(LR, 14.11.03) Seit einer Woche ist die sechsköpfige Familie Cikaj aus Forst untergetaucht,
um so der Abschiebung in den Kosovo zu entgehen. Die RUNDSCHAU telefonierte
dazu mit Annette Flade. Die 53-jährige Babelsbergerin ist
Ausländerseelsorgerin des Kirchenkreises Potsdam.
Wohin gehen die Menschen, die wie Cikajs für sich keine andere Chance mehr
sehen?
Wir haben im Land Brandenburg kaum solche Erfahrungen, weil hier die
Anonymität nicht gegeben ist — weder auf dem flachen Land noch in Städten
wie Cottbus. Da kennt man sich einfach. Leute wie die Familie Cikaj gehen
nach Berlin oder in andere größere Städte in den alten Bundesländern.
Was geht in den Köpfen derjenigen vor, die untertauchen?
Welcher psychischen Belastung sind sie ausgesetzt? Es ist einfach grausam -
besonders, wenn auch Kinder betroffen sind. Sie müssen sich auf einmal versteckt halten. Es ist
eigentlich nicht aushaltbar. Was da intern an Konflikten entsteht, ist kaum
zu managen. Da spielen sich Familiendramen ab.
Wie lange hält man das aus?
Allein lebende Menschen halten das auch über Jahre aus. Aber bei Familien
kann ich mir das nicht vorstellen.
Ohne Hilfe von außen lässt sich so etwas kaum bewerkstelligen. Wer unterstützt die Betroffenen?
Es sind meist Landsleute, die einen anderen Status besitzen. Da erlebt man
größte Solidarität untereinander. Es sind Menschen, die sich damit selbst
über eine ungewisse Zeit einer großen psychischen, aber auch materiellen
Belastung aussetzen. Sie haben meist nicht viel Geld — und sollen nun
zusätzlich sechs Menschen ernähren. Es gibt aber zum Glück auch Leute, die
professionelle Hilfe anbieten.
Wer zum Beispiel?
Im Berliner Raum gibt es eine Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere. Dort
geht es zunächst darum, Informationen zu liefern. So gibt es die Möglichkeit
der medizinischen Versorgung. Wir kämpfen außerdem darum, Kindern
betroffener Familien Schulunterricht zu ermöglichen, ohne dass sie angezeigt
werden. Das allerdings ist noch nicht Realität. Auch Ärzte müssen jeden
anzeigen, der ohne Papiere zu ihnen in die Sprechstunde kommt. Wer hilft,
macht sich eigentlich strafbar.
Und wie steht es um das Kirchenasyl?
Das ist ein hoch brisantes Thema. Wir beraten das gerade im Flüchtlingsrat
des Landes Brandenburg, auch wenn es
zurzeit keinen offiziellen Fall gibt. Aber die Kirche muss damit anders
umgehen. In den eigenen Richtlinien ist Kirchenasyl nur für Menschen mit
Papieren zulässig. Was aber sollen wir machen, wenn eine Familie, die
bislang untergetaucht war, sich an uns wendet, um sich wieder in einen
offizielleren Status zu bringen? Dazu gibt es kirchenintern keine
Richtlinie.
Sie vermeiden das Wort illegal.
Ganz bewusst. Es gibt keine illegalen Menschen — nur solche mit Papieren und
Menschen ohne Papiere.
Mit ANNETTE FLADE sprach Tilo Winkler.