Anfang der 90- er Jahre war Babelsberg noch weitgehend unsaniert. In vielen Altbauwohnungen gab es noch Ofenheizung, Badeofen und Küchenhexe, dafür aber auch einfach verglaste Fenster und eine Wärmedämmung, die das Wort nicht wert war. Es war klar, dass da etwas passieren musste.
Frühzeitig erkannte der für die Entwicklung des Stadtteils als städtischer Treuhänder zuständige Stadtkontor, dass Sanierung und Modernisierung auch Gefahren mit sich bringen – nämlich die unangemessene Steigerung der Mieten und die Verdrängung bestimmter sozialer Gruppen aus dem Stadtteil. Um dem entgegenzuwirken wurde das Berliner Büro TOPOS mit einer aufwendigen Untersuchung im Kiez beauftragt. Zahlreiche Babelsberger Haushalte wurden ausführlich befragt. Nach dem repräsentativen Ergebnis war Babelsberg der Stadtteil mit der stärksten sozialen Durchmischung, der höchsten Wohnzufriedenheit und den intaktesten Nachbarschaftsverhältnissen. Die Bevölkerungsstruktur in den geplanten Sanierungsgebieten Babelsberg Nord und Süd sollte im Zuge der Sanierung auf jeden Fall erhalten werden.
Im April 1998 folgte die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung den Vorschlägen der Fachleute und legte für die Sanierungsgebiete Mietobergrenzen zwischen 8,50 und 10,50 DM/m² fest. Dies sollte für alle Wohnungen gelten, die zu einem Stichtag 1994 noch bewohnt, aber noch nicht saniert waren. Pro 15 Monate sollten die Mietobergrenzen sich um 0,30 DM erhöhen. In der Sozialplanrichtlinie für die Sanierungsgebiete legten die Stadtverordneten in der gleichen Sitzung ausdrücklich und einstimmig u.a. als soziale Ziele der Sanierung fest:
- das Mitwirkungsrecht der Betroffenen bei der Entwicklung der Gebiete, insbesondere aber bei der Erneuerung der Häuser zu stärken;
- grundsätzlich und in der Regel keine Verdrängung der ortsansässigen Bevölkerung zuzulassen;
- langfristig ein Mietniveau zu erhalten, das eine soziale Durchmischung der Gebiete sichert.
Was soziale Ansprüche wert sind, wenn Grundstücke in das Privateigentum von Leuten gelangen, die keineswegs darin wohnen möchten, sondern damit reich werden wollen, zeigte sich schnell.
Der Stadtkontor bemühte sich lange darum, die soziale Struktur des Stadtteils gegen die privaten Vermarktungsinteressen der Grundstückseigentümer zu verteidigen. Wie ich aus Akteneinsichten in mehrere Sanierungsverfahren bestätigen kann, wurde vor der Erteilung der Sanierungserlaubnis eine Vereinbarung geschlossen, die auch die Einhaltung der Mietobergrenzen enthielt.
Die Stadtverwaltung bestand dagegen zu keinem Zeitpunkt mit Herzblut auf der Umsetzung der Sanierungsziele. Stattdessen gab sich die SPD-Stadtspitze gern bei den Sommerfesten Ihres Parteifreundes Wolfhard Kirsch die Ehre, dessen Firma Kirsch und Drechsler Hausbau GmbH ihre Duftmarken in Form goldener Schildchen an den Fassaden und eines Teufelskopfes über der Eingangstür an einem beachtlichen Teil des Babelsberger Altbaubestandes hinterlassen hatte. Wolfhard Kirsch hielt sich zwar nie an die Mietobergrenzen, fungierte aber inzwischen als Kassenwart des SPD-Ortsverbandes Babelsberg und soll der Partei auch die eine oder andere Spende zukommen lassen haben.
Als Die Andere die Umsetzung der Sanierungsziele prüfen wollte und eine Anfrage einreichte, wie viele der Mieterinnen auch nach der Sanierung noch in den Häusern leben, die die Stadt an Kirsch, Drechsler, deren Firma oder Familienangehörige verkauft hatte, verweigerte die Verwaltung die Auskunft und berief sich auf den Datenschutz. Wenn die Stadt da nur immer so sorgsam wäre. Auf unsere Bitte stellte die Landesdatenschutzbeauftragte fest, dass der Datenschutz unserem Anliegen keineswegs im Wege steht. Die Verwaltung musste schließlich die Zahlen liefern. Statistisch bereinigt stellte sich heraus, dass ca. 90 % der ursprünglichen Mieterschaft durch die Sanierung verdrängt wurden.
Zugleich entwickelte die Stadtspitze verschiedene Aktionsmuster. Natürlich wurde vorgebracht, die Mietobergrenzen seien rechtswidrig. Als Beleg belieferte die Stadtverwaltung die Stadtverordneten mit Artikeln aus Grundstückseigentümermagazinen, in denen gegen die Mietobergrenzen als Eingriff in das persönliche Eigentum geradezu mobil gemacht wurde. Andere Städte und Berliner Stadtbezirke kämpften derweil juristisch für eine Durchsetzung der Mietobergrenzen, Potsdam hatte sich längst auf die Seite der Miethaie geschlagen.
Wie unverblümt Parteifilz und Interessenverquickungen in Potsdam kultiviert werden, lässt sich daran erkennen, dass ausgerechnet Immobilienökonom Wolfhard Kirsch von der SPD als sachkundiger Einwohner in den Ausschuss für Finanzen und Liegenschaften berufen wurde. Anträge der Anderen, ihn dort abzuberufen und an ihn und andere, die sich nicht an die Mietobergrenzen halten, keine Grundstücke mehr zu verkaufen, scheiterten nicht nur, sondern lösten einhellige Empörung in den Parteien aus. Sogar das Wort „Diskriminierung“ fiel in diesem Zusammenhang.
Neben der behaupteten Rechtswidrigkeit erklärte die Stadtverwaltung, die einst die Sozialplanrichtlinien und Mietobergrenzen selbst vorgeschlagen hatte, dass eine individuelle Unterstützung einzelner Mieterinnen viel wirkungsvoller sei, als die Mietobergrenzen. Dies ist natürlich aus mehreren Gründen unsinnig. Der geforderte Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit hat klar diskriminierenden Charakter. Außerdem verstößt das Prinzip gegen die Sanierungsziele, die ausdrücklich den Erhalt eines Mietniveaus fordern, das eine soziale Mischung im Stadtteil sichert. Eine individuelle Unterstützung bedürftiger Mieterinnen kann eben nicht wohnraum- sondern nur personenbezogen erfolgen und garantiert daher nicht langfristig ein geringeres Mietniveau in den Sanierungsgebieten.
Mehrere Berliner Bezirke versuchten die Mietobergrenzen als Instrument der Sozialpolitik gerichtlich durchzusetzen. In Potsdam standen die Chancen für eine gerichtliche Auseinandersetzung eigentlich weitaus besser als in Berlin. Die Mietobergrenzen galten in den Potsdamer Sanierungsgebieten ohnehin nur für Wohnungen, die 1998 noch vermietet, aber nicht saniert waren. Im Gegensatz zu Berlin erhöhten sich die Obergrenzen auch alle 15 Monate um 0,30 DM/m² und schließlich gab es in Potsdams Regelungen auch eine Härtefallklausel, nach der Eigentümer von den Mietobergrenzen entbunden werden könnten, wenn sonst keine wirtschaftliche Sanierung mehr möglich wäre. Trotz dieser günstigen Ausgangslage verweigerte die Stadt jeden juristischen Versuch, die Mietobergrenzen durchzusetzen.
Schließlich entschied das OVG Berlin, dass die Festsetzung von Mietobergrenzen in Sanierungsgebieten unzulässig ist. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass das Sanierungsrecht vorrangig zur Behebung baulicher Problembereiche dient und dafür entsprechende steuerliche Vergünstigungen gewährt werden. Während die Stadtverwaltung geradezu aufzuatmen schien, dass sie sich nun nicht mehr für ihre Untätigkeit rechtfertigen musste, verwies Die Andere auf die Urteilsbegründung. Das Gericht wies darauf hin, dass Mietobergrenzen sehr wohl zulässig und auch
zweckmäßig sind, wenn die Stadt Potsdam für die Sanierungsgebiete gleichzeitig eine Erhaltungs- oder Milieuschutzsatzung erlässt.
Genau diesen Antrag brachten auf Initiative der Andere mehrere Fraktionen in die StVV ein und konnten ihn mit etwas Glück und Geschick auch durchsetzen. Dennoch weigert sich der Oberbürgermeister bis heute, eine Erhaltungssatzung für die Potsdamer Sanierungsgebiete zu erarbeiten. Die zur Durchsetzung des Beschlusses eingereichte Klage wird nach ca. vier Jahren (!!!) im September vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht verhandelt.
In dieser Zeit hat sich Babelsberg ziemlich verändert. Die Zahl der unsanierten Häuser ist stark zusammengeschrumpft. Stattdessen haben sich Eigentumswohnungen ausgebreitet und auch die Zahl der goldenen und teuflischen Duftmarken hat sichtbar zugenommen. Viele alte Babelsbergerinnen
sind aus dem Stadtteil verschwunden. Die individuelle Unterstützung bedürftiger Mieterinnen wurde nicht ein einziges Mal in Anspruch genommen. Das Land verweigert eine Unterstützung für sozialen Wohnungsbau und fördert den Abriss leerer Wohnungen in den Randgebieten. Die Stadt beklagt den Mangel an kleinen, billigen Wohnungen. Allerdings verweigert die städtische Pro Potsdam das öffentliche Gespräch, in welchem Umfang sie die Altbauten am Havelbusdepot sanieren und modernisieren will. Herr Kirsch wohnt in einer Villa am Griebnitzsee und beantragte kürzlich, gerichtlich festzustellen, dass er den bislang noch öffentlich nutzbaren Uferweg sperren dürfte. Mit der SPD hat er sich gestritten und sich dem BürgerBündnis zugewandt.
Ich habe einen Artikel des Grundgesetzes über meinen Schreibtisch gehängt.
Art. 15 [Sozialisierung]
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art. und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
Daneben hängt ein Interview mit Jutta Ditfurth. Die Antwort auf die Frage: „Was möchten sie noch erreichen?“, ist rot eingekreist: „Es wäre schon schade, wenn ich hier keine Revolution mehr miterleben könnte.“
Lutz Boede