Nach den Wahlerfolgen in Sachsen und Brandenburg steigen Rechtsextreme auch
in der Gunst der Berliner Wähler. Zum Glück kommt die rechtsextreme Szene in
Berlin aber untereinander nicht klar
(TAZ, Felix Lee) Auf Bundesebene schmieden NPD-Kader, DVU-Funktionäre und Anhänger der
Neonazi-Szene eine neue “nationale Volksfront”. Die rechte Szene in Berlin
konnte vom bundesweiten Stimmungshoch bisher aber nicht profitieren. Sie
bleibt zerstritten und zersplittert.
Am Wochenende hat der so genannte Märkische Heimatschutzbund (MHS) einen
Hauptstadt-Ableger gegründet — eine Kameradschaft, die im November 2001 von
dem Neonazi Gordon Reinholz in der Uckermark gegründet wurde und inzwischen
mit rund 35 Mitgliedern zu den größten Kameradschaften in Brandenburg zählt.
Mit der Gründung einer Sektion in Berlin ist die Zahl der Kameradschaften
auf gut ein halbes Dutzend gestiegen. Dennoch ist Berlin von einem neuen
Boom der rechten Szene weit entfernt.
Gründungen von neonazistischen Parteien, Kameradschaften, Vereinen und
Bünden hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Doch viel mehr
sind sie nicht geworden. Denn am Personenkreis hat sich nur wenig verändert.
Vor allem nicht am Umgang untereinander. Dieser zeichnet sich vor allem
dadurch aus, dass die rechten Führungskader untereinander heillos
zerstritten sind.
Allen voran die rechtsextremen Parteien. Die DVU ist in Berlin quasi nicht
existent, die Republikaner gibt es de facto nicht mehr und die NPD führt
seit der Spaltung des gemeinsamen Landesverbands Berlin/Brandenburg im April
2003 ein nur noch kümmerliches Dasein. Damals wurden als Trennungsgrund nach
außen hin die “unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten” im Stadtstaat und im Flächenland angeführt. Wesentlich
ausschlaggebender waren jedoch persönlicher Zwist und die Frage der
Militanz. Vielen Basisaktivisten, die verstärkt mit den militanten
Kameradschaften sympathisierten, war die Parteiführung zu “lasch”.
Spätestens mit dem Austritt des “Demonstrations-Motors” René Bethage, der
seither seine Aufmärsche über die von ihm gegründete Kameradschaft “Berliner
Alternative Süd-Ost” (Baso) organisiert, sind vom Berliner NPD-Landesverband
kaum noch Impulse ausgegangen, heißt es im Antifaschistischen Infoblatt.
Wenn es überhaupt zu Aktionen der NPD in Berlin gekommen war, wie zum
Beispiel dem Aufmarsch am 1. Mai, wurden sie von Funktionären der
NPD-Bundeszentrale getragen.
Noch zerstrittener ist der NPD-Landesverband in Brandenburg. Die Absprache
mit der DVU bei den Landtagswahlen im September als Kooperation zu verkaufen
sei “schlichtweg ein Witz”, sagt Ulli Jentsch vom Antifaschistischen
Pressearchiv (apabiz). Die NPD in Brandenburg sei quasi gar nicht existent.
In der Berliner rechten Szene, der der Verfassungsschutz aktuell etwa 2.400
Mitglieder zuordnet, bleibt die NPD trotz ihres Wahlerfolgs in Sachsen
unattraktiv. Entgegen dem Bundestrend gibt es auch keine Anzeichen für einen
Zulauf von militanten Kameradschaftsmitgliedern. Selbst das Gerücht, der
Kopf der Neonazi-Band “Landser”, Michael Regener, habe sich der NPD
angeschlossen, kann von Sicherheitskreisen bislang nicht bestätigt werden.
“Die Berliner sind ganz gut gefeit”
Innensenator Körting (SPD) plädiert angesichts von Umfragewerten und den
Aktivitäten Brandenburger Rechtsextremisten in der Hauptstadt für
Nüchternheit: Eine Demokratie könne das in Ruhe beobachten
taz: Herr Körting, laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa
würden sechs Prozent der Berliner bei den nächsten Wahlen rechtsradikale
Parteien wie NPD oder DVU wählen. Macht Ihnen das Sorge?
Ehrhart Körting: Natürlich macht es mir Sorge, dass es in Berlin ein
Wählerpotenzial von mehr als fünf Prozent gibt, das rechtsextremistisch
wählen könnte. Aber man muss das Ganze nüchtern sehen. Solche Prozentzahlen
sind nicht nur Ausdruck einer rechtsextremistischen Grundhaltung, sondern
auch Teil einer Proteststimmung gegenüber der etablierten Politik.
Wie meinen Sie das?
Ich würde sagen, dass die Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und
Brandenburg den Ausschlag für die sechs Prozent in der Berliner Umfrage
gegeben haben. Den wirklich harten Kern rechtsextremistischer Wähler in
Berlin würde ich nach wie vor wesentlich geringer einschätzen. Das haben
bisher alle Wahlen in Berlin gezeigt. Die einzige rechtsextreme Partei, der
es gelang, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen, waren 1989 die Republikaner.
Normalerweise liegt das Wahlergebnis von Parteien wie der NPD kaum höher als
ein Prozent. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt sind ganz gut gefeit.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
In einer Stadt, in der das tägliche Miteinander mit Ausländern
selbstverständlich ist, ist es schwerer, mit Anti-Ausländer-Parolen zu
landen, als in Brandenburg oder Sachsen, wo es kaum Ausländer gibt.
Der “Märkische Heimatschutz”, eine rechtsextremistische Organisation aus
Brandenburg, hat jetzt in Berlin eine Sektion gegründet. Wie bewerten Sie
das?
Das beunruhigt mich weniger. Der “Märkische Heimatschutz” ist ein relativ
kleiner Verband, der offensichtlich versucht, innerhalb der
Kameradschaftsszene in Berlin Mitglieder zu fischen. Ich bewerte das eher
so, dass sich das kleine Rechtsextremismus-Spektrum in Berlin neu sortiert,
als dass die Gruppen im Begriff sind, ihren Einfluss auszuweiten. Wenn nur
die Namensschilder bei den Rechtsextremisten ausgewechselt werden, ohne dass
sich die Zugkraft und Mitgliederzahlen erhöhen, ist das kein Grund zu
übertriebener Sorge.
Auch Neubildungen von Kameradschaften sind nichts Ungewöhnliches?
Solche Bewegungen hatten wir auch schon in der Vergangenheit — von der NPD
weg hin zu den Kameradschaften. Zurzeit ist mal wieder eine Entwicklung hin
zur NPD zu beobachten. Das gilt auch für die Absichtserklärung von NPD und
DVU, zusammen mit anderen Wahlbündnisse zu bilden. Solange es dabei bleibt,
kann eine Demokratie das in Ruhe beobachten.
Die Brandenburger Rechtsextremisten wollen Geld und Personal in die
Hauptstadt pumpen — ist das keine neue Qualität?
Ich würde das nicht zu hoch hängen. Wenn irgendwelche Leute der
rechtsextremen Szene mit besonders markigen Parolen auftreten und wir diese
Parolen ungeprüft als Bedrohung unserer Grundordnung ansehen, betreiben wir
ungewollt Propaganda. In diesem Sinne möchte ich davor warnen, immer gleich
in Panik zu verfallen, wenn es sich um Maulhurerei handelt. Anders, wenn
Rechtsextremismus gefährlich wird: Das muss deutlich gesagt werden.