Matthias Adrian ist ein Ex-Nazi. Heute arbeitet er mit beim Zentrum für
demokratische Kultur in Berlin und bei der Neonazi-Aussteigerinitiative
Exit.
Am Mittwochabend kam der ehemalige Insider der rechten Szene nach Krausnick,
um sich den Fragen des Gesprächskreises gegen Rechtsextremismus und Gewalt
zu stellen.
Wie denn die Taktik aussehe, junge Menschen für die NPD zu werben, wollte
Bürgermeister Gerhard Buschick da zum Beispiel wissen. 90 Prozent der Leute
hätten ihren ersten Kontakt zur rechten Szene über Musik, zu der ein breites
Spektrum von Propaganda geliefert werde, antwortete Matthias Adrian.
«Das geht weiter mit der Gruppendynamik, damit, dass es cool ist, rechts
zu sein.» Im Gegenzug funktioniere oft auch der Ausstieg über die
Gruppendynamik. Ziehe der Jugendliche in die Stadt und werde dort als
«rechter Dorfi» angesehen, so Adrian, oder finde es seine Freundin «uncool»
, mit Rechten «herumzuhängen» , habe sich das oft erledigt.
«Es ist nicht zu verstehen» , sagte ein Gast, «warum die Medien so ein
Theater um die NPD machen. Das Ding stirbt von alleine, die haben keine
Ideen» . «Die haben jede Menge Ideen» , widersprach Matthias Adrian und
fragte: «Ist ein Problem schon einmal gelöst worden, indem man nicht darüber
gesprochen hat?»
Pfarrer Ernst-Günter Heide gab zu bedenken, dass der Gesprächskreis sich
zwar seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. Doch gebe es nicht weniger,
sondern mehr Auffälligkeiten, Straftaten und Strukturentwicklungen des
Rechtsradikalismus in der Region.
Gerhard Buschick fügte an: «Gerade die deutsche Geschichte zeigt ja, was
passiert ist, als man es schon einmal abgetan hat.» Er wies darauf hin, dass
die Angst von Spreewaldurlaubern vor rechter Gewalt die «zarte Pflanze
Tourismus» gefährde.
Was man tun könne, wenn Rechtsextreme in Jugendclubs kämen, fragte
Jugendarbeitskoordinatorin Daniela Schulze. Dass sie mit den Jugendlichen
und dem Mobilen Beratungsteam Regeln für die Clubs entwickelt habe, wertete
Matthias Adrian als guten Weg. «Der Jugendclub kann keine Ausstiegshilfe
leisten» , warnte er aber gleichzeitig. «Man muss geschult sein.»
Das gelte auch für die Diskussionen mit Rechtsextremen, sagte eine Lehrerin.
Und Adrian erklärte, wie verblüffend einfach geschulte Rechtsextreme
Argumente gegen sie entkräften könnten.
Dass er seine Geschichte auch in Schulklassen oder Jugendclubs erzählt,
gehört zu den Angeboten, die Adrian und die Initiative «Exit» machen.
Weitere kommen vom Lübbener Forum gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sowie vom Mobilen Beratungsteam der
Initiative Tolerantes Brandenburg. Am Ende folgerte Pfarrer Ernst-Günter
Heide: «Wir sind dieser Problematik nicht hilflos ausgeliefert.»
Ein Aussteiger erzählt
Matthias Adrian: «Ich war voll naiv überzeugt»
(LR) Gleich zu Beginn will Matthias Adrian mit ein paar Vorurteilen aufräumen.
Der heute Endzwanziger spricht beim Gesprächskreis gegen Rechtsextremismus
und Gewalt am Mittwochabend in Krausnick über seinen Ein- und Ausstieg in
die rechte Szene, der er Jahre lang angehört hatte.
«Meine Mutti hatte mich lieb, ich war nie arbeitslos, sozial voll integriert
und kein Ausländerhasser» , sagt er. Im Zeitraffer verfolgt das Publikum die
Stationen einer rechtsradikalen Karriere. Viele junge, aber auch ältere
Leute sind gekommen, darunter Bürgermeister Gerhard Buschick, sowie
Funktionsträger der Jugendarbeit und Lehrer. Der Raum im Pfarrhaus reicht
nicht ganz aus, so dass sogar einige Stühle im Flur stehen.
Erste Weichenstellung in Richtung Rechtsextremismus in Adrians Leben: Als
Neunjähriger ist er in der Schule erstmals mit dem Holocaust als Folge der
nationalsozialistischen Ideologie konfrontiert worden, mit der
Vernichtungsmaschinerie, mit Massenverhaftungen und Konzentrationslagern.
Hilfloser Lehrer
Damals ging der Bub nach Hause und befragte seinen Opa, der die NS-Zeit
miterlebt hatte. Doch der — aus einem kleinen, erzkatholischen Dorf
stammend — bestätigte nicht, was der Lehrer erzählt hatte. Eher habe im
Kreis seiner Großfamilie die Meinung vorgeherrscht, erzählt Adrian, «dass es
da schon ein paar Verbrecher gab, aber der Rest ging» . Die Kindheit und
Jugend der Familienmitglieder im Nationalsozialismus sei verherrlicht worden
als schöne, als sichere Zeit.
Der kleine Matthias marschierte damals also zurück zu seinem Lehrer und
berichtete ihm, was sein Opa gesagt hatte. «Ach, was dein Opa so sagt, da
brauchst du nicht so genau hinzuhören» , habe der Lehrer darauf reagiert,
sagt Adrian. Von diesem Moment an «hatte der Lehrer bei mir verloren» .
Adrian ist überzeugt: «Wenn man das Thema Nationalsozialismus im Unterricht
behandelt, dann mit Qualität. Das ist nichts, was man so abreißen kann. Die
Schüler müssen den Wahnsinn verstehen, der da dahinter steckte, auch die
Irrtümer. Für mich gehört das Thema rechte Szene und Rechtsextremismus
unbedingt zur Lehrerfortbildung.»
Er selbst glitt Stück für Stück hinein in die rechtsextreme Szene, bis er
mit Anfang 20 zu einer «Schulung» delegiert wurde. Die einfachen
Argumentationsketten, die dort propagiert wurden, schienen ihm logisch. «Ich
war voll naiv überzeugt» , sagt Adrian. Doch das begann zu bröckeln, «weil
ich gemerkt habe, ich bin der einzige» .
Er nennt Beispiele von Unseriosität, unprofessioneller Organisation,
Alkoholismus und großer Gewaltbereitschaft. Er sei zu dem Schluss gekommen,
«dass diese Szene um die NPD herum auf keinen Fall das ist, was ich möchte»
, sagt er.
«Das ist ja ein bisschen dünn»
Adrian legte daraufhin deshalb alle Ämter nieder, um eine eigene Partei zu
gründen. Die Bücher, die er las, fand er nun nicht mehr überzeugend. «Das
ist ja alles ein bisschen dünn, um darauf eine Ideologie aufzubauen» , gibt
er seine damaligen Gedanken wieder. Das ganze Konstrukt stürzte in sich
zusammen und Matthias Adrian in eine Depression. Über die Aussteiger-
Initiative «Exit» kam er wieder auf die Beine.
Was denn seine Arbeit heute vor diesem Hintergrund für ihn bedeute, will
eine Zuhörerin wissen. «Aktive Wiedergutmachung» , antwortet Matthias
Adrian. Denn schließlich habe er in dieser Zeit gesellschaftlichen Schaden
angerichtet. Nach wie vor hält Adrian «das Thema für ziemlich beängstigend»
.
Zugleich fasziniert ihn, dass diese so unhaltbare Ideologie noch immer
Anhänger findet. Wer solle dem denn entgegenwirken, «wenn nicht jemand, der
aus der Szene ausgestiegen ist?» Und schließlich: «Im Grunde genommen tun
mir die Leute leid» , sagt Matthias Adrian. «Die verbauen sich so viel. Wenn
die ersten Vorstrafen kommen und sie völlig die Bodenhaftung verlieren»
werde es immer schwerer, zurück zu einem normalen Leben zu finden.