Gregor Voehse, Sozialarbeiter beim Diakonischen Werk in Potsdam und Mitglied der AG Fanprojekte, ist seit 2001 als Fanbetreuer des Fußballvereins SV Babelsberg 03 tätig. Der 42-Jährige war in Schönberg Augenzeuge, als die mecklenburgische Polizei nach dem Zünden von Rauchbomben und Fackeln durch einige SVB-Fans mit aller Härte durchgriff und 36 Anhänger in Gewahrsam nahm. Mit Voehse sprach MAZ-Redakteur Jens Trommer.
Wie haben Sie die Vorfälle in Schönberg erlebt?
Voehse: Die Reaktion der Polizei war völlig übertrieben und ist letztlich die Folge mehrfachen Versagens der Ordnungshüter. Zum einen hätten szenekundige Beamte wissen müssen, dass ein derartiges Polizeiaufgebot wie in Schönberg von den Fans, gerade aus der linken Szene, immer als Provokation angesehen wird und dies nur zur Eskalation beiträgt. Dann haben die Ordner im Stadion versagt. Die Pyrotechnik hätte gar nicht auf die Traversen kommen dürfen.
Doch gezündet haben ein paar Unverbesserliche aus dem Babelsberger Block. Hätten sie es nicht besser wissen müssen?
Voehse: Die Pyro-Aktion, die da gelaufen ist, war schon heftig und diejenigen wussten auch, was sie tun. Dies rechtfertigt aber nicht den Polizeieinsatz, bei dem wahllos 60 Leute abgedrängt und verhaftet worden sind. Normalerweise benötigt die Polizei nach Auswertung der Videos eine halbe Stunde, um den vermeintlichen Täterkreis herauszufinden. In Schönberg wurde willkürlich verhaftet.
Leben Fußballfans gefährlich?
Voehse: Auf alle Fälle ja. Der Deutsche Fußball-Bund geht, wohl mit Blick auf die WM 2006, gegen Fans unglaublich rigide vor. Jede Form der Ausgrenzung ist erlaubt. Wer sich als Fan outet, mit der Gruppe läuft, muss davon ausgehen, dass er persönlicher Grundrechte beraubt wird. Er darf bestimmte Wege nicht verlassen, wird gefilmt. Du riskierst deinen Job, deine Reputation, nur weil du Fußballfan bist.
Augenzeugen haben der MAZ berichtet, der Ärger ging schon auf dem Bahnhof Schönberg los.
Voehse: Als die Babelsberger auf dem Bahnhof eintrafen und zum Stadion gingen, wurden sie von der Polizei unter Androhung des Schlagstockeinsatzes aufgefordert, den ein bis zwei Meter breiten Bürgersteig nicht zu verlassen, obgleich die Straße menschenleer war. Kommunikationspsychologisch wird dies als “paradoxe Handlungsaufforderung” bezeichnet. Der Bürgersteig war viel zu klein, um die Gruppe aufzunehmen, die Polizei hatte damit eine Handhabe zum Schlagstockeinsatz. Glücklicherweise ist es da noch nicht zum Äußersten gekommen.
Später dann doch. Was passiert mit den 36 Fans, die in Gewahrsam genommen wurden?
Voehse: Ihnen drohen Anzeigen wegen Landfriedensbruch oder wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Zudem werden alle Personen, von denen im Kontext von Fußballspielen die Personalien aufgenommen werden, in der Datei “Gewalttäter Sport” in Düsseldorf erfasst. Dadurch ist es der Polizei möglich, Gewalttäter auszugrenzen,…
…, was ja so falsch nicht ist. Oder?
Voehse: Gegen gewaltbereite Fans, die Leib und Leben anderer gefährden und das Stadion als Plattform nutzen, muss man mit allen gebotenen Mitteln durchgreifen, keine Frage. Aber es muss differenziert werden zwischen brutalen Gewalttaten und dem Abbrennen von Pyrotechnik. Wenn diese Differenzierung nicht vorgenommen wird, ist es meine Aufgabe, eine Schutzfunktion für die Fans einzunehmen.
In Schönberg sollen auch Unbeteiligte polizeilich erfasst worden seien?
Voehse: Das stimmt. Nur ein Beispiel: Ein Anhänger wollte seinem Kumpel im von der Polizei eingekesselten Bereich einen Becher Bier reichen. Auch er wurde festgenommen.
Sie stehen immer im Fanblock, sind Sie auch in der Datei “Gewalttäter Sport” erfasst?
Voehse: Ich bin sicher, dass ich auch drin stehe, weil mir mal in Chemnitz vorgeworfen wurde, ich hätte Pyrotechnik ins Stadion geschmuggelt. Dabei gibt es Zeugen — etwa den polizeiszenekundigen Beamten von Potsdam, der dies sogar schriftlich niedergelegt hat -, die zweifelsfrei beweisen konnten, dass dies nicht stimmt. Dies hat den Nordostdeutschen Fußball-Verband nicht davon abgehalten, in seiner eigenartigen Beweisführung den Verein und mich schuldig zu sprechen.
Die Vorkommnisse von Schönberg haben viele Eltern aufgeschreckt. Sollten sie ihre Kinder noch zum Fußball fahren lassen?
Voehse: Ich würde davon abraten, Kinder unter 16 Jahren zu Auswärtsspielen des SV Babelsberg fahren zu lassen, denn niemand vermag sie vor solchen ungeheuer brutalen Zugriffen der Polizei zu schützen.