Diese klare Septembersonne mag sie. „Ideales Sommersprossenwetter”, sagt Anetta Kahane. Sie gehört zu den raren Rothaarigen, die ihre Sommersprossen lieben. Die sich annehmen, so wie sie sind. Eine gute Voraussetzung, um immer wieder den Kopf hinzuhalten, wenn andere wegsehen. Anetta Kahane macht seit zwölf Jahren Jobs, bei denen man beinahe jeden Tag gegen Wände rennt. Sie hat dabei viele Leute mitgezogen. Der ersten Ausländerbeauftragten Ost-Berlins seit Mai 1990, Gründerin der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen (RAA) im Jahr darauf und der Amadeu-Antonio-Stiftung 1998 wird heute der Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin verliehen. Hat es sich also gelohnt? „Wenn man das alles aufzählt, hat man das Gefühl, etwas gemacht zu haben”, sagt Anetta Kahane mit einem strahlenden Lächeln. An einem sonnigen Sonntagmorgen in ihrem Lieblingscafé in Prenzlauer Berg beschreibt die 48-Jährige ihr Netzwerk interkultureller Verständigung und Erziehung und gegen die rechte Gewalt mit insgesamt knapp 200 Mitarbeitern in bundesweit 19 Regionalstellen, im Zentrum für demokratische Kultur und in Beratungsteams. Als im Herbst 2000 nach Übergriffen auf Synagogen der „Aufstand der Anständigen” ausgerufen wurde, startete das Bundesjugendministerium mit zehn Millionen Euro jährlich das „Civitas”-Programm. Die inhaltliche Beratung macht Anetta Kahanes Amadeu-Antonio-Stiftung. Ihr Konzept setzt sich durch: Weitere Beratungsteams gegen Rechtsextremismus werden in die Kommunen geschickt, zivilgesellschaftliche Jugendinitiativen unterstützt und Gewalt-Opfern geholfen. Aber gegen die „braune Flut”, gegen die sie und ihre Mitstreiter antreten, sei das alles nicht genug, sagt Kahane. Die „starke völkische Strömung” vor allem in ostdeutschen Kommunen sei „eine deutsche Katastrophe”, gegen die ein mobiles Beraterteam pro Bundesland und ein alternatives Jugendzentrum pro Region nicht ankomme. Wenn ein junger Mensch Solidarität nur in rechten Kreisen findet, wenn es ein rechter Meister ist, der ihm einen Ausbildungsplatz anbietet und das Jugendzentrum, in das er abends geht, auch noch in rechter Hand ist – „dann gibt es keinen Grund, nicht Rechts zu sein”. Anetta Kahanes Initiativen versuchen, in den Dörfern und Städten ein anderes Klima zu schaffen. Ein alternatives Netz zur rechten Szene, in dem Jugendliche Freunde und Jobs finden, könne man aber nur mit Partnern aus der Kommune aufbauen: Bürgermeister, Pfarrerin, Polizei. In Eberswalde, wo 1992 Amadeu Antonio von Rechten erschlagen wurde und nach dem sich Kahanes Stiftung benannte, funktioniere das Netzwerk ansatzweise. Und wenn ein von ihr mitorganisiertes Konzert „Rock gegen Rechts” gut ankommt, freut sich Kahane: „Wir haben die besseren Partys.” Später wird sie sagen, in diesem Sommer sei sie „ins Grübeln” gekommen. Alles sinnlos? Ach nein, sagt Kahane. Es war nur der neue Antisemitismus, der seine Rechtfertigung in der israelischen Politik suche. Die neue Generation, die mit dem Antisemitismus noch einmal von vorne anfange. Die Südamerika-Expertin bekam schnell mit, dass Ostdeutschland ein Toleranz-Problem hatte. Bis heute fühlen sich Leute in den Gemeinden „stigmatisiert”, wenn Kahane mit ihren Teams Partner sucht. „Dann steht man an der Straße und macht so, wenn einer vorbeikommt”, klagte eine Jugendclubleiterin in der Uckermark und hob den rechten Arm, „dann gilt das als Hitlergruß.” Anetta Kahane hätte diese Frau nie kennen gelernt, wenn nicht Cem Özdemir gewesen wäre. Der wollte „mal mit Rechten diskutieren”. Ein typischer naiver Politiker-Wunsch, findet Anetta Kahane. Sie trifft sich lieber mit Leuten, die widerstehen wollen und denken wie sie: „Der Vergeblichkeit ins Auge geblickt, kann man es ja mal versuchen.” Die Septembersonne strahlt. Anetta Kahane begrüßt eine Freundin. Die beiden stecken die Köpfe zusammen. Heute wird gegen keine Wand mehr angerannt.
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