(Berliner Zeitung) POTSDAM. Der Auftritt des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt bei einer
Friedensdemonstration am vergangenen Freitag in Fürstenwalde sorgt für
Empörung. Nach einem Bericht in einer Regionalzeitung, für dessen
Verbreitung die NPD selbst sorgte, hatte der Vorsitzende der
Stadtverordnetenversammlung Günter Lahayn (SPD) auf der Kundgebung Voigt
bewusst das Wort erteilt.
Demokratie zu lernen sei eben schwer, begründete der Kommunalpolitiker sein
Vorgehen, das zu einem Eklat führte. Ein Großteil der rund 100
Kundgebungsteilnehmer habe sich bei der Rede Voigts abgewandt, heißt es in
dem Bericht.
Auf der Kundgebung sollen auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg
Vogelsänger und der PDS-Landtagsabgeordnete Stephan Sarrach gesprochen
haben. “SPD, PDS und NPD demonstrieren gemeinsam gegen US-Angriffskrieg”,
schlussfolgerte die NPD nach der Demonstration. Der Vorfall soll heute
wahrscheinlich auf der Landtagssitzung in Potsdam zur Sprache kommen, hieß
es in Potsdam.
NPD-Chef durfte bei Friedensdemo reden
Fürstenwalder SPD-Politiker setzte Udo Voigt auf Rednerliste / PDS und CDU
empört
POTSDAM Heftigen Wirbel hat ein Auftritt des Bundeschefs der rechtsextremen
NPD, Udo Voigt, bei einer Friedensdemonstration in Fürstenwalde (Oder-Spree)
ausgelöst. Veranstalter am vorigen Freitag war ausgerechnet die “Plattform
gegen Rechts”, ein Bündnis aus SPD, PDS, Grüne, der Kirche und zahlreichen
Verbänden. Für Empörung sorgte besonders der Fürstenwalder
SPD-Stadtverordnetenchef Günter Lahayn. Der hatte den NPD-Chef auf die
Rednerliste gesetzt.
“Das war unüberlegt”, ärgerte sich gestern der PDS-Landtagsabgeordnete
Stefan Sarrach, der selbst an der Veranstaltung teilnahm. Aus Protest wandte
der Großteil der Teilnehmer Voigt während der Rede den Rücken zu. Danach sei
er auf die Bühne gegangen und habe sich von dem “unerträglichen Auftritt”
distanziert, sagte Sarrach. An der Veranstaltung nahmen auch 50 Anhänger der
NPD teil.
Die CDU sprach von einem “Skandal”. CDU-Landesvize Sven Petke sagte: “Die
örtliche SPD konterkariert die Bemühungen des Landes gegen
Rechtsextremismus.” SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness räumte ein, es sei
ein Fehler von Lahayn gewesen, Voigt reden zu lassen. “So etwas darf nicht
wieder passieren.” Es dürfe keine gemeinsamen Aktionen mit der NPD geben.
Ness sagte aber auch, es habe sich um eine von der NPD “inszenierte
Provokation” gehandelt. Lahayn wollte sich gestern zu den Vorwürfen nicht
äußern.
Instinktlos
MAZ-Kommentar von Igor Göldner
In die vielen Friedensdemonstrationen gegen den Irak-Krieg haben sich in
jüngster Zeit auch zunehmend Rechtsextremisten gemischt. Mit
antiamerikanischen Slogans erhoffen sie sich Akzeptanz in der Bevölkerung
und ein Ende der gesellschaftlichen Ausgrenzung. In Fürstenwalde ist diese
Strategie aufgegangen und damit der Skandal perfekt. Ausgerechnet der
Bundesvorsitzende der rechtsextremen NPD erhielt vom örtlichen
SPD-Stadtverordnetenchef bei einer Kundgebung vor dem Rathaus offiziell ein
Rederecht. Dort konnte der NPD-Mann seine Hasstiraden auf Amerika ungestört
ablassen. Die Empörung ist zu Recht groß. Zwar wandten sich die
Kundgebungsteilnehmer während der Rede ab, doch bleibt der Vorgang höchst
blamabel. Was muss dem veranstaltenden SPD-Vertreter nur durch den Kopf
gegangen sein? Er hat eine fremdenfeindliche Partei auf eine Stufe mit den
anderen Parteien gestellt. Die gute Absicht einer solchen Veranstaltung hat
sich dadurch ins Gegenteil verkehrt. Der Vorfall sollte ein Nachspiel haben
und darf sich nicht wiederholen. Die Landes-SPD muss für Aufklärung sorgen.
Denn über eine solche politische Instinktlosigkeit freuen sich am Ende nur
die NPD und ihre Anhänger.
SPD und NPD gemeinsam für den Frieden
Der Vorsteher des Fürstenwalder Stadtparlaments lässt den Chef der
Rechtsextremen sprechen
(Tagesspiegel) Fürstenwalde. Sie wollten noch ein Friedenslied singen, doch der
Sozialdemokrat würgte die Gruppe ab. Zugunsten eines bekannten
Rechtsextremisten. NPD-Chef Udo Voigt war am Freitag nach Fürstenwalde
gekommen, um mit 30 Kurzhaarköpfen bei der wöchentlichen Demonstration gegen
den Irak-Krieg mitzumischen. SPD-Mann Günter Lahayn, Vorsteher des
Stadtparlaments und Veranstalter der Kundgebung, entzog den Pazifisten das
Mikrofon — und überließ es, wie abgesprochen, dem Anführer der Rechten.
Voigt strahlte, dann hetzte er gegen die USA. Die 100 Friedensfreunde auf
dem Marktplatz waren geschockt. Einige versuchten, ihm den Strom für das
Mikrofon abzudrehen, andere wandten Voigt den Rücken zu. Und sangen aus
Leibeskräften “We shall overcome” und Nenas Antikriegshit “99 Luftballons”.
Nun braut sich auch im Land reichlich Empörung zusammen. Lahayn habe einen
“unverzeihlichen Fehler” gemacht, sagt SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness.
Es sei “unerhört, dass sich schon wenige Monate nach der Solidarität der
Demokraten für ein NPD-Verbot ein führender Repräsentant der SPD mit der NPD
gemein macht”, wettert CDU-Chef Jörg Schönbohm. Auch dem Vorsitzenden der
PDS-Landtagsfraktion geht jedes Verständnis ab: “Es kann nicht sein, dass
Friedenskampf und Fremdenfeindlichkeit Hand in Hand gehen”, mahnt Lothar
Bisky. Abgeordnete des Landtags, die ungenannt bleiben möchten, wollen den
Vorfall in der heutigen Sitzung zur Sprache zu bringen.
In Fürstenwalde gärt es ebenfalls. “Das war ein starkes Stück”, ärgert sich
Pfarrer Jörg Hemmerling, der zu den Freitagsdemos aufruft. Lahayn habe
während der Veranstaltung allen Protest gegen Voigts Auftritt abgewehrt,
ärgert sich Hemmerlings Frau Cornelia, die mit den singenden Jugendlichen
das Mikrofon an den NPD-Chef abgeben musste. Bei der “Plattform gegen
Rechts”, einer lokalen Initiative von Parteien, Kirchen und Bürgern, spricht
man von einem “Skandal”. Zumal Lahayn bei der Plattform mitmacht. Außerdem
warnt das Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit exakt seit Freitag vor Neonazis, die für Frieden
demonstrieren.
“Ich gebe das Mikrofon frei für jeden”, sagt der 70-jährige Sozialdemokrat.
Wer wolle, könne bei der Friedensdemo “seinen Dampf ablassen”. Hat er
wirklich, wie die NPD in einem Flugblatt jubiliert, am Freitag verkündet, er
werde “jeder demokratischen Partei” Rederecht einräumen? Lahayn druckst,
“vorstellbar wär das schon”. Zählt er die NPD zu den Demokraten? “Wenn das
Bundesverfassungsgericht nicht in der Lage ist, die Partei zu verbieten,
grenze ich sie nicht aus.” Im übrigen habe die NPD zwei Mandate im
Stadtparlament. Lahayn holt Luft. Er habe auch vermeiden wollen, dass die
Rechten aggressiv werden und “Schaden anrichten”. Fürstenwalde sei “eine
offene, gastfreundliche und investorenfreundliche Stadt”, betont der
SPD-Politiker, “da können wir rechte Krawalle nicht gebrauchen”.
Wie geht es kommenden Freitag weiter? Lahayn antwortet wolkig, er werde sich
“strategisch anders vorbereiten”. Die Plattform gegen Rechts will zwei
gigantische Transparente mitbringen: Auf jeweils 41 Metern Länge wird man
gegen den Krieg und “gegen Nazis auf Friedensdemos” protestieren. Die NPD
freut sich jedoch auf die nächste Provokation. Sie wolle, heißt es in ihrem
Flugblatt, auch künftig bei “Friedensaktivitäten” Flagge zeigen — “nicht nur
in Fürstenwalde”.
Extrem tolerant
Tagesspiegel-Kommentar
“Tolerantes Brandenburg” einmal anders: Während die Landesregierung mit
einem Programm dieses Namens versucht, gegen Engagement gegen Rassismus und
Rechtsextrem
ismus zu stärken, verstehen manche Brandenburger “Toleranz” als
Freibrief für Extremisten. Der Fürstenwalder Sozialdemokrat Lahayn lässt bei
einer von ihm organisierten Friedenskundgebung ausgerechnet den Chef der
unfriedlichsten Partei Deutschlands auftreten, den NPD-Vorsitzenden Udo
Voigt. Auch hinterher mangelt es dem Vorsteher der
Stadtverordnetenversammlung von Fürstenwalde weitgehend an Einsicht. Obwohl
Lahayn selbst die Kommune in einer Initiative gegen Rechtsextremismus
vertritt. Von Rücktritt ist selbstverständlich keine Rede, auch nicht bei
den anderen Parteien, trotz aller Kritik. Na bitte: Brandenburg lässt sich
in seiner Toleranz nicht übertreffen. Es sei denn, unbrandenburgisch
wirkende Menschen setzten einen Fuß in dieses Land und wollten hier
vielleicht ein wenig bleiben oder sogar Geld verdienen. Wie wird jetzt den
potenziellen Opfern rechter Gewalt zumute sein, wenn ein
sozialdemokratischer Toleranz-Aktivist mit Rechtsextremisten kungelt?
Neonazi unterm Friedensbanner
SPD-Politiker erteilte auf Antikriegskundgebung in Fürstenwalde NPD-Chef Voigt das Wort
(Junge Welt) Stolz brüstete sich die neofaschistische Partei NPD am Dienstag abend, »Sozialdemokraten, PDS, kirchliche Gruppen und Nationaldemokraten« hätten gemeinsam »gegen die Aggressionspolitik der USA und deren Vasallen« demonstriert. Hintergrund der Pressemitteilung war eine Friedenskundgebung in Fürstenwalde/Spree am vergangenen Freitag, bei der der NPD-Vorsitzende Udo Voigt auf der Bühne als Redner Stellung beziehen durfte. Der NPD-Erklärung konnte Stephan Sarrach (PDS), ebenfalls Redner auf der Antikriegsveranstaltung, auf Nachfrage von junge Welt nur wenig entgegensetzen. Günther Lahayn (SPD), Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, hätten dem Neofaschisten tatsächlich ohne Absprache mit der Friedensinitiative das Wort erteilt. Seine Entscheidung begründete Lahayn auf der Kundgebung mit der Freiheit auf Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft.
Sarrach selbst sei nach seinen Angaben aber auch initiativ geworden. Gemeinsam mit rund 90 anderen Demonstrationsteilnehmern habe er dem Rednerpult demonstrativ »den Rücken zugekehrt und Friedenslieder gesungen«. Auch für den Dompfarrer der Gemeinde, Jörg Hemmerling, war diese »deutliche Form des Protests« der richtige Weg. Stolz verkündete Sarrach zudem, »vier- bis fünfmal die Stromzufuhr für die Bühne gekappt« zu haben, wodurch das Mikrofon bei der zehnminütigen Rede Voigts zu zwei Dritteln der Zeit ausgefallen sei.
Außerdem hätten Jugendliche sofort auf die Aktion reagiert und Flugblätter verteilt, auf denen sie dazu aufriefen, »keine Solidarität mit Nationalisten« zu bekunden.
Auf die Frage nach Konsequenzen aus dem Fall blieb Sarrach zurückhaltend bis vage. Man müsse nun »gemeinsam diskutieren« und klären, »wie es weitergeht«. Es sei wichtig, Lahayn klarzumachen, daß er »einen Fehler« gemacht habe, ihn nun aber von der Demonstrationsleitung oder gar aus dem Stadtparlament auszuschließen, hält Sarrach für »übertrieben«. Auch Hemmerling ist der Ansicht, daß eine »Aussprache« zwar notwendig sei, alles andere sei aber nicht »Sinn der Sache der Friedensbewegung«.
Siehe auch den Indymedia-Bericht NPD-Chef Voigt redete bei Friedenskundgebung in Fürstenwalde