“Ich wollte, dass es nicht eskaliert”
Im brandenburgischen Fürstenwalde ließ ein SPD-Politiker den
NPD-Vorsitzenden Voigt auf einer Friedensdemo reden. Er hatte Angst vor
Auseinandersetzungen mit NPD-Anhängern. Der Sozialdemokrat ist Mitglied
der
örtlichen “Plattform gegen Rechts”
(TAZ, de Paez Casanova) Naivität, Überforderung oder Kapitulation vor der rechten Szene? Am
vergangenen Freitag erteilte der Vorsteher des Stadtparlaments von
Fürstenwalde in Brandenburg, der SPD-Abgeordnete Günter Lahayn, dem
Bundesvorsitzenden der NPD, Udo Voigt, auf einer Demonstration gegen
den
Irakkrieg das Wort. Zuvor hatte er Pazifisten, die noch ein
Friedenslied
singen wollten, das Mikrofon entzogen. Besonders pikant an dem Vorfall:
Der
SPD-Kommunalpolitiker gehört dem regionalen Bündnis “Plattform gegen
Rechts”
an, das die wöchentliche Friedensdemonstration organisiert.
Der SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness sprach gestern von einem
“peinlichen Vorfall”, einer “Fehleinschätzung” des Kommunalpolitikers
und
einem “heilsamen Schock”. Bei der morgigen Demonstration werde es neben
Transparenten gegen den Krieg auch Transparente gegen die Vereinnahmung
durch Rechte geben. Zudem wollte sich Lahayn gestern Abend bei der
Plattform
gegen Rechts “öffentlich entschuldigen”. Ness sprach aber auch von
einer
“bewussten Provokation”. Es sei kein Zufall, dass zu der dritten
Kundgebung
im Ort NPD-Anhänger und Fernsehteams von dem SFB-Programm “Kontraste”
erschienen seien.
Der 70-jährige Lahayn nannte sein Verhalten gestern eine “unglückliche
Entscheidung” und lieferte eine seltsame Erklärung: “Ich wollte, dass
es
nicht eskaliert.” Unter den Demonstranten seien dreißig NPD-Anhänger
gewesen
und er habe “große Sorge” gehabt, dass es zu Auseinandersetzungen
komme,
wenn er sie “ausgrenze”.
In Fürstenwalde gibt es eine starke rechte Szene. Nach den
Kommunalwahlen
1998 zog die NPD mit zwei Vertretern in die Stadtverordnetenversammlung
ein.
In der gestrigen Landtagssitzung wurde der Vorfall nicht thematisiert.
Anträge für die aktuelle Fragestunde müssen zwei Tage im Voraus
gestellt
werden.
Am gleichen Tag, an dem der NPD-Bundesvorsitzende seinen Auftritt
hatte,
hatte das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit
Hinweise zum Umgang mit Rechtsextremen auf Friedensveranstaltungen
herausgegeben. Darin heißt es, dass dies “eine neue Herausforderung
politischer Auseinandersetzung” sei.
Wolfram Hülsemann vom Mobilen Beratungsteam sagte gestern, dass es bei
vielen Menschen “einen Mangel an zureichender Interpretation” des
gescheiterten Verbotsantrags der NPD gebe. “Viele gehen davon aus, was
legal
ist, sei demokratisch legitim.” Hülsemann ist sicher, dass es bei der
morgigen Demonstration zu einer “gewaltfreien Konfrontation zwischen
demokratischen und nicht demokratischen Kräften” kommen werde.
Heute Abend zum Thema NPD auf Antikriegsveranstaltungen: ARD, 20.15
Uhr,
“Kontraste”
Empörung über NPD-Auftritt bei Friedensdemo
FÜRSTENWALDE (Berliner Zeitung) Seit Kriegsbeginn demonstrieren jeden Freitag etwa 100
Aktivisten in Fürstenwalde: Sie fordern Frieden im Irak. Doch ihre
bisher
letzte Kundgebung führte zum Eklat. Denn am vergangenen Freitag ließ
SPD-Mann Günter Lahayn als Chef der Stadtverordnetenversammlung den
NPD-Bundeschef Udo Voigt auf dem Marktplatz reden. Dreißig Anhänger des
Rechtsextremisten bejubelten dessen antiamerikanischen Parolen. Die
anderen
Kundgebungsteilnehmer wandten sich demonstrativ ab.
Inszenierte Provokation
“Es ist ein skandalöser Vorgang”, wetterte Brandenburgs
CDU-Generalsekretär
Thomas Lunacek. Es dürfe einfach nicht sein, dass Demokraten und
verfassungsfeindliche Kräfte gemeinsam auf einem Marktplatz auftreten.
Wegen
dieser politischen Instinktlosigkeit forderte er die SPD auf, “ihren
Laden
in Ordnung” zu bringen.
Lahayn selbst sprach von einem schweren Fehler und hat sich dafür am
Mittwoch bei der örtlichen Friedensinitiative entschuldigt. Der Verein
wird
von der SPD, den Grünen, der PDS und den Kirchen getragen und
organisiert
die Friedensdemos. “Ich bin selbst Mitglied der Plattform gegen Rechts
und
wollte den Neonazis keine Bühne für ihre Parolen bieten”, sagte er. Er
sei
aber auch Opfer einer “inszenierten Provokation” geworden. Es sei
üblich,
dass auf den wöchentlichen Demonstrationen jeder reden darf. Die
NPD-ler
seien einfach auf die Bühne gekommen, während unten bereits linke
Teilnehmer
rebellierten. “Ich war überrumpelt, die NPD ist nicht verboten und ich
musste schnell eine Entscheidung treffen”, sagte der 70-Jährige. Er
habe
verhindern wollen, dass die ganze Sache eskaliert.
“Er war bestimmt ein wenig zu naiv und von der Situation auch
überfordert”,
sagte SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness. Das sei ein unverzeihlicher
Fehler, aber Lahayn habe sich bereits entschuldigt. Ob er nun von
seiner
Funktion im Stadtparlament zurücktreten müsse, könne nur vor Ort
entschieden
werden.
Der Skandal verdeutlicht ein Problem, das den Friedensaktivisten schon
seit
einiger Zeit bekannt ist. Überall in Deutschland versuchen
Rechtsextremisten, Friedenskundgebungen als Plattform für ihre
antiamerikanische und antisemitische Propaganda zu nutzen. Um dies zu
illustrieren, hatte sich das ARD-Magazin “Kontraste” auf die Suche
gemacht.
In Fürstenwalde, wo zwei NPD-Leute ein Mandat im Stadtparlament haben,
wird
jetzt gemutmaßt, dass diese Recherchen die NPD erst zu ihrer Aktion
veranlasst haben könnten. “Ich finde den Zufall zu zufällig, dass
ausgerechnet dann, wenn erstmals Neonazis bei unserer Demo auftauchen,
ein
Kamerateam dabei ist”, sagte Stephan Wende von der Friedensinitiative.
Die NPD nennt es Zufall, dass ihr Bundeschef genau am Drehtag Zeit
hatte, in
Fürstenwalde aufzutreten. Gleichzeitig kündigte die Partei an,
weiterhin an
Friedensdemonstrationen teilzunehmen. “Wir werden nicht nur am nächsten
Freitag in Fürstenwalde wieder präsent sein”, sagte NPD-Sprecher Klaus
Beier. Die Partei wolle erneut ins Stadtparlament und den Kreistag
einziehen. “Deshalb zeigen wir jetzt wieder verstärkte Präsenz”, sagte
er.
Lothar Bisky, der Chef der PDS-Landtagsfraktion, ist froh, dass sein
Fraktionskollege und Parteifreund Stefan Sarrach in Fürstenwalde gleich
nach
dem NPD-Auftritt auf die Bühne gegangen und gegen die
Instrumentalisierung
der Kundgebung durch die Neonazis protestiert hat. “Es diskreditiert
jede
Friedensdemonstration, wenn fremdenfeindliche, antisemitische und
antiamerikanische Kräfte teilnehmen”, sagte Bisky. “Wer wie die NPD im
Inneren Krieg gegen die sozial Schwachen und die Ausländer führt, ist
unglaubwürdig, wenn er gegen den Irak-Krieg auftritt.”
Die Kundgebung am Freitag in Fürstenwalde wird erstmals offiziell bei
der
Polizei als Demonstration angemeldet. Bisher war sie nur geduldet.
“Dann
können wir alle, die wir nicht haben wollen, des Platzes verweisen”,
sagte
Stefan Wende. “Wir stehen für eine starke Demokratie, stark auch gegen
die
NPD und ihren dumpfen menschenverachtenden Antisemitismus.”
POTSDAM (MAZ) Die Bewertung der Friedensdemonstrationen gegen den Irak-Krieg hatzu neuem Zündstoff in der Koalition geführt. Ministerpräsident Matthias
Platzeck (SPD) appellierte gestern an den Koalitionspartner CDU: “Die
Sicherheits- und Außenpolitik ist nicht Gegenstand der Landespolitik.”
Hintergrund ist eine Äußerung von Innenminister und CDU-Landeschef Jörg
Schönbohm. Der forderte unter anderem Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse
(SPD) auf, den USA und Großbritannien “zu danken”, dass sie den Irakern
Fried
en brächten. Dieses Ansinnen sei “unangemessen”, erwiderte
Platzeck und
verwies auf die vielen Fernsehbilder mit unschuldigen Toten und
Verletzten.
Platzeck sagte, er teile Schönbohms Meinung zum Krieg “im Grundgestus”
nicht, das sei bekannt. Auf die Frage, ob sich die Koalition nach dem
jüngsten Streit um eine US-Solidaritätsadresse der CDU nicht auf
“Mäßigung”
geeinigt habe, sagte Plat-zeck nur: “Ich glaube, dass ich dem Gebot der
Mäßigung Folge geleistet habe.” Intern hieß es, dass Plat-zeck über die
neuerlichen Vorstöße Schönbohms verstimmt sei. Dies würde das
Koalitionsklima weiter belasten, wird er zitiert.
Die CDU-Fraktionsvorsitzende Beate Blechinger indes vertrat gestern die
Auffassung, dass die Große Koalition solche Konflikte “aushalten”
müsse. “Es
wird immer wieder Dissens geben”, sagte sie der MAZ. Blechinger räumte
zugleich ein, dass solche Auseinandersetzungen zu “immer mehr
Reibungsverlusten in der Koalition” führen werden.
Platzeck, der auch SPD-Landeschef ist, distanzierte sich gestern
zugleich
scharf von dem Fürstenwalder SPD-Stadtverordnetenchef Günter Lahayn.
Der
hatte bei einer kürzlichen Friedenskundgebung dem NPD-Bundeschef Udo
Voigt
Rederecht eingeräumt, was für landesweite Empörung sorgte. “Ich kann
das
nicht nachvollziehen”, sagte Platzeck. Ein Vertreter der rechtsextremen
NPD
habe bei einer solchen Veranstaltung nichts zu suchen. Es hätte
geeignete
Formen gegeben, das zu verhindern, so Platzeck.
An der Veranstaltung nahm auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg
Vogelsänger teil. Öffentlich distanziert hatte sich vor Ort aber
lediglich
der PDS-Landtagsabgeordnete Stefan Sarrach.
Nach den Worten von CDU-Landesvize Sven Petke ist ein Schaden
entstanden,
der “eindeutig auf das Konto der SPD” geht. Die SPD müsse jetzt
klarstellen,
dass so etwas Konsequenzen haben müsse. Als Vorsitzender der
Stadtverordneten sei Lahayn nicht mehr tragbar, sagte Petke. Platzeck
betonte, es sei Sache der SPD vor Ort über Konsequenzen zu entscheiden.
Sarrach hielt der CDU vor, in ihren “lautstarken Reaktionen” zu
überziehen
und den Vorfall parteitaktisch auszunutzen. Er habe keinerlei
Interesse,
dass Lahayne jetzt nicht mehr für die “Plattform gegen Rechts” zur
Verfügung
stehe, sagte Sarrach.
Auch in der gestrigen Fragestunde im Landtag spielte das Thema eine
Rolle.
Sarrach wollte von Innenminister Schönbohm wissen, warum die CDU nicht
an
Antikriegsdemonstrationen wie in Fürstenwalde teilnehme. Schönbohm
erwiderte: “Wir sind keine Kaderpartei. Bei uns geht das Kollektiv
nicht zum
Demonstrieren.” Es gebe in der CDU Männer und Frauen, die gegen den
Krieg
sind und an Demonstrationen teilnehmen, betonte er.
Lahayn räumte gestern ein, einen Fehler gemacht zu haben. “Ich wollte,
dass
es nicht eskaliert. Aber es war eine unglückliche Entscheidung”, sagte
der
70-Jährige der dpa. “Ich hätte die Möglichkeit gehabt, zu sagen, Ihr
sprecht
nicht.” Seine Sorge sei es gewesen, dass es zu Auseinandersetzung
gekommen
wäre, “wenn ich sie ausgrenze”.
Potsdam/Fürstenwalde (MOZ). Der öffentliche Auftritt von NPD-Chef
Udo
Voigt auf einer Antikriegskundgebung in Fürstenwalde wird einhellig
kritisiert. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD)
bezeichnete den Vorgang am Mittwoch als «nicht nachvollziehbar». CDU-
und
PDS-Vertreter sprachen von einem «Skandal». Der Fürstenwalder
SPD-Stadtverordnete Günter Lahayn entschuldigte sich für sein
Verhalten. Er
hatte den NPD-Chef vergangenen Freitag auf die Rednerliste gesetzt.
Mit der Zulassung des NPD-Redners sei die Friedensbewegung
«konterkariert»
worden, kritisierte Platzeck. Die NPD könne «nicht im Geringsten» einen
Beitrag zum Frieden leisten. Die SPD werde deshalb die Vorgänge
untersuchen.
Ob das Konsequenzen für Lahayn habe, hätten die Parteigremien zu
entscheiden. Auch SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness sagte, er hoffe,
dass
dies ein einmaliger Vorfall bleibt. Lahayn habe sich für sein Verhalten
entschuldigt. Er habe eingesehen, dass dies ein Fehler war.
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) warnte, demokratische Parteien
dürften
sich nicht mit extremistischen Parteien zusammentun.
CDU-Generalsekretär
Thomas Lunacek sagte, Lahayns Verhalten zeuge von «politischer
Instinktlosigkeit». Bei der Kundgebung hätten sich «Demokraten
gemeinsam mit
Verfassungsfeinden auf einen Marktplatz gestellt». Der PDS-Abgeordnete
Stefan Sarrach sagte, Nazis dürfe kein Forum geboten werden. Es sei
unerträglich, dass die Friedensdemonstration in einen Ort des
Antiamerikanismus und Antisemitismus verwandelt worden sei.
Unterdessen stellte die Fürstenwalder «Plattform gegen Rechts» klar,
dass
Voigt gegen den Willen der Mehrheit der Teilnehmer Rederecht erhalten
hatte.
Künftig solle ausgeschlossen werden, dass «die NPD unser
Friedensengagement
als Plattform benutzt», sagte ein Sprecher.