Als der Innenminister des Landes Brandenburg Jörg Schönbohm (CDU) am 12. April 2005 das Verbot der beiden westhavelländischen Neonazikameradschaften “Hauptvolk” und “Sturm 27” im Zusammenhang mit, bei einer Großrazzia gegen deren Mitglieder, festgestellten Waffen und Propagandamaterial der medialen Öffentlichkeit präsentierte, sorgte er damit schon für eine gewisse Überraschung in der Region Westhavelland. Sollte jetzt wirklich Schluss mit dem braunen Spuk in Rathenow und Premnitz sein?
Relativ schnell stellte sich aber heraus, dass dem doch nicht so war. Die Neonazis setzten ihre Aktionen, unter anderem am so genannten “Heldengedenktag” (Volkstrauertag) im selben Jahr fort.
Zwar gelang es der Polizei vor einem Jahr die Veranstaltung, an der sich Mitglieder und Sympathisanten der Kameradschaften “Hauptvolk” und “Sturm 27” sowie des neu gegründeten NPD Stadtverbandes beteiligten, aufzulösen und die Kränze zu beschlagnahmen, das Alarmsignal wurde im Innenministerium jedoch nicht wahrgenommen. Im Gegenteil, Schönbohm bekräftigte in Stellungnahmen immer wieder, das die vereinsähnlichen Strukturen erfolgreich aufgelöst und Nachahmer verunsichert wurden.
Am Sonntag, dem 19. November 2006, trafen sich nun die “aufgelösten” und “verunsicherten” Kameraden erneut um ihr “Heldengedenken” zu zelebrieren. Nicht etwa im Verborgenen, sondern relativ offensichtlich am bisher nicht enteigneten Treffpunkt des “Sturm 27” in einer Gartensparte in Rathenow — Nord. Selbst Zivilpolizei der SoKo MEGA / TOMEG war über die Veranstaltung informiert und observierte die Zufahrtswege. Ein möglicher Zugriff war anscheinend aber erst für den Höhepunkt der Naziaktivitäten an jenem Tag, der traditionellen Kranzniederlegung, geplant, mit der — deutete man die dort abgestellten Polizeieinsatzfahrzeuge richtig — offenbar an der üblichen Gedenkstätte auf dem Weinberg gerechnet wurde.
Doch ähnlich wie bei der Verlegung der Nazigroßveranstaltung am Vortag von Halbe nach Seelow, machten auch die Rathenower Neonazis im Angesicht der polizeilichen Maßnahmen von der Taktik der Verschiebung gebrauch und planten ihre Kranzniederlegung kurzerhand hinter die brandenburgische Landesgrenze nach Sachsen — Anhalt in die Gemeinde Schollene um. Hier wurde sich offenbar an einem Kriegerdenkmal zu Ehren der Gefallenen des ersten Weltkrieges versammelt und ein Blumengebinde niedergelegt.
In Rathenow selber wurde die für letzten Sonntag geplante Veranstaltung auf dem Weinberg danach innerhalb der vergangenen Woche polizeilich ungestört nachgeholt. Am Freitag, dem 24. November 2006, wurde zwischen Gedenkplatten für Tote des zweiten Weltkrieges, diesbezüglich ein Blumengebinde festgestellt, für das sich die bisher nicht in Erscheinung getretene Vereinigung “Freie Kräfte Rathenow” verantwortlich zeigt.
Überhaupt ist bemerkenswert wie die “verunsicherte” Szene in der Region nahezu inflationär neue Kameradschaften produziert, die sich auch im Internet verstärkt artikulieren. Neuestes Projekt sind dabei die so genannten “Freien Kräfte Westhavelland”, die auch in das von Eberswalde aus koordinierte neonazistische Netzwerk “Freie Kräften Brandenburg” integriert sind.