Cottbuser Ermittler: Aufklärungsquote könnte verdoppelt werden / Debatte um richterlichen Vorbehalt
Die Polizei sollte nach dem Willen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) genetische Fingerabdrücke von Straftätern leichter sammeln dürfen.
“Erfahrungen aus der Schweiz zeigen, dass sich die Aufklärungsquote damit
verdoppeln lässt”, sagte der DNA-Experte und stellvertretende
BDK-Bundesvorsitzende, Wolfgang Bauch, aus Cottbus.
Bisher könnten die Behörden nur das Foto und den natürlichen Fingerabdruck
problemlos speichern. Für das Sammeln der Spuren von Speichel, Haaren oder
Sperma ist eine richterliche Entscheidung nötig. Beim Abgleich neuer
DNA-Spuren von Tatorten mit den Datensätzen beim Bundeskriminalamt (BKA)
liege die Trefferquote derzeit bei 22,4 Prozent. “In der Schweiz erreicht
sie fast 50 Prozent”, sagte Bauch.
Erbanlagen bleiben tabu
“Die Möglichkeiten, die wir mit der DNA-Analyse in der Kriminalistik haben,
sind sensationell. Dies muss man nutzen, um Opfer zu vermeiden und mehr
Straftaten aufzuklären”, forderte Bauch. Es gehe nicht darum, jeden
Tatverdächtigen zu registrieren. “Wir nehmen ja auch nicht von jedem
Ladendieb oder Verkehrssünder die Fingerabdrücke”, sagte der Kriminalist.
Die Untersuchungen der DNA-Spuren erfolgten ausschließlich im so genannten
nichtcodierenden Bereich. “Dieser gibt keine Auskunft über das Aussehen der
Person, schon gar nicht über Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder
Krankheiten.”
Untersuchungen hätten gezeigt, dass fast 80 Prozent der Vergewaltiger und
Sexualmörder eine lange kriminelle Karriere hinter sich haben, sagte der
Ermittler bei der Cottbuser Mordkommission. Zur Vermeidung weiterer Opfer
müsse von diesen potenziellen Wiederholungstätern eine DNA-Probe ohne
überflüssigen bürokratischen Aufwand möglich sein.
Für eine Vereinfachung von DNA-Analysen sprachen sich in Brandenburg und
Sachsen weitere Experten aus. Brandenburgs Justizministerin Barbara
Richstein (CDU) hält den so genannten Richtervorbehalt für zu restriktiv.
Sie plädiert für eine Gleichstellung des genetischen Fingerabdrucks mit dem
normalen Fingerabdruck.
“Ich sehe nicht, dass man das völlig gleichsetzen kann”, schränkte Potsdams
Polizeipräsident Bruno Küpper ein. Aber es sei auch nicht sinnvoll, den so
genannten Richtervorbehalt zu einem Ritual erstarren zu lassen. Der Leiter
der Potsdamer Kriminalpolizei, Roger Höppner, bekräftigte: “Aus Sicht der
Ermittler ist eine Vereinfachung dringend erforderlich.”
Bandenkriminalität im Visier
Nach Richsteins Angaben wurden durch die Staatsanwaltschaften in Brandenburg
vom Jahr 2000 an von 31 269 verurteilten Straftätern 5904 genetische
Fingerabdrücke in die DNA-Datei des Bundeskriminalamtes aufgenommen. Die
Ministerin will den Katalog der Straftaten, bei denen DNA-Material entnommen
werden darf, ausweiten. Nach ihrer Ansicht sollte eine Untersuchung auch für
banden- oder gewerbsmäßig agierende Täter erlaubt sein.
Sachsen will ebenfalls den genetischen Fingerabdruck als Standard in der
Ermittlungsarbeit festschreiben. Damit sei die erfolgreiche Identifizierung
von Straftätern möglich, hieß es aus dem Innenministerium.
Seit Einführung der Zentralen DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt in
Wiesbaden im April 1998 habe Sachsen Datensätze von rund 19 800 Personen
eingegeben, sagte der Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA), Lothar Hofner.
“Von Jahr zu Jahr sind die Zahlen gestiegen, das liegt auch an der
rückwirkenden Erfassung von rechtskräftig Verurteilten oder inzwischen aus
der Haft Entlassenen.”
“Ohne Gerichtsbeschluss dürfen weder Spuren noch anderes Material von
Tatverdächtigen recherchiert, ausgewertet oder bewertet werden”, sagte
Matthias Kubitz, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Nur wenn
ein Tatverdächtiger “freiwillig den Mund aufmacht”, dürfe eine entsprechende
Speichelprobe entnommen werden. Der genetische Fingerabdruck erleichtere die
Arbeit und bringe Rechtssicherheit für Opfer und Verdächtige, die nicht
immer Täter sein müssten.
Innenminister Horst Rasch (CDU) betonte, dass die DNA-Analyse ein normaler
Bestandteil der erkennungsdienstlichen Behandlung werden müsse. Bei den
genetischen Fingerabdrücken sollte nicht nur die Schwere der verübten
Straftat eine Rolle spielen, insbesondere auch Prognosen über die weitere
Entwicklung eines Straftäters.
“Ich halte es für durchaus gerechtfertigt, verschiedene Sachverhalte, die
jenseits von Sexualstraftaten, Mord und Totschlag liegen, auch mit Mitteln
der DNA aufzuklären”, betonte Rasch.
280 000 Personen erfasst
Die DNA-Analyse gilt als eines der wichtigsten Werkzeuge bei der Aufklärung
von Gewaltverbrechen. Bereits aus winzigen Spuren von Blut, Sperma, Schuppen
oder Haaren können Experten einen genetischen Fingerabdruck — das sind
bestimmte, über das gesamte Erbgut verteilte DNA-Abschnitte — eines Menschen
erstellen. Spuren mit Erbinformationen findet die Polizei laut Deutscher
Gesellschaft für Rechtsmedizin bei etwa der Hälfte aller Tötungsdelikte.
Derzeit sind beim BKA rund 280 000 Personen und 50 400 Datensätze von
Spuren, die an Tatorten gefunden wurden, erfasst. Spitzenreiter ist Bayern
mit 59 000 Personen.