(MAZ, 17.11.) HENNIGSDORF Die Abschaffung des diskriminierenden Gutschein-Systems haben jetzt
Flüchtlinge, die im Asylbewerberheim Stolpe-Süd leben, gefordert.
Unterstützt werden sie darin von den Flüchtlingsinitiativen “Hennigsdorfer
Ratschlag” und “Initiativkreis Asylbewerberheim Stolpe-Süd”.
Flüchtlinge aus Togo, Kamerun und dem Kosovo legten deshalb einen von 128
der 300 Bewohner des Heims unterschriebenen Antrag auf Abschaffung der
Gutscheine vor. Diese bekommen sie in Werten von 20, zehn, fünf und zwei
Euro, sogar Zettel mit dem Aufdruck fünf und ein Cent gibt es. Damit müssen
sie einkaufen — allerdings nur in bestimmten Supermärkten. Die Gutscheine
sind beschränkt einlösbar für Nahrungsmittel, Schreibwaren, Hygieneartikel
und Reinigungsmittel, Wäsche sowie Hausrat von geringem Anschaffungswert,
Bekleidung und Schuhe. Bargeldrückgabe bis zu zehn Prozent des Kaufpreises
ist möglich, würde aber zum Beispiel im Penny-Markt und bei Spar in
Hennigsdorf-Nord verweigert. Das bedeutet für die Asylbewerber
Erniedrigungen, Stress, seelische Anspannung. Zustände, die schon mehrmals
kritisiert wurden, nun aber erneut ins Licht der Öffentlichkeit rücken, weil
es andere Bundesländer wie Sachsen-Anhalt sowie Städte wie Brandenburg oder
Potsdam gibt, die längst die gesamte Summe — etwa 220 Euro für einen
Haushaltsvorstand monatlich — in Bargeld auszahlen. Der Kreis Oberhavel
hingegen hält eisern an den Gutscheinen fest.
Wenn ein Asylbewerber beispielsweise bei Penny an der Kasse steht und mit
Gutscheinen bezahlen will, muss er zunächst seinen Ausweis vorlegen, in
Gegenwart der Kassiererin den Wertschein unterschreiben und wenn die Summe
nicht genau aufgeht, für die Differenz irgendetwas kaufen. Das kostet Zeit,
das führt zu Aufsehen und alle Augen wenden sich auf den Asylbewerber, der
sich gebrandmarkt fühlt. Er hält sozusagen den Laden auf, wird eventuelle
sogar aus der langen Warteschlange heraus beschimpft. Kinder würden es
längst ablehnen, sich diesem Martyrium zu unterziehen, schon, um nicht von
ihren Mitschülern gehänselt zu werden.
Wozu, so könnten Unbeteiligte fragen, müssen die Asylbewerber überhaupt
Bargeld in Händen haben? Alma Krasniqi aus dem Kosovo versucht es zu
erklären: “Wir brauchen fast alle einen Anwalt, den müssen wir bezahlen, wir
müssen nach Hause telefonieren, dafür brauchen wir eine Telefonkarte.”
Außerdem sei sie Raucherin, könne im Moment nicht davon lassen, aber
Zigaretten, Tabak, Bier oder Wein wären für Wertgutscheine nicht zu haben -
eine weitere Diskriminierung, wie es die ausländischen Mitbürger empfinden.
Das alles führt dazu, dass die Kriminalität, die man auszuschalten
versuchte, begünstigt wird. Denn es gibt natürlich “Händler”, die den
Betroffenen die Papiercoupons unter Wert abkaufen und ihr Geschäftchen damit
machen.
Und auch sparen könne man diese Gutscheine nicht, klagt Hervais Jiofack aus
Kamerun, denn sie wären jeweils nur ein bis zwei Monate gültig.
Noch etwas anderes führen die Mitglieder von “Ratschlag” ins Feld: die hohen
Druck- und Verwaltungskosten, die durch die Gutscheinaktionen entstehen und
die man für die Asylbewerber viel nutzbringender einsetzen könnte: für
interkulturelle Begegnungsstätten zum Beispiel.
Die Hennigsdorfer Flüchtlingsinitiativen organisieren derweil
“Einkaufspartnerschaften”. Die funktionieren so: Ein deutscher Bürger
bezahlt seinen Einkauf mit den Gutscheinen eines Asylbewerbers. Der muss zum
Unterschreiben dabei sein. Den Wert erhält er dann als Bargeld ausgehändigt.
Die Initiativen sehen darin auch “eine schöne Geste vorweihnachtlicher
Nächstenliebe”. Infos gibt es bei Simone Tetzlaff in der Sozialen Beratungs-
und Begegnungsstelle für Flüchtlinge, 03302/22 29 18.