(Berliner Zeitung, Jens Blankennagel) POTSDAM. Erstmals ermittelt der Brandenburger Generalstaatsanwalt wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Land. Elf jugendlichen Neonazis wird eine Serie von acht Anschlägen im Kreis Havelland zur Last gelegt. Dabei sollen sie zwischen August 2003 und Mai 2004 Dönerstände oder Asia-Imbisse in Brand gesetzt haben. Sachschaden: 770 000 Euro. Die Verdächtigen wurden bereits im Juli gefasst. Der Anführer der Gruppe — der 19-jährige Christopher H., Schüler am Goethe-Gymnasium in Nauen — sitzt in Untersuchungshaft. Zwei Haftbefehle wurden gegen strenge Auflagen ausgesetzt, zwei der Beschuldigten wurden in einem Heim untergebracht.
Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Rolf Grünebaum, wies am Donnerstag auf einen wesentlichen Unterschied zu bisher gefassten rechten Gewalttätern hin. “Sie waren streng organisiert, nannten ihre Gruppe Freikorps und gaben sich eine richtige Satzung”, sagte er. “Sie wollten die Ausländer aus ihrer Region vertreiben und das legten sie auch schriftlich als Satzungszweck fest.”
Um ihr Ziel zu erreichen, hätten die 15 bis 19 Jahre alten Jugendli-chen die Imbisse gezielt mit selbst gebauten Brandsätzen angegriffen. “Sie haben nicht wie andere Neonazis nach Alkoholgenuss spontan, sondern sehr planmäßig gehandelt”, sagte Grünebaum. Das sei ungewöhnlich in ihrem Alter. “Unter einer Gruppierung von Terroristen stellt man sich eigentlich Täter vor, die schon etwas älter sind.”
Ermittelt wird auch gegen den Vater des Rädelsführers. Dieser soll von einzelnen Anschlagsplänen gewusst und zur Vorsicht gemahnt haben, damit die Neonazis nicht von der Polizei gefasst werden.
“Rechtsextremistisch motivierte Taten sind meist ein jugendtypisches Gruppenphänomen”, sagte die Abteilungsleiterin Staatsschutz beim Landeskriminalamt am Donnerstag in Potsdam bei der Vorstelltung der Halbjahreszahlen zur politisch motivierten Kriminalität.
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte, dass im ersten Halbjahr 756 politisch motivierte Straftaten gezählt wurden. “Das sind 50 weniger als im Vorjahreszeitraum.” Rechtsextremisten begingen 451 Taten, linke Täter 31. Dazu kämen 258 Staatsschutzdelikte ohne klare politische Motive. “Von den 756 Fällen sind 54 Gewaltstraftaten”, sagte der Minister. Während die Zahl rechtsmotivierter Gewaltdelikte von 48 auf 42 Fälle sank, sei sie im linken Spektrum von sieben auf elf gestiegen. Die meisten Gewalttaten (39 Fälle) waren Körperverletzungen.
Bis Juli konnten 89 Prozent all dieser Gewalttaten von der Polizei aufgeklärt werden — zwölf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. “Das ist die höchste Aufklärungsquote bei politisch motivierten Straftaten seit 1990”, sagte Schönbohm. Die Polizei werde den Druck gerade auf die Rechtsextremisten-Szene weiter erhöhen.
In Brandenburg läuft seit Jahren das Programm “Tomeg”, bei dem notorische rechte Straftäter gezielt von der Polizei überwacht werden. “Sie wissen, dass wir sie kennen und unter Kontrolle halten”, sagte der Minister. Dieser täterbezogene Ansatz sei der richtige Weg, besonders gefährlichen Tätern zu begegnen.
Ein weiteres Polizeiprojekt ist die mobile Einsatzeinheit “Mega”, die sich gezielt um die Brennpunkte rechter Gewalt kümmert. Die Truppe kontrollierte bis Juli 12 572 Personen, fast 290 wurden zumeist kurzzeitig festgenommen. Mehr als 1000 Platzverweise wurden erteilt.
Trotz dieser Maßnahmen blieb die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten in Brandenburg seit dem Jahr 2002 nahezu konstant.
Rechtes Rollkommando mit Schriftführer
In Brandenburg ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen eine rechtsextreme Jugendgruppe, die über Monate Döner- und Asia-Imbisse angezündet haben soll. Verein Opferperspektive: Versicherungen verweigerten
Brandschutzpolicen
(TAZ, Anja Maier) Sie kamen nachts, sie waren vermummt, mögliche Todesopfer nahmen sie
billigend in Kauf. Ihr Ziel: Das Havelland soll ausländerfrei werden. In
Brandenburg hat die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg jetzt gegen elf
Jugendliche und junge Erwachsene die Ermittlungen wegen der “Bildung einer
terroristischen Vereinigung” aufgenommen. Ein juristisches Novum.
Ihnen wird vorgeworfen, zwischen August 2003 und Mai 2004 neun türkische und
asiatische Imbisse im berlinnahen Kreis Havelland angezündet und zerstört zu
haben. Verletzt wurde dabei wie durch ein Wunder niemand, jedoch wurden
Existenzen vernichtet, und es entstand hoher Sachschaden: 770.000 Euro. Die
Gruppe, die sich den Namen “Freikorps” gegeben hatte, war Anfang Juli
zerschlagen worden, ihr Anführer sitzt seither in Untersuchungshaft. Wie die
Märkische Allgemeine berichtet, haben die Jungnazis, die sich nach dem
Vorbild einer Wehrsportgruppe organisierten, ihre fremdenfeindlichen Ziele
sogar in einer Satzung akribisch festgehalten. Zu diesem Zweck hatten sie -
ganz jungdeutsche Männer — eigens einen Schriftführer bestimmt.
Für Aufsehen sorgt auch die Struktur der Gruppierung: Die mutmaßlichen Täter
sind zwischen 15 und 20 Jahre alt, nur einer war bisher durch rechtsextreme
Straftaten aufgefallen. Der Anführer, der 19-jährige Christopher H., hat in
diesem Sommer sein Abitur abgelegt, zwei Angeklagte sind arbeitslos, die
anderen Schüler. Anlässlich der Zerschlagung der Gruppe Anfang Juli äußerte
sich Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) entsetzt über das
jugendliche Alter der Täter, die nach ihrer Festnahme “weitgehend geständig”
waren. “Hier muss gefragt werden, was schief gelaufen ist — im Elternhaus,
in der Schule und im sozialen Umfeld.”
Inzwischen scheint klar, dass im Fall des Rädelsführers Christopher H. von
einem ahnungslosen Elternhaus nicht die Rede sein kann. Zumindest einer
seiner Elternteile soll von den geplanten Taten der Gruppe gewusst haben und
den Jungnazis noch zur Vorsicht geraten haben.
Dass die Brandenburger Staatsanwaltschaft nun wegen des “Verdachts der
Bildung einer terroristischen Vereinigung” ermittelt, ist neu. Noch nie hat
die Behörde wegen eines solchen Verdachts ermittelt. Generalstaatsanwalt
Erardo Rautenberg, erklärte dazu gestern, dass für derartige Verfahren
bislang “grundsätzlich der Generalbundesanwalt zuständig” sei. Dieser habe
jedoch erklärt, es handle sich um einen Fall “von minderer Bedeutung”.
Deshalb, so Rautenberg, der auch dem Brandenburger Aktionsbündnis gegen
Rechtsextremismus angehört, sehe er die Generalstaatsanwaltschaft “als
Ermittlungsbehörde als gegeben” an.
Der Brandenburger Verein Opferperspektive e.V. hofft nun, dass “Gericht und
Staatsanwaltschaft ihren Ermessensspielraum ausschöpfen”, so eine Sprecherin
zur taz. “Eine Entschädigung für die Imbissbesitzer wäre wichtig.”
Der Verein, der Opfer fremdenfeindlicher Gewalttaten berät, kritisiert, dass
die betroffenen Imbissbetreiber nicht gegen Brandanschläge versichert
gewesen seien, da ihre Geschäfte als “nicht versicherbar” gälten. Aufgrund
der häufigen Brandanschläge in Brandenburg sei keine Versicherung bereit
gewesen, Verträge abzuschließen. Seit 2000 hat die Opferperspektive 45
derartige Anschläge registriert, allein 13 im Jahr 2003.