Potsdam — Am Sonnabend werden sie marschieren. 100, vielleicht auch 200 Neonazis mitten durch die Stadt. Angemeldet hat den Aufmarsch unter dem irreführenden Motto „Gegen Hetze und Terror von Links“ der bekannte Hamburger Neonazi Christian Worch. Neben ihm sind Eckart Bräuniger und Gordon Reinholz als Redner angekündigt. Was diesen dreien neben ihrer eindeutig rechtsradikalen Gesinnung gemeinsam ist, sie kommen nicht aus Potsdam. Die Stadt wird mit Gegendemonstrationen zeigen, dass Rechte hier nicht erwünscht sind. Nazis von außerhalb sollen in Potsdam keine Plattform, sondern nur breite Ablehnung finden. Ein kurzer aber auffälliger Protest, dann kann wieder zur Tagesordnung übergegangen werden. Denn Neonazis in Potsdam, bis auf ein paar dumpfe Schläger, scheint es kaum zu geben. So zumindest die landläufige Meinung. Die wenigen Fakten aber sprechen eine andere Sprache.
Eine kleine, gewaltbereite Szene von Rechtsradikalen gibt es in der Stadt. Mal wird von zehn, mal von 30 Mitgliedern dieses diffusen Kreises gesprochen. Seit 1999 aktiv, fällt die Gruppe seit drei Jahren verstärkt durch Straßengewalt auf, erklärt der Journalist Falco Schuhmann vom Antifaschistischen Infoblatt, das regelmäßig kompetent und investigativ über rechte Tendenzen in ganz Deutschland berichtet. Eine Behauptung, die von den Zahlen der Potsdamer Opferperspektive gestützt wird. Seit 2001 hält Potsdam einen traurigen Spitzenplatz in Sachen rechtsmotivierter Übergriffe. Im vergangenen Jahr wurden 16, in diesem Jahr neun Angriffe registriert. Doch ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer höher liegt. „Viele dieser Angriffe richten sich gegen linke Jugendliche, die in der Polizei nicht unbedingt den Helfer sehen und daher den Übergriff nicht zur Anzeige bringen“, sagt Kay Wendel von der Opferperspektive.
Die meisten dieser Angriffe gegen linksorientierte oder einfach nur anders aussehende Jugendliche und Ausländer sind das Resultat spontaner, vom Alkohol beeinflusste Aktionen, die fast immer dem Bild vom tumben Nazischläger entsprechen. Doch neben dieser Gewaltbereitschaft zeigt sich in der Potsdamer Szene immer mehr die Tendenz zum Aufbau überregionaler Strukturen. Eine Tendenz, die kaum sichtbar, darum aber umso bedenklicher sei, so Schuhmann. Längere Zeit recherchierte er über die Potsdamer Nazis, veröffentlicht regelmäßig Beiträge über Rechte. Sein Eindruck: Der harte Kern in Potsdam tritt einerseits immer wieder sehr selbstbewusst mit Pöbeleien und Angriffen in Erscheinung. Auf der anderen Seite wird der Aufbau von Netzwerken voran getrieben. „Dies aber ziemlich dilettantisch“, so Schuhmacher.
Anfang des Jahres erschien im Internet die Seite „Anti-Antifa – Sektion Potsdam“. Eine „Kameradschaft Potsdam“ hatte es sich hier zur Aufgabe gemacht, linke und alternative Einrichtungen der Stadt mit Adressen, bestimmte, öffentlich gegen Rechts auftretende Personen mit Fotos und Adressen zu veröffentlichen. Das Ziel: Gleichgesinnte auf diese Personen und Einrichtungen aufmerksam zu machen. Zwar wird nicht direkt zu Übergriffen oder Bedrohungen aufgerufen, doch die Aufmachung – die Startseite ziert eine Pistole – spricht eine eindeutige Sprache. Für kurze Zeit war die Seite aus dem Netz genommen. Mittlerweile ist sie wieder über einen argentinischen Anbieter erreichbar. Rechtliche Schritte sind hier kaum noch möglich. „Hier zeigt sich die Professionalisierung im Auftreten“, erklärt Schuhmann. Doch geht er davon aus, dass andere so genannte Freie Kameradschaften, vor allem aus Berlin, diese professionelle Arbeit für ihre Potsdamer Kameraden übernommen haben. Ein Zeichen dafür, dass sich die Nazis verstärkt organisieren.
Nach zahlreichen Verbotsverfahren gegen rechtsradikale Parteien in den vergangenen Jahren hatten sich die Aktivitäten vieler Nazis größtenteils auf Anonymität und den regional beschränkten Wirkungskreis kleiner Kameradschaften reduziert. Mittlerweile, auch bestärkt durch die NPD-Wahlerfolge, sind aber Bemühungen erkennbar, auch überregional zu wirken. Im Osten von Brandenburg hat sich der Märkische Heimatschutz in dieser Hinsicht einen Namen gemacht. Unter der Führung von Gordon Reinholz, der auch auf der Demonstration am Sonnabend sprechen wird, versuchen etwa 30 Leute unter dem Deckmantel des Biedermanns ihre rechte Gesinnung öffentlich zu machen. Ihr Merkmal: Sie sind kaum noch zu erkennen.
Das Glatzkopf-Image mit Springerstiefeln und Bomberjacke ist verpönt. „Die Grenzen der Szene verschwimmen“, beschreibt Falco Schuhmann diese Entwicklung. Nazis sind als solche immer schwerer zu erkennen. Gelegentlich treten sie sogar mit Symbolen der linken Jugendkultur, wie dem Palästinensertuch oder Che-Guevara-T-Shirts auf. „So fällt es den Rechten leichter, auch in anderen Bereichen wie beispielsweise der Metal-Szene Fuß zu fassen. Gleichzeitig fällt es so leichter, sich von dieser Szene wieder zu entfernen. Das problematische Gedankengut von Rassismus und Deutschlandtümmelei bleibt aber in den Köpfen erhalten.“
Auch die Potsdamer Neonazis sind als solche kaum noch zu erkennen. Doch durch Recherchen im Internet, Gespräche mit Insidern und Bestätigungen aus Sicherheitskreisen bekommen sie ein Gesicht. Der 21-jährige Oliver K., die 19-jährige Melanie W., Mike M., Heiko G., der derzeit eine längere Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung absitzt, Enrico P., Jeanette H. sind Namen die im Zusammenhang mit der rechten Szene in Potsdam immer wieder fallen. Ihr Auftreten ist provokant, sie fotografieren Leute aus dem linken Spektrum, sprechen diese auch direkt auf der Straße an. Einschüchterung als Methode. Am Telefon auf ihre Rolle in der rechten Szene Potsdams angesprochen, legt Melanie W. kurzerhand den Telefonhörer auf. Bis auf die wenigen Fakten bleiben sie schwer zu fassen.
Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass die Potsdamer Nazis eindeutig als „Hardcore-Rechte“ zu bezeichnen seien, sich ihre Handlungen fast nur auf Gewalttaten beschränken. Auch Kay Wendel von der Opferperspektive hält sich bei der Beurteilung der Bedeutung der hiesigen Szene zurück. „Polizei und Staatsanwaltschaft leisten hier sehr gute Arbeit.“ Zwar solle man die Potsdamer Gruppe nicht überschätzen, doch darf man sie deswegen noch lange nicht unterschätzen. Eckart Bräuniger, der dritte Redner beim Naziaufmarsch am Sonnabend, ist stark in der Berliner Kameradschaftsszene aktiv und wurde schon bei illegalen Wehrsportübungen festgenommen. Das Biedermann-Image verdeckt nur den Hang zur Militanz. Der harte Kern der Potsdamer Rechtsradikalen hat seine Verbindungen zu diesen militanten Kameradschaften ausgebaut. Sie haben gelernt, sich zurückzuhalten. Doch nur weil etwas nicht immer eindeutig erkennbar ist, ist es noch lange nicht weniger gefährlich.