POTSDAM/NAUEN Im Prozess gegen zwölf junge Neonazis der mutmaßlichen Terrorgruppe “Freikorps” aus dem Havelland ist der 20 Jahre alte Rädelsführer Christopher H. gestern schwer belastet worden. Der Abiturient aus Nauen habe im Sommer 2003 die Idee zur Gründung der Kameradschaft gehabt, sagte ein Mitangeklagter am zweiten Verhandlungstag vor dem 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) aus, der im Gebäude des Amtsgerichts Potsdam weitgehend unter Ausschluss der öffentlichkeit tagt. Dies teilte OLG-Sprecherin Ramona Pisal auf Anfrage mit. Demnach hatte H. auch geplant, Kontakte zu der 1997 verbotenen rechtsextremen “Kameradschaft Oberhavel” zu knüpfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wirft den Mitgliedern der Wehrsportgruppe “Freikorps” vor, zwischen August 2003 und Mai 2004 zehn Anschläge auf Imbisse ausländischer Betreiber mit einem Sachschaden von etwa 600 000 Euro verübt zu haben. Nach Auffassung der höchsten Anklagebehörde des Landes hatten die jungen Männer eine terroristische Vereinigung gebildet, um ausländische Geschäftsleute aus Brandenburg zu vertreiben. Deren Existenzgrundlage sollte durch Brandanschläge zerstört werden. Menschen wurden dabei nicht verletzt.
Nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden hatte “Freikorps”-Chef Christopher H. versucht, den Aktionsradius der Gruppe auszuweiten. H. hätte Kontakte zu der verbotenen “Kameradschaft Oberhavel” gesucht, deren ehemalige Mitglieder offenbar ähnliche Ziele verfolgten. Der einstige Vorsitzende der “Kameradschaft Oberhavel”, der 27-jährige Karsten G., hatte am 3. September 2003 einen Brandanschlag auf einen türkischen Imbissstand in Hennigsdorf verübt und sich am 6. September der Polizei gestellt — nur eine Woche nach dem “Freikorps”-Anschlag auf den Norma-Markt in Nauen mit einem Schaden von mehr als 500 000 Euro.
Die Attentate der “Freikorps”-Neonazis wurden offenbar von Erwachsenen gedeckt. Nach Erkenntnissen des OLG-Senats unter Vorsitz von Richterin Gisela Thaeren-Daig hatte zumindest Christopher H.s Mutter die jungen Rechtsextremen mit den Anschlägen in Verbindung gebracht. Auch nach der Zerstörung des Norma-Marktes habe sie sie lediglich ermahnt: “Dann lasst euch nicht erwischen.”
Dabei machten die Jugendlichen und Heranwachsenden, die sich schon als Kinder kannten, kein Hehl aus ihrer Gesinnung. Nach der Schule trafen sie sich oft in einer Scheune auf dem Grundstück der Familie H. in Pausin. In einer Art Uniform seien sie von dort zu militärischen Spielen in den nahen Wald ausgerückt. Dort hatten sie mit den von Christopher H. gebastelten Brandsätzen experimentiert.
Ohne Rädelsführer H., meinte der geständige Angeklagte gestern, wäre niemand auf die Idee gekommen, Imbissstände in Brand zu setzen. Eine explizit rechtsextreme, fremdenfeindliche Ideologie habe bei den Taten keine entscheidende Rolle gespielt. Es sei schöner gewesen, sich zu militärischen Spielen zu treffen, als an der Bushaltestelle herumzustehen. Der jüngste Angeklagte war zur Tatzeit 14 Jahre alt, der älteste, Christopher H., 19 Jahre.