich wieder, weil ihr Fos­si ein­fällt, den erst vor ein­er Woche sechs Recht­sradikale bedro­ht und ange­spuckt haben. Recht­sradikalis­mus gehört zur Real­ität der 32.000-Einwohner-Stadt.

Das sieht auch Bürg­er­meis­ter Otto Theel von der PDS so, den Maik “unseren Otto” nen­nt. “Wir beschäfti­gen uns sehr inten­siv mit dem Prob­lem”, sagt er. Theels Stimme klingt nach­den­klich. “Das ist eine Arbeit, die viel Zeit kostet.” Und Ner­ven. Theel ist 61 und wurde im Novem­ber wiedergewählt. Vor der Wende war er SED-Kreisleit­er für Wirtschaft. Bei ein­er Kundge­bung hat er Recht­sradikalen schon mal eine rote Karte ent­ge­gen­streckt. Aber er würde sich mit Jour­nal­is­ten aus Berlin wohl lieber über das frisch ren­ovierte Rathaus unter­hal­ten oder darüber, dass drin­gend ein Hotel benötigt wird. Lieber jeden­falls als über Wil­helm Lange. 

“Das ist der Nazi-Opa, der hier irgend­wann aus dem West­en aufge­taucht ist und seine unsäglichen Jugend­stun­den abhält.” Das “aus dem West­en” betont Otto Theel. Und ja, gibt der Bürg­er­meis­ter zu, er soll immer noch Anlauf­stelle für junge Rechte sein. 

“Der Herr Lange wohnt im Hin­ter­haus, klin­geln Sie nur”, sagt die Nach­barin lächel­nd. Nach dem Klin­geln zer­reißt lautes Hun­dege­bell die Ruhe der schmalen Alt­stadt­straße. Wil­helm Lange wartet im Hof hin­ter einem Maschen­drahtza­un und sper­rt erst mal den Schäfer­hund in den Zwinger. Der 86-jährige Greis trägt eine grüne Fleck­tarn­hose mit Seit­en­taschen und einen braunen Pullover. Seine Mund­winkel hän­gen tief. Weil das Hun­dege­bell so laut ist, bit­tet er in die Wohn­stube. “Sie müssen laut reden, ich höre schlecht. Kriegsver­let­zung, Kopf­schuss”, schre­it er. So weit es die räum­lichen Ver­hält­nisse zuließen, sagt Lange, betreue er hier Jugendliche. Lange nen­nt sie“seine Jugendlichen”. 20 seien das unge­fähr, die regelmäßig, meist täglich, zu ihm kom­men. “Ich hab da einen Jun­gen, Markus (Name geän­dert), der hat mich vor vier Jahren als Zwölfjähriger auf der Straße ange­sprochen. Der ist heute so fit, dass sich die Lehrer gar nicht mehr trauen, ihn anzus­prechen. Jedes Wort von mir ist bei ihm da drin” — er drückt seine Dau­men gegen die Schläfen und lächelt schief. Aus dem Bücher­re­gal zieht er ein Blatt mit Dog­men für seine Jugend­gruppe. Unter dem Titel “10 Gebote” ist dort zum Beispiel zu lesen: “Wir verkör­pern eine neue, unserem Volke ver­bun­dene Jugend­be­we­gung” oder: “Poli­tisch sind wir nicht rechts oder links, son­dern ein­fach deutsch.” 

Kurz nach der Wende kam Lange aus der Nähe von Wup­per­tal in die Stadt. Zunächst arbeit­ete er als Angestell­ter der Ini­tia­tive Jugen­dar­beit­slosigkeit Neu­rup­pin (IJN), die sich 1990 als gemein­nütziger Vere­in grün­dete und heute mit Arbeit­samt und Lan­desju­gen­damt zusam­me­nar­beit­et. Dort kon­nte er, zunächst unbe­merkt, Jugendlichen sein recht­es Gedankengut nahe brin­gen. Nach­dem bekan­nt wurde, dass er in der Ver­gan­gen­heit mit DVU und NPD zu tun hat­te, musste er den IJN-Vere­in ver­lassen und zog sich schein­bar ins Pri­vate zurück. Heute fällt er öffentlich vor allem dadurch auf, dass er Flug­blät­ter verteilt. 

Mit nach vorne gebeugtem Kopf und leis­er­er, Ver­traulichkeit sug­gerieren­der Stimme erzählt Lange von seinem Leben im Dien­ste der “nationalen Sache” und span­nt den Bogen von sein­er Zeit als HJ-Führer in Rom bis zu den DVU-Abge­ord­neten aus Pots­dam, die regelmäßig zu Besuch kom­men und Langes Jugendliche gern als zukün­ftige Parteim­it­glieder sehen möcht­en. 400 bis 500 Jugendliche seien in Neu­rup­pin auf jeden Fall rechts, erk­lärt Lange, und der Tag, an dem die deutsche Jugend auf­ste­he, komme bestimmt. 

Dann klin­gelt es. In die Woh­nung kom­men Markus, ein klein­er, kräftiger Typ in Bomber­jacke, und kurz darauf vier weit­ere Jugendliche, der Jüng­ste vielle­icht zehn oder elf Jahre alt. Sein Lons­dale-Pullover mit den wichti­gen Buch­staben “NSDA” in Größe S ist an den Ärmeln noch zu lang. Artig geben alle ihrem Gast­ge­ber die Hand. Sie nen­nen ihn Opa Lange. Still und aufmerk­sam lauschen sie, wenn der Mann ihnen erk­lärt, dass Demokrat­en die größten Ver­brech­er seien und Ost­deutsch­land der völ­lig falsche Begriff für das, was eigentlich Mit­teldeutsch­land heißen müsste. 

Warum hören sich die Jun­gen das frei­willig an? Warum gehen sie, wie Markus erzählt, Lange sog­ar bei der Hausar­beit zu Hand, putzen seine Woh­nung, gehen einkaufen? Hannes wird das später im “Mit­ten­drin” so erk­lären: “Mut­ti, Vati arbeit­s­los, Klipp­schule und dann ist da ein­er, der sich um dich küm­mert und dir das Gefühl gibt, du bist wer.” 

Dabei gibt es in Neu­rup­pin dur­chaus Ange­bote für Jugendliche. Das Jugend­freizeitzen­trum, das “Café Fan­ta­sy” im Neubauge­bi­et und natür­lich die Sportvere­ine. Und doch sagt Markus: “Die Freizeit­möglichkeit­en sind sehr begren­zt, wenn wir irgend­wo unser Bier trinken und ein biss­chen rum­feiern, dann kom­men gle­ich die Linken und machen Stunk.” Geschickt schürt Lange bei den Jugendlichen das Gefühl, ungerecht behan­delt zu wer­den. Ihnen habe Bürg­er­meis­ter Theel den “Bunker” weggenom­men, kla­gen sie, und den
Linken gle­ich ein ganzes Haus gegeben. Lange liefert den passenden Sound dazu. Er referiert: “Theel und die “Mittendrin”-Leute, das sind unsere Tod­feinde.” Dabei ist er für die Zukun­ft nicht pes­simistisch, “die Neu­rup­pin­er Polizei ste­ht prak­tisch auf unser­er Seite”, behauptet er, und Pläne, wie man bald wieder an neue Räume kom­men kann, gibt es auch. “Wir sind ger­ade in der Organ­i­sa­tion­sphase”, sagt ein­er der Jugendlichen. 

Es sind die Älteren, die sprechen. “Wenn du immer provoziert wirst, dann hast du irgend­wann die Fresse voll. Dann schlägst du halt zu.” Je stärk­er sie zum Beispiel bei Arbeit­ge­bern wegen ihres Auftretens auf Ablehnung stoßen, umso enger schließen sie sich zusam­men. “Das Prob­lem ist hier ein­fach, dass man wegen einem bes­timmten Pullover keine Lehrstelle bekommt”, sagt Markus und macht eine Hand­be­we­gung zu sein­er Brust, wo das Lons­dale-Logo prangt. Auch die Jün­geren wer­den das bald erfahren. Ein Teufelskreis. 

Im “Café Mit­ten­drin” ist es ruhig gewor­den. Jemand hat die Musik aus­gemacht, weil Fos­si ger­ade erzählt, wie er und vier Fre­unde nach der Schule von Jungs und Mäd­chen in Springer­stiefeln und Bomber­jack­en bedro­ht und bespuckt wurden. 

Ohne Grund oder konkreten Anlass. “Die woll­ten ein­fach ihre Macht ausüben”, sagt der Neun­tk­lässler in den bre­it­en Hosen. Eigentlich inter­essiere er sich gar nicht beson­ders für Poli­tik. “Angst hab ich trotz­dem nicht”, sagt Fos­si entschlossen. Angst will er nicht haben. “Wir reden dann untere­inan­der und beruhi­gen uns. Fre­unde sind das Wichtig­ste”, sagt Fos­si. Er möchte trotz allem in kein­er anderen Stadt leben. “Neu­rup­pin ist schon ganz in Ord­nung.” Kommt eben nur darauf an, was für ein Tag heute ist. 

taz Nr. 6674 vom 12.2.2002, Seite 5, 259 Zeilen (TAZ-Bericht), HENNING KOBER

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inforiot