Neuhardenberg. Wie haben Sie das Ende des Krieges vor 60 Jahren in der Oderregion erlebt? Was bewegt Sie heute, wenn Sie an das Jahr 1945 denken? — fragen wir in unserer Serie “60 Jahre danach”. Heute berichtet Käthe Dumke aus Neuhardenberg.
Als Neunjährige erlebte ich, wie die Russen am 31. Januar 1945 in Kienitz einmarschierten. Ich wollte um 7.45 Uhr zur Schule gehen, als eine Frau aus dem Dorf kam und immer rief, die Russen sind da. Wir sahen, wie sie auf der Straße nach Kienitz/Nord marschierten.
Ich hatte nur noch einmal pro Woche Unterricht, da unsere Schule voller Flüchtlinge aus Ostpreußen war. Auch im Hafen lagen viele Kähne, die seit Anfang Dezember, die aufgrund des starken Frostes und der Vereisung der Schifffahrtswege, nicht mehr weiter fahren konnten. Meine Mutter versuchte vormittags mehrmals zum Bäcker durchzukommen, da sie noch Brotmarken hatte und es war der 31. Zwischen 12 und 12.30 Uhr gelang es ihr.
In dieser Zeit konnte mein Vater von Voßberg (Zuckerfabrik) nach Hause. Dort wurde angerufen, dass die Russen in Kienitz sind und er wollte bei seiner Familie sein. Am Nachmittag kamen die ersten Russen und durchsuchten unser Haus.
Am 1. Februar 1945 quartierten sie sich bei uns ein, besetzten Wohn- und Schlafzimmer. Wir drei saßen in der Küche. In der Nacht vom 1. zum 2. Februar rückte das Deutsche Militär bis zum Bahnhof vor und schoss auf das Dorf. Die Russen flüchteten aus unserem Hau, und wir auch. Drei Häuser weiter, bei Bekannten, fanden wir Aufnahme. Dort mussten wir am 3. Februar auch raus.
Mein Vater kam auf die Idee, wir versuchen nach Groß Neuendorf zu flüchten. Als wir mit unserem Handwagen an der Mühle in Kienitz waren, wurden wir von den Russen zurück geholt. Wir Kinder wurden von den Eltern getrennt und weinten furchtbar. Unsere Mütter kamen wieder, aber nicht die Väter. Wir zogen zurück ins Dorf in die Nähe der Schule. In dieser Nacht wurde unser Ort von deutschen Fliegern bombardiert. Das Hauptquartier der Russen lag in der Schule. Unsere Mütter mussten dort für die Russen kochen. Am 5. Februar haben uns die Russen geraten, den Ort in Richtung Osten zu verlassen, da es jetzt Kampfgebiet werde.
Am 6. Februar sind wir mit Handwagen über die Oder. Das Wasser stand schon auf dem Eis, denn inszwischen hatte Tauwetter eingesetzt. Mit nassen Füßen musste ich an diesem Tag 14 Kilometer laufen. Als wir zur Oder zogen, kamen schon wieder deutsche Flieger und warfen Bomben, vor allem die Kähne im Hafen waren betroffen. Dorthin hatten sich auch viele Kienitzer geflüchtet.
Am 7. Februar hat uns mein Vater wieder gefunden. Er war schon am 4. Februar über die Oder im Glauben, wir wären schon rüber. Er war dann bis zum 22. Februar noch bei uns. Dann wurde er von den Russen mit genommen, und ich habe bis heute noch kein Lebenszeichen von ihm. Wir mussten dann bis Landsberg/Warthe flüchten. Alle Stationen hier aufzuzählen, würde wahrscheinlich den Rahmen sprengen.
Anfang April, gleich nach Ostern, machten wir uns auf die Rückreise in Richtung Heimat, immer mit unserem Handwagen. Unterwegs warnten uns die Russen: nix Odra, Krieg. Wir wollten das gar nicht glauben. Viel mehr überlegten unsere Mütter wie wir wohl über die Oder kommen. Dann erfuhren wir, dass bei Kienitz eine Brücke gebaut war, und so kamen wir Kinder mit unseren Müttern am 28. April 1945 in einem völlig zerstörtem Kienitz an. Nichts ahnend, dass der Krieg noch gar nicht zu Ende ist. Unser Haus war unbewohnbar. Wir konnten bei Bekannten wohnen.