(MAZ) HALBE In Todesangst rennt Heinz Keim mit Kameraden seines
Nachrichtenregiments durch den Geschützdonner von Halbe. Granatsplitter
fliegen ihm um die Ohren. Überall liegen Leichen. Als der damals 18-Jährige
nicht mehr kann, buddelt er sich in einem Erdloch ein. Ein Rotarmist
entdeckt ihn am 29. April. Keim kommt in Gefangenschaft. “Wir waren keine
Helden, sondern Menschen, die überleben wollten.”
Die Schilderungen des ehemaligen Wehrmachtsangehörigen gingen den rund 1500
Besuchern der Gedenkveranstaltung auf Deutschlands größtem Soldatenfriedhof
am Sonnabend in Halbe (Dahme-Spreewald) sichtlich nahe. Etwa 1000 Gäste
hatten sich bereits zuvor an der Kriegsgräberstätte in Baruth
(Teltow-Fläming) versammelt. Mindestens 60 000 Menschen überlebten die
Kesselschlacht von Halbe nicht. Über 23 000 Kriegstote fanden auf dem Halber
Soldatenfriedhof ihre letzte Ruhe. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD)
erklärte, 60 Jahre Demokratie seien kein Zustand, sondern tägliche
Anstrengung. Unter Anspielung auf die jährlichen “Heldenverehrungen” durch
Neonazis sagte der Regierungschef, er empfinde den Tod zehntausender
Soldaten und Flüchtlinge als wenig heroisch, vielmehr als grausam und
bitter. Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) sagte, die Versöhnung über
den Gräbern sei eine bleibende Verpflichtung. Dem Volksbund Deutscher
Kriegsgräberfürsorge, er betreut unter anderem den Halber Friedhof, sagte
Struck Unterstützung zu. Der russische Kriegsveteran Oberst Nikolai Fedotow,
beteiligt an den Kämpfen um Halbe, mahnte: “Nie wieder Halbe. Ich wünsche
allen einen friedlichen Himmel.”
Deutliche Worte richtete Halbes Bürgermeister Rolf Kunze an die
Landesregierung. Mit Blick auf Veranstaltungen rechtsgerichteter Gruppen im
November 2004 forderte er ein rigideres Vorgehen der Politik, um fragwürdige
Heldenverehrungen zu verhindern. “Diese Treffen finden unter dem Deckmantel
der Demokratie statt”, so Kunze. Das sei “unerträglich”.
Unter den Gästen der Gedenkveranstaltungen in Halbe und Baruth waren auch
die Botschafter Russlands, Weißrusslands und der Ukraine sowie Diplomaten
weiterer Länder. Sie erinnerten an die Schlacht im Kessel von Halbe, in der
die 1.Weißrussische Front und die 1. Ukrainische Front die 9. Armee unter
General Theodor Busse und die 4. Panzerarmee einschlossen.
Niemand darf vergessen, was einmal war
Gedenkveranstaltung auf dem Soldatenfriedhof zum Kriegsende / Bürgermeister:
Naziaufmärsche unterbinden
(MAZ) HALBE Unerschrocken kämpfte Oberst Nikolaj Fedotov Ende April 1945 im Halber
Kessel. Die 1. Weißrussische Front und die 1. Ukrainische Front schlossen
deutsche Truppen ein. Er hatte Wut über das “Hitlerkommando” im Bauch. “Die
wussten von der aussichtslosen Lage, nahmen aber den sinnlosen Tod deutscher
und sowjetischer Soldaten sowie der Bevölkerung in Kauf.” Die Worte des
einstigen Rotarmisten gingen den Gästen der Gedenkveranstaltung auf
Deutschlands größtem Soldatenfriedhof in Halbe sichtlich unter die Haut.
Insgesamt rund 1500 Teilnehmer besuchten die Veranstaltung des Volksbundes
Deutscher Kriegsgräberfürsorge am Samstag in Halbe. Ein weiteres Gedenken
anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes fand an der Kriegsgräberstätte
Baruth (Teltow-Fläming) statt. Zu beiden Treffen waren auch die Botschafter
Russlands, Weißrusslands und der Ukraine eingeladen.
Nikolaj Fedotov erinnerte daran, dass die Kesselschlacht von Halbe die
letzte entscheidende Kampfhandlung des Zweiten Weltkrieges war. 20 000
deutsche Soldaten schafften noch den “Durchbruch”, 30 000 starben. Bis heute
liegen unentdeckte Kriegsteilnehmer in den Wäldern rund um Halbe. Insgesamt
forderten die Kämpfe 60 000 Menschenleben. “Von den dramatischen Ereignissen
waren vor allem auch Zossen, Baruth und Teltow betroffen”, so die
Übersetzerin Fedotows. Die Glocke am Eingang des Soldatenfriedhofs von Halbe
müsse nachkommenden Generationen eine Mahnung sein. Der hochdekorierte
Kriegsveteran wünschte allen Deutschen einen “friedlichen Himmel”.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) forderte dazu auf,
der Gefahr einer Wiederholung der Ereignisse von Halbe entschieden
entgegenzutreten. Niemand dürfe vergessen, was einmal war. Zuviel Blut und
Tränen seien in Halbe geflossen. Platzeck beschrieb seine Nachdenklichkeit,
wenn er die Geburtsdaten der Gefallenen auf den Grabsteinen lese. Dort sei
nicht selten beispielsweise 1927, 1928 oder 1929 als Geburtsdatum vermerkt.
Landrat Martin Wille (SPD) erinnerte an den “unvorstellbaren Völkermord” im
Zweiten Weltkrieg. Er zitierte die Mahnung von Käthe Kollwitz aus dem Jahr
1924: “Nie wieder Krieg.” Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) warnte
davor, Geschichte zu verklären oder gar zu verschweigen und zu verfälschen.
Jeden Tag ums Überleben gekämpft
Heinz Keim, Angehöriger eines Nachrichtenregiments der eingeschlossenen 9.
Armee, schilderte seine Sicht auf die Schlacht von Halbe. “Wir kämpften
jeden Tag ums Überleben, wollten den Weg nach Westen offen halten”, so der
Hauptmann a.D.. Fast täglich musste er Kriegsleichen bestatten. Darüber sei
er völlig abgestumpft. Mit neun Soldaten kann er sich Richtung Köthener See
absetzen. Einem Kameraden wird die linke Hand abgefetzt und der Oberschenkel
zerschossen. Als Keim nicht mehr konnte, grub er sich im Wald ein. Es nützte
nichts. Am 29. April kam er in sowjetische Gefangenschaft. “Aber Hauptsache
überlebt”, sagt Heinz Keim im Rückblick. Halbes Bürgermeister Rolf Kunze
forderte von der Brandenburger Landesregierung indes die Unterbindung von
Neonazi-Treffen auf dem Soldatenfriedhof. Die Zusammenrottungen seien für
ihn und die Anwohner unerträglich. Alles geschehe “unter dem Deckmantel der
Demokratie”.
Auf dem etwa sieben Hektar großen Waldfriedhof von Halbe fanden über 23 000
Kriegstote ihre letzte Ruhe. Seit 2002 betreut der Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge die Anlage, auf der auch rund 4600 Internierte des
NKWD-Lagers Ketschendorf bei Fürstenwalde bestattet wurden. Nachdem das
Stabsmusikkorps der Bundeswehr “So nimm doch meine Hand” spielte, wurden auf
dem Friedhof mehrere Kranzgebinde niedergelegt. Am Rande der Veranstaltung
sorgten einige Pannen für Unmut. Mehrmals fiel die Bühnentechnik aus, der
Shuttleservice zwischen dem (Pflicht-) Parkplatz und dem Halber Friedhof
funktionierte nicht. Statt zu pendeln, fuhren die Busse offenbar nur einmal
hin und dann wieder zurück. Eine nicht ganz ungefährliche Wanderbewegung
entlang der Halber Hauptstraße war die Folge.