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Eine Stadt mit vielen Gesichtern

Oranien­burg ist noch immer hin und her geris­sen zwis­chen nor­malem Leben und
der Wahrnehmung als “KZ-Stadt”. Ein Buch von Hajo Funke zemen­tiert nun
diesen Wider­spruch: Während sich in Oranien­burg vieles bewegt, nagelt er die
Stadt auf den “recht­en Main­stream” fest. Eine Ortsbestimmung

(TAZ, Anja Maier) Es ist ein abrupter Wech­sel. Am Ende der Straße, wo frisch gestrich­ene Jägerzäune gepflegte Ein­fam­i­lien­häuser beschützen, begin­nt das Gelände der Gedenkstätte Sach­sen­hausen. Das ist Oranien­burg, die Kreis­stadt nördlich von Berlin. Hier, am Ende der Straße der Natio­nen, liegt der Ort, wo zwis­chen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Men­schen inhaftiert waren. Zehn­tausende kamen durch Hunger, Krankheit­en, Zwangsar­beit und Mis­shand­lun­gen um oder wur­den Opfer sys­tem­a­tis­ch­er Ver­nich­tungsak­tio­nen der SS. Dies ist die Stadt, in der heute 43.000 Men­schen wohnen. 

Wie kann man hier nur leben?, fra­gen sich viele. Ja, wie? Gut, sagen die meis­ten, die es tun. Nach der Wende sind viele Berlin­er und Bon­ner hier­her ins Grüne gezo­gen. Sie haben Häuser gebaut, Kinder geboren, soziale Net­zw­erke geknüpft. So, wie es über­all in Bran­den­burg­er Kle­in­städten mit Berlin-Anschluss läuft. Mor­gens fahren 6.300 Oranien­burg­er hin­aus aus der Stadt zur Arbeit, abends kehren sie heim. Am Bahn­hof ver­suchen sie, die allabendlich saufend­en Glatzen zu überse­hen, schwin­gen sich aufs Rad und wässern noch ein biss­chen ihren Garten. 

Das sind die Erwach­se­nen. Der Frage nach der Jugend­kul­tur in Oranien­burg — der Stadt, die im öffentlichen Bewusst­sein als rechte Hochburg ver­ankert ist — ist eine Forschungs­gruppe von FU-Stu­den­ten unter Leitung des Poli­tikpro­fes­sors Hajo Funke nachge­gan­gen. Nun liegt das Ergeb­nis ihrer zwei­jähri­gen Recherche vor. 

“Futur exakt” lautet der etwas sper­rige Titel des im Ver­lag Hans Schiler erschienen Buch­es. Das Ergeb­nis ist so ein­deutig, wie die Wirk­lichkeit in Oranien­burg vielschichtig ist. Der Recht­sex­trem­is­mus habe sich in Oranien­burg in all seinen Erschei­n­ungs­for­men hin zum Com­mon­sense entwickelt. 

Diese These hat eine Vorgeschichte. 1997 veröf­fentlicht­en Hajo Funke und zwei weit­ere Autoren “Ich will mich nicht daran gewöh­nen”. Das Buch, das sich mit Frem­den­feindlichkeit in Oranien­burg auseinan­der set­zte, sorgte sein­erzeit für einen Eklat. Eine Ein­ladung zur Buch­präsen­ta­tion lehnte der Bil­dungs­dez­er­nent Michael Garske damals im Namen des Lan­drat­samtes ab. “Es gibt um Zehn­er­poten­zen unver­gle­ich­lich mehr Gewalt von Aus­län­dern gegen Deutsche als umgekehrt”, schrieb Garske. “Gewalt­tat­en von jugendlichen Deutschen gegen Aus­län­der pauschal als rechte Gewalt zu klas­si­fizieren, greift zu kurz.” 

Im Grunde war der Brief ein Glücks­fall. Was viele Bürg­er der Stadt längst spürten — den laten­ten Ras­sis­mus in der Ver­wal­tung, das Ver­drän­gen man­i­fester Frem­den­feindlichkeit -, war hier schriftlich niedergelegt. Funke hat­te mit sein­er These von der schweigen­den, wegschauen­den Mehrheits­ge­sellschaft wohl Recht. Es wurde höch­ste Zeit, Gesicht zu zeigen — hier wie in anderen Berlin­er Randgemeinden. 

Doch ist das heute immer noch so? In den ver­gan­genen Jahren grün­dete sich das Forum gegen Ras­sis­mus und rechte Gewalt Oranien­burg, an einem der örtlichen Gym­nasien bilde­ten Schüler die AG gegen rechts, jedes Jahr im März zieht die Anti­ras­sis­mus­de­mo durch die Innen­stadt — mit dem Bürg­er­meis­ter an der Spitze. Stadtver­wal­tung und Gedenkstätte Sach­sen­hausen kamen endlich miteinan­der ins Gespräch, nach­dem die Ver­wal­tung jahre­lang verge­blich ver­sucht hat­te, diesen Teil des Stadt­ge­bi­etes als qua­si außer­halb ihres Zuständigkeits­bere­ichs einzuord­nen. Und vor Jahres­frist grün­dete sich eine neue säku­lar­isierte Jüdis­che Gemeinde. 

“Futur exakt” nun bilanziert aus Sozi­olo­gen­sicht die Entwick­lung dieser Stadt mit dem schlecht­en Ruf. Oranien­burg, so die Autoren, stelle — wiewohl die Zahl rechter Über­griffe seit Jahren rück­läu­fig ist — weit­er einen frucht­baren Nährbo­den für Frem­den­feindlichkeit dar. Basis dieser Entwick­lung sei das schwach aus­geprägte Geschichts­be­wusst­sein in der Stadt. 

Noch immer laufen täglich dutzende Schulk­lassen durch Oranien­burgs Innen­stadt zur Gedenkstätte — vor­bei an Brach­flächen, sanierten DDR-Plat­ten­baut­en und Imbis­sen. Dort ste­hen, wie bestellt, die Pen­ner und Glatzen; Kampfhunde und Kleinkinder umspie­len ihre Knie. Bran­den­burg, wie es sich der Berlin­er vorstellt. 

Was er nicht sieht, ist das Bemühen viel­er Oranien­burg­er — Schüler, Eltern, Lehrer, Kirchen, Polizei — den öffentlichen Raum nicht dem recht­en Diskurs zu über­lassen. Kinder, die hier groß wer­den, müssen sich poli­tisch posi­tion­ieren. Links oder rechts — Wider­stand oder Main­stream. Ein oft schmerzhafter Selb­stfind­ung­sprozess, der Her­anwach­senden im mul­ti­kul­turellen Berlin nicht in dieser Schärfe abver­langt wird. Und der aus Berlin­er Sicht anscheinend ungern zur Ken­nt­nis genom­men wird. Ein klares Feind­bild — gewis­ser­maßen die Frem­den­feindlichkeit der Berlin­er gegen die Bran­den­burg­er — ist leichter zu pfle­gen, als es immer wieder neu zu hinterfragen. 

Von “Zonen der Angst” ist in dem Buch der Berlin­er Sozi­olo­gen die Rede: Bahn­hof, Schloss­park oder der Strand des Lehnitzsees seien stadt­bekan­nte Tre­ff­punk­te Rechter, wo sich linke Jugendliche nicht im Dunkeln aufhal­ten soll­ten. Den­noch tun sie es. Bei­de Seit­en ken­nen sich, sie wis­sen, wer wie denkt. Dies hier ist schließlich eine Kleinstadt. 

Inzwis­chen ste­ht das Neubauge­bi­et, in dem zu DDR-Zeit­en vor allem Mil­itärange­hörige wohn­ten, sozial auf der Kippe: Streng gescheit­elte Bomber­jack­en­träger wohnen hier neben Rent­ner­in­nen und rus­sis­chen Aussiedler­fam­i­lien. Immer wieder kommt es zu Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen Jugendlichen. 15 Prozent aller Oranien­burg­er Arbeit­slosen sind unter 25 Jahre alt. Keine gute Grund­lage für Jugendliche, sich fest in der Zivilge­sellschaft zu verankern. 

Die Stadt ver­sucht dem ent­ge­gen­zuwirken: Mit dem EU-Pro­gramm “Zukun­ft im Stadt­teil” sollen attrak­tive Leben­sräume geschaf­fen wer­den, die Bürg­er zur Iden­ti­fika­tion mit ihrer Stadt bewegt wer­den. Ein schwieriges Unter­fan­gen. Denn woran es Oranien­burg wirk­lich fehlt, ist Iden­tität. Die Stadt, die auf ihrer Home­page für ihre grüne, beschauliche Lage wirbt, ist zer­ris­sen zwis­chen ihrer Geschichte als Oranier­stadt, die sich in dem frisch rekon­stru­ierten Barockschloss im Stadtzen­trum aus­drückt, und ihrer fin­steren Ver­gan­gen­heit im Ort­steil Sachsenhausen. 

Noch zu DDR-Zeit­en wur­den die Oranien­burg­er — und ger­ade die damals hier leben­den Kinder und Jugendlichen — verpflichtet, an Ver­anstal­tun­gen in der Gedenkstätte teilzunehmen, qua­si als Gar­ni­tur. Aus den ein­st­mals betrof­fe­nen Kindern sind die Eltern von heute gewor­den. Dass ihre Kinder — so wie sie einst selb­st — zur Deko­ra­tion ein­er Täter­stadt wer­den, möcht­en sie nicht. Und so wird in manch­er Fam­i­lie das The­ma “KZ-Stadt” gern ausgeblendet. 

Viel lieber wen­det man sich da der wieder­ent­deck­ten preußis­chen Geschichte zu: Oranien­burg wurde von Louise Hen­ri­ette gegrün­det, der Mut­ter des Preußenkönigs. Als im Oranier­jahr 1999 das Barockschloss in der Innen­stadt aufwendig restau­ri­ert wurde, grif­f­en Stadt und Land­kreis beherzt zu: endlich eine neue, andere, vorzeig­bare Geschichte für die “KZ-Stadt”.

Ein Impuls, vor dem der Leit­er der Stiftung Bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten, Gün­ther Morsch allerd­ings warnt: “Man sollte nicht ver­suchen, dem Beispiel Dachau zu fol­gen. Also für die Stadt wer­ben: Besuchen Sie das schöne Dachau, und hof­fen, dass das ehe­ma­lige Konzen­tra­tionslager ignori­ert wird. Das funk­tion­iert nicht.” 

Jun­gen Men­schen, die hier, in ein­er Stadt mit denkbar schlechtem Leu­mund, aufwach­sen, meint Morsch, müssten die Chan­cen aufgezeigt wer­den, die diese zerrissene
Geschichte ihnen bietet: Auseinan­der­set­zung und Iden­ti­fika­tion. Dass die durch die Civ­i­tas-Stiftung finanzierte Stelle der Geschäfts­führerin des Fördervere­ins für interkul­turelle Bil­dung zum 31. August ersat­z­los aus­läuft, kann er damit nicht gemeint haben.

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