POTSDAM Eigentlich war gestern eine ganz gewöhnliche Anhörung geplant.
Thema: Der Staatsvertrag zwischen dem Land und der Jüdischen Landesgemeinde.
Doch zwischenzeitlich eskalierte die Stimmung im Hauptausschuss des
Potsdamer Landtags. Schimon Nebrat von der Gesetzestreuen Jüdischen
Landesgemeinde nutzte seine Redezeit zu einem verbalen Rundumschlag gegen
Kulturministerin Johanna Wanka (CDU). Diese betreibe eine “diskriminierende
und antisemitische Politik” und der Staatsvertrag sei “ein Sprung zurück in
das Jahr 1938”, schäumte Nebrat. Mit seinen rhetorischen Ausfällen sorgte er
für seltene Einmütigkeit: Selbst die Opposition verwahrte sich gegen Nebrats
maßlose Unterstellungen.
Hintergrund des Eklats: Im Januar einigten sich das Land und die Jüdische
Landesgemeinde mit rund 1240 Mitgliedern auf einen Staatsvertrag. Darin
wurden der hoch verschuldeten Gemeinde unter anderem 200 000 Euro pro Jahr
an staatlichen Mitteln zugesichert. Die konkurrierende Gesetzestreue
Jüdische Landesgemeinde (1999 gegründet und nach eigenen Angaben 430
Mitglieder) ging leer aus. Ihre Forderung nach einer eigenen
institutionellen Förderung wurde vom Kulturministerium bislang abgelehnt,
alternativ angebotene Projektmittel verschmähte wiederum die Gemeinde.
Nebrat hat bereits angekündigt, gegen den Staatsvertrag zu klagen.
Pikant an der gestrigen Anhörung: Die geladenen Experten wiesen Nebrats
Anwürfe zwar entschieden zurück, gaben ihm in der Sache aber grundsätzlich
Recht. ” Das Judentum stellt ebenso wenig eine Religionsgemeinschaft im
staatskirchlichen Sinne dar, wie das Christentum “, argumentierte etwa
Walter Homolka, Rabbiner und Direktor des Abraham-Geiger Kollegs. Deswegen
sei es auch heikel, nur der Jüdischen Landesgemeinde Geld zukommen zu
lassen, mit dem Auftrag, damit auch andere jüdische Gemeinden zu
unterstützen. “Diese Regelung wird den unterschiedlichen jüdischen
Bekenntnissen und ihrer Gleichberechtigung vor dem Staat nicht gerecht.”
Homolkas Fazit: “Der Staatsvertrag wird in dieser Form vor Gericht nicht
standhalten.” Auch der Religionswissenschaftler Karl Grözinger von der
Potsdamer Uni und Hans-Jürgen Schulze-Eggert von der Gesellschaft für
christlich-jüdische Zusammenarbeit warnten vor den juristischen Fallstricken
im Staatsvertrag.
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Schleswig-Holstein. Dort wurde
Anfang des Jahres ein neuer Staatsvertrag unterzeichnet. Danach erhalten die
beiden konkurrierenden jüdischen Verbände ab 2006 jeweils zehn Prozent der
Fördersumme als Grundstock, der Rest wird nach Anzahl der Mitglieder
verteilt.
Die Koalitionsfraktionen wollen trotz der Einwände an der Ratifizierung des
Staatsvertrags in der nächsten Woche festhalten. Die märkische Regelung sei
gängige Praxis in sieben weiteren Bundesländern, wiegelte CDU-Fraktionschef
Thomas Lunacek ab. Auch der SPD-Abgeordnete Wolfgang Klein verbreitete
Gelassenheit. “Falls die Gesetzestreuen mit ihrer Klage Erfolg haben,
erhalten sie halt auch einen Staatsvertrag.”