(MAZ)POTSDAM Eigentlich hätte Jörg Schönbohm gestern einen schönen Erfolg
vermelden können. Die Umstände, unter denen eine Computerfestplatte mit
brisanten Daten der Polizei in die Öffentlichkeit gelangen konnte, sind
innerhalb von drei Tagen aufgeklärt worden. Was den Innenminister allerdings
bewogen hat, dem Innenausschuss des Landtags lediglich von einer
verschwundenen Speicherplatte zu berichten und in der anschließenden
Pressekonferenz einzuräumen, dass es sich um insgesamt sieben gehandelt
habe, bleibt sein Geheimnis. Alle Datenträger waren bundesweit versteigert
worden.
SPD und PDS kritisierten Schönbohms Informationspolitik scharf. Den
Ausschussmitgliedern seien wichtige Informationen vorenthalten worden, sagte
der Vorsitzende des Innenausschusses, Hans-Jürgen Scharfenberg (PDS). Die
innenpolitische Sprecherin der SPD, Britta Stark, zeigte sich “schwer
enttäuscht” vom Verhalten Schönbohms: “Das entspricht nicht den
parlamentarischen Gepflogenheiten.”
Starks Ärger ist verständlich, hatte sie den Minister doch noch zweieinhalb
Stunden zuvor für seinen Ermittlungserfolg ausdrücklich gelobt. Aber die
Stimmung ist umgeschlagen: Die SPD zitiert Schönbohm nun am nächsten
Dienstag erneut vor den Innenausschuss — dann zu einer
Festplatten-Sondersitzung.
Vor Journalisten erklärte Schönbohm gestern Nachmittag, dass ein Mitarbeiter
des Zentraldienstes der Polizei (ZdPol) gestand, die ausrangierte
Speicherplatte entwendet und unberechtigt über das Internet-Auktionshaus
Ebay versteigert zu haben. Auf Nachfragen räumte der Minister ein, dass der
47-jährige Angestellte des Wünsdorfer ZdPol-Lagers für Technik und
Beschaffung sieben Festplatten zur Versteigerung angeboten und veräußert
habe. Alle sieben Datenträger seien sichergestellt und würden derzeit
ausgewertet. Schönbohm konnte nicht sagen, welche Informationen sich auf den
anderen sechs Platten befinden oder befunden haben. Unklar ist auch, ob
Informationen kopiert und weitergegeben wurden. Zwei der Datenträger sind
laut Schönbohm zerstört.
Befürchtungen, dass es bei der Datenlöschung in der mit der Verwertung des
PC-Schrotts beauftragten Firma zu einer Panne gekommen sei, hätten sich
allerdings nicht bestätigt, so der Minister. Es handle sich um einen
Einzeltäter, gegen den die Staatsanwaltschaft Potsdam nun ermittle. Der Mann
habe bereits am Mittwoch den Dienst bei der Polizei quittieren müssen. Ein
aus Potsdam stammender Student der Fachhochschule Wildau hatte die
Festplatte, wie berichtet, Anfang März für knapp 20 Euro bei Ebay
ersteigert, zunächst ohne vom vertraulichen Inhalt zu wissen. Auf der Platte
befanden sich unter anderem Alarmpläne für besondere Situationen, wie
Geiselnahmen oder Entführungen, Namenslisten für Mitarbeiter von
Krisenstäben und Landeslagebilder zur Darstellung der sicherheitspolitischen
Situation.
Nachdem der Fall über einen “Spiegel”-Bericht am vergangenen Wochenende
öffentlich geworden war, hatte Schönbohm umgehend eine Ermittlungsgruppe
unter dem Leiter der Polizeiabteilung des Innenministeriums, Hans-Jürgen
Hohnen, eingesetzt. Da sich der Student zur Mitarbeit bereit erklärte — ein
zwischenzeitlich ausgelobte 2000-Euro-Belohnung fließt ihm nun zu -, ließ
der Erfolg nicht lange auf sich warten. Hohnen gab gestern Entwarnung, dass
es sich bei dem Material um sicherheitspolitische Geheimnisse ersten Grades
gehandelt habe. “Auf der Festplatte waren keine heißen Daten, wie etwa die
Namen von Verdächtigen”, so der Abteilungsleiter. Solche Angaben seien im
besonders gesicherten Zentralcomputer gespeichert.
In der brandenburgischen Polizei gibt es nach Angaben des Innenministers
4900 Computerarbeitsplätze. Jährlich würden 800 bis 1200 Festplatten
gelöscht und verkauft. Seit Anfang des Jahres erledigt das ein bundesweit
renommiertes Spezialunternehmen. Die Firma besitzt laut Schönbohm eine
Lizenz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI).
Er nannte die Festplatten-Affäre einen “äußerst ärgerlichen Vorgang” und
kündigte an, das System der Lagerung ausgedienter Datenträger noch einmal
auf Sicherheitslücken zu überprüfen.
Polizist stahl Festplatten mit Geheimdaten und verkaufte sie
Sieben ausrangierte Datenspeicher wurden sichergestellt. Der Täter hatte sie
aus einem Lager der Polizei entwendet und im Internet versteigert
(Tagesspiegel)Potsdam — Nicht nur eine Computer-Festplatte mit teilweise geheimen Daten
der Polizei ist im Internet versteigert worden — es waren ganze sieben. Dies
teilte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Donnerstag mit. Bisher hatte
das Ministerium nur den Diebstahl einer Festplatte bestätigt (wir
berichteten).
Nach Schönbohms Angaben hat ein 45-jähriger Polizist gestanden, die Platten
entwendet und im Internetauktionshaus Ebay versteigert zu haben. Das Motiv
des Mannes, der 1982 in die Volkspolizei eintrat und nach der Wende
übernommen wurde: Er wollte ein paar Euro hinzuverdienen. Allerdings ist
eine solche Festplatte nur rund 20 Euro wert. Der Angestellte arbeitete im
Zentraldienst der Polizei. Inzwischen ist er nicht mehr im Polizeidienst
tätig: Per Aufhebungsvertrag trennte sich das Innenministerium am Mittwoch
von ihm. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Mann wegen
Unterschlagung.
Schönbohm zufolge befinden sich alle sieben Festplatten wieder im Besitz der
Polizei. Sie wurden im gesamten Bundesgebiet beschlagnahmt, lagen gestern
Nachmittag aber noch nicht vollzählig im Innenministerium vor, weil Kuriere
noch nicht eingetroffen waren.
Am Wochenende hatte das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” berichtet, dass ein
Potsdamer Student Anfang März eine Computer-Festplatte mit internen Daten
der Brandenburger Polizei bei Ebay ersteigert hatte. Der Student stellte die
Festplatte von sich aus den Ermittlern zur Verfügung, nachdem das
Innenministerium eine Belohnung von 2000 Euro für Hinweise zu ihrem
Auffinden ausgelobt hatte. Der Student soll die Belohnung laut Schönbohm
erhalten.
Offenbar durch Hinweise des Internet-Auktionshauses Ebay stießen die
Ermittler sowohl auf den Dieb wie auch auf die Käufer der Festplatten.
Letztere wussten nicht, dass die versteigerten Festplatten aus Beständen der
Polizei stammen. Die von dem Studenten abgelieferte Diskette habe keine
streng vertraulichen Informationen, aber “Verschlusssachen für den
Dienstgebrauch” der Polizei enthalten, so Schönbohm — darunter Alarmpläne
für Geiselnahmen oder Entführungen, Namenslisten für die Besetzung von
Krisenstäben, Einsatzbefehle und “Lagebilder” zur sicherheitspolitischen
Situation im Land, aber auch Telefonnummern von Beamten. Auf den übrigen
bisher vorliegenden Platten sind nach Angaben von Schönbohm keine
Informationen gespeichert: Zwei Festplatten seien “nicht funktionsfähig”,
die dritte ist leer. Nicht bekannt war gestern, was auf den übrigen drei
Festplatten gespeichert ist, die dem Ministerium noch nicht vorlagen. Unklar
ist auch, ob Kopien angefertigt wurden.
Schönbohm kündigte an, dass sein Ministerium Konsequenzen ziehen werde: Zwar
handele es sich um “einen bedauernswerten Einzelfall krimineller Energie”.
Dennoch müssten die Abläufe überprüft werden. Der Polizist entwendete die
Festplatten aus einem verschlossenen Lager in Wünsdorf, wo er beschäftigt
war. Dort werden ausrangierte Platten gelagert, bis sie nach einem vom
Bundesinnenminister vorgeschlagenen Verfahren zu einer Berliner Spezialfirma
geliefert werden, die sie vernichtet. Künftig müsse sichergestellt werden,
dass “kein Sicherheitsleck” entstehen könne. Brande
nburgs
Datenschutzbeauftragter Alexander Dix hatte von “einen Skandal ersten
Ranges” gesprochen.
Einen ähnlichen Fall hat es bisher nur in Thüringen gegeben: Dort wurden
1998 aus dem Innenministerium zwei Computer mit 1600 teils geheimen Daten
gestohlen, unter anderem zur Sicherheitsüberprüfung der Minister. Die Affäre
löste eine schwere Regierungskrise in der damaligen Großen Koalition in
Erfurt aus. Auch in der Potsdamer Koalition gab es gestern Ärger: Die SPD
beantragte am Abend eine Sondersitzung des Innenausschusses, weil Schönbohm
dort mittags von nur einer Festplatte gesprochen hatte. Auch die PDS warf
Schönbohm vor, im Ausschuss wichtige Fakten verschwiegen zu haben und
verlangte Aufklärung.