(Berliner Zeitung, Jens Blankennagel) FLIETH-STEGELITZ. Es ist wieder die Zeit der Dorffeste. Eigentlich ein Grund
zur Freude. Doch das ungestörte feuchtfröhliche Feiern ist nicht überall möglich. Etwa in Flieth-Stegelitz in der Uckermark, wo acht Punks — 15 bis 16 Jahre alt — vorigen Sonnabend auf dem Weg zu einem Fest angepöbelt und
geschlagen wurden. “Die Angreifer waren älter und dem Aussehen nach Rechtsradikale”, sagt der Vater eines der Opfer, der im Arbeitskreis des Ausländerbeauftragen des Kreises arbeitet. Sein Sohn wurde in diesem Jahr
schon vier Mal angegriffen.
Der Vater schrieb die Gedächtnisprotokolle der Opfer auf: Die Punks wurden als “Abschaum” beschimpft. Sie mussten sich anhören: “Ihr stinkt. Wascht euch. Schneidet euch die Haare. Zecken, verpisst euch.” Die Punks sagten: “Wir haben doch nichts gemacht, warum wollt ihr euch schlagen.” Dann
eskalierte die Situation. Die Punks wurden verfolgt, geschlagen, getreten, mit Bierflaschen und Steinen beworfen. “Es war ein Riesenglück, dass niemand schwer verletzt wurde”, sagt der Vater.
120 Übergriffe im Vorjahr
Nach Zählung des Potsdamer Vereins Opferperspektive gab es im Vorjahr in
Brandenburg 120 politisch motivierte Übergriffe von Rechtsextremisten — laut offizieller Polizeistatistik 87. Klar sei: Die Zahlen seien gleichbleibend auf hohem Niveau. Führend seien das Havelland, Potsdam und eben die
Uckermark. Gerade bei Dorffesten oder in Discos würden immer wieder Neonazi-Cliquen dominieren und alle, die sie als “Feinde” einstufen, würden angepöbelt oder zusammengeschlagen. “Es gibt Gegenden, die scheinen ruhig”,
sagt Vereinssprecher Kay Wendel. “Aber nur, weil den Neonazis die potenziellen Opfer ausgegangen sind.”
In Flieth-Stegelitz war das nicht der Fall. Zudem reagierten dort zwei Streifenpolizisten völlig unverständlich, sagt der Vater, der aktiv im Kampf gegen Rechtsextremismus an Schulen ist und dabei meist gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat. Die Polizisten sollen zu den Opfern gesagt haben:
“Überall, wo ihr seid, gibts Ärger. Ihr werdet schon nicht unschuldig sein. Ohne nichts tun die euch auch nichts.” Ein Polizist soll der Onkel eines der Angreifer gewesen sein.
“Hitler-Gruß” am Morgen
Der Vater berichtet, dass Alkoholtests nicht etwa bei den Angreifern, sondern bei drei Opfern gemacht wurden. Während dieser Polizeimaßnahme sollen die Neonazis weiter gepöbelt und Schläge angedroht haben. Anzeigen habe die Polizei anfangs angeblich nicht aufnehmen wollen. Der Vater sagt,
dass die Polizei immerhin eine Anzeige entgegennahm, als ein Jugendlicher am nächsten Morgen vor seinem Haus den “Hitler-Gruß” zeigte. “Ich sagte, dass er gegen die Gesetze verstößt.” Der Neonazi habe geantwortet: “Scheiß
Judengesetze.”
Der Vater fordert nun, dass sich die Polizisten bei den Opfern entschuldigen. Die Polizei sieht dazu keinen Anlass. “Wir können die Darstellung so nicht bestätigen”, sagt Polizeisprecher Burkhard Heise. Laut Einsatzunterlagen habe es keine Gewaltanwendungen gegeben, solange die
Polizei vor Ort war. Zudem sei die Möglichkeit eingeräumt worden, eine Anzeige zu erstatten.
Letzteres stimmt nach Angaben des Vereins Opferperspektiven nicht. “Wir fordern eine Aufklärung des Polizeiverhaltens”, sagt Vereinssprecher Wendel. “Es kann nicht angehen, dass Opfer wie Beschuldigte behandelt werden und die
Täter unbehelligt bleiben.” Solches Vorgehen leiste rechtsextremen Schlägern Vorschub und untergrabe das Vertrauen der Opfer in die Polizei.
Wendel will nun in der nächsten Woche ein Treffen zwischen Polizei, der Opferperspektive und den Opfern organisieren. Er sagt: “Obwohl niemand verletzt wurde, war dies kein harmloser Vorfall.” Die Opfer seien verängstigt. Die ständigen Angriffe würden ihnen klar machen, dass sie sich
anpassen müssen oder nicht erwünscht sind.