(Doris Steinkraus, MOZ) SEELOW Rund 300 Gäste nahmen gestern an einer wissenschaftlichen Konferenz im Kreiskulturhaus teil, mit der in Märkisch-Oderland offiziell der Veranstaltungsreigen zum Ende des Zweiten Weltkrieges eröffnet wurde. Gastgeber waren der Landkreis und die Landeszentrale für politische Bildung.
Zu DDR-Zeiten habe es zweifellos eine zu einseitig ausgerichtete Betrachtung auf die Ereignisse gegeben. Doch eine Vokabel wollte der Präsident des Landtages, Gunter Fritsch, mit Blick auf 60 Jahre Kriegsende ganz offiziell genannt wissen — Befreiung. Deutschland, Europa und die Welt sei von dem menschenverachtetenden Naziregime befreit worden. Diese historische Tatsache sollte niemand ausblenden. “Erinnerung darf nicht verwässert oder überlagert werden”, mahnte Fritsch mit Blick auf die Ereignisse im sächsischen Landtag. Es werde immer Konflikte in der Welt geben. Sie gewaltfrei zu lösen, sei eine Fähigkeit, die Menschen erlernen müssten. “Und es ist unsere Aufgabe, der Jugend unsere Erfahrungen weiterzugeben.”
Gunter Fritsch erinnerte daran, dass bis heute Tausende Gefallene unterschiedlicher Nationalitäten in märkischem Boden verscharrt liegen. Er würdigte die jahrzehntelange Arbeit des Umbetters Erwin Kowalke aus Buckow, “der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, den unzähligen Namenlosen eine Identität zu geben”. Der amtierende Landrat Michael Bonin machte deutlich, dass der 60. Jahrestag die letzte Möglichkeit darstelle, mit Menschen, die das schreckliche Geschehen bewusst miterlebt haben, ins Gespräch zu kommen. Bonin zitierte Richard von Weizsäcker, der schon vor 20 Jahren mahnte: “Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.”
In den Vorträgen des Tages wurde die strategische Bedeutung der einzelnen Aktionen sowohl der Roten Armee als auch der Wehrmacht und der Alliierten deutlich. Längst sei den Generälen der Wehrmacht klar gewesen, dass der Tag der Niederlage naht. Professor Dr. Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam ließ die Ereignisse Revue passieren. Im Januar 1945 hatte sich die Weichsellinie aufgelöst. Die Verbände der Wehrmacht zogen sich zur Oderlinie zurück. In erbitterten Gefechten wurden der Roten Armee schwere Verluste beigebracht.
Die große Offensive, die am 16. April mit der Erstürmung der Seelower Höhen begann, hätte jedoch ganz offensichtlich nicht so verlustreich sein müssen, wie sie letztlich war. Das machte Müllers Historiker-Kollege Kurt Arlt vom gleichen Institut in seinem Vortrag deutlich. “Mit der Schlacht um die Seelower Höhen erwarb sich die Rote Armee kein Ruhmesblatt”, stellte Arlt klar. Und belegte es mit interessanten Details. General Shukow wollte bereits im Februar den großen Angriff starten. Das jedoch lehnte Stalin mit seinem Stab ab. Man wollte den Angriff auf sichere Füße stellen. Dass die Schlacht um die Seelower Höhen oft im Schatten der Berliner Ereignisse stand, habe schlichtweg auch mit der wenig ruhmreichen Kampfführung Shukows zu tun gehabt. Schon 1946 habe es eine Konferenz gegeben, in der man über die immensen Opfer bei dieser Operation referierte. Es sei deutlich geworden, dass hier viele fehlerhafte Entscheidungen getroffen wurden, die zusätzliche Tote bescherten und die normalerweise Fälle für ein Kriegsgericht waren. Arlt nannte Beispiele. Shukow habe eine völlig überdimensionierte Dichte an Menschen und Gerät aufmarschieren lassen. So fehlte den Panzern die nötige Bewegungsfreiheit. Mitunter wurde die eigene Infanterie überfahren wie auch Bomber der Roten Armee eigene Stellungen trafen, weil die Aufklärung mehr als mangelhaft war.
Auch der Einsatz der Flakscheinwerfer stelle sich als unsinnige — deshalb wohl auch einmalige — Aktion dar. Shukow wollte damit militärisches Neuland betreten, fand aber in den eigenen Reihen viele Kritiker. Die Scheinwerfer sollten die deutschen Stellungen auf den Seelower Höhen bloß stellen. In Wirklichkeit sorgten die unzähligen Granat- und Geschosseinschläge für undurchdringliche Wolken aus Rauch und Staub, die die Sicht sogar noch erschwerten.
In keiner anderen Schlacht des Krieges, weder bei Stalingrad noch bei Moskau oder Kursk, habe es so hohe Tages-Verluste gegeben wie bei der Operation Berlin, so der Historiker. Im Durchschnitt starben täglich mehr als 15 700 Soldaten oder wurden verletzt. Shukows Armee hatte mehr als 200 000 Tote zu beklagen, mehr als 150 000 wurden verletzt. Und das seien nur die von der Generalität eingeräumten Verluste. Gut möglich, dass sie noch höher waren. Alles in allem sei diese letzte große Schlacht keine Meisterleistung der sowjetischen Kriegsführung gewesen und habe wohl auch deshalb nie so im Mittelpunkt gestanden.
Der Leiter des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst, Dr. Peter Jahn, deutlich, wie sich die Erinnerung an den Krieg auch in der Sowjetunion gewandelt hat. So lange Stalin lebte, war er der große Lenker, dann war es das Volk. Heute jedoch sehe man das Agieren der Roten Armee differenziert, räume ein, dass es Strafbataillone und viele Übergriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung gab. Bis heute eine jedoch der Sieg der Roten Armee über Hitlerdeutschland die Völker der einstigen Sowjetunion. Junge Brautleute würden bis heute an den Kriegsdenkmälern Kränze nieder legen. Zu der Konferenz waren alle weiterführenden Schulen des Kreises eingeladen. Lediglich das Oberstufenzentrum Märkisch-Oderland nutzte das Angebot. Eine kleine Gruppe verfolgte die Konferenz, wobei besonders der erste sehr wissenschaftlich gehaltene Vortrag schwere Kost bedeutete. Er setzte viel Detailkenntnis voraus.
Zu den Gästen gehörten neben Vertretern zahlreicher Institutionen und Einrichtungen Vertreter der Botschaft der Russischen Förderation und des Russisches Hauses für Kultur in Berlin. Auch der Vize-Landrat des polnischen Partnerkreises Mysliborz nahm an der Konferenz teil. Beim Sturm auf die Seelower Höhen agierten rund 9000 Soldaten der Polnischen Armee. Etwa 5000 fanden den Tod.
Teilnehmer verwiesen auf die Notwendigkeit korrekter Formulierungen. So sei im Zusammenhang der Schlachten immer wieder von russischen Soldaten und der russischen Armee die Rede. Solch eine Formulierung schließe die Beteiligung der vielen anderen Nationalitäten — von Ukrainern über Weißrussen bis hin zu Moldaviern aus. Gekämpft hat die Rote Armee bzw. Soldaten der Sowjetunion.
Für den organisatorischen Part des Tages zeichnete die Kultur GmbH verantwortlich. Das Team des Kulturhauses wurde dabei von Auszubildenen der Kreisverwaltung und des Technischen Hilfswerkes unterstützt.
Als Rotarmist zurück nach Berlin
Seelow (dos/MOZ) Zu den wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die die Schlacht um die Seelower Höhen als Soldat miterlebten, gehört der am 21. Juni 1924 in Berlin geborene Stefan Doernberg. Der heute 80-Jährige nahm gestern an der Konferenz in Seelow teil. Doernbergs Familie musste während der Naziherrschaft ins Exil gehen. Stefan Doernberg machte 1941 in Moskau das Abitur. Am Tag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion meldete er sich am 22. Juni 1941 freiwillig bei der Roten Armee. Er nahm als Leutnant der 8. Gardearmee an den Kämpfen um Seelow teil.
Er wirkte seit Beginn der 60er Jahre in der Friedensbewegung der DDR, wurde 1971 Generalsekretär des DDR-Komitees für €päische Sicherheit und Zusammenarbeit, später dessen Präsident. Von 1990 an wirkte er im Deutschen Komitee für €päische Sicherheit und Zusammenarbeit bis zu dessen Auflösung im Jahre 2000 mit.
Er war Mitglied des Beirates der Geden
kstätte Seelow, der sich in die inhaltliche Umstrukturierung der Gedenkstätte einbrachte. Über seine ungewöhnliche Heimkehr vor 60 Jahren in sein Heimatland berichtet Professor Stefan Doernberg u.a. in der Reihe “Seelower Hefte”. Im Teil 3 “Moskau-Seelow-Berlin” schildert er die Ereignisse von damals, setzt sich dabei auch mit Themen wie Vergewaltigung oder Plünderungen durch die Rote Armee auseinander. Das Heft ist in der Gedenkstätte erhältlich.Seelow/Neuhardenberg (dos/MOZ) “Oderland. Reiner Tisch” ist der Titel einer Ausstellung der schwedischen Bildhauerin Hanna Sjöberg. Sie wird am 25. Februar um 18 Uhr im Kreiskulturhaus Seelow eröffnet. Die Künstlerin hat sich in einer ähnlichen Ausstellung 1995 im Kunstspeicher Friedersdorf schon einmal mit der Problematik der Vertreibung auseinandergesetzt. Ihre ungewöhnliche Inszenierung von Erinnerung galt der einst blühenden preußischen Stadt Küstrin. “Ein Tisch für Küstrin” hatte sie ihre vielbeachtete Ausstellung überschrieben. Im Schloss Neuhardenberg widmet sich die Ausstellung “Bodenfunde. Oderland” vom 20. März bis zum 8. Mai ebenfalls der Thematik Kriegsende und die Folgen. Beide Ausstellungen werden von der Sparkasse Märkisch-Oderland unterstützt.