Rechte „Kameradschaften“ — Die Mitglieder werden nur selten als gewaltbereit verdächtigt – weil sie so angepasst leben.
(Annette Ramelsberger, SZ vom 13.9. 2003) Die „Kameradschaft Süd-Aktionsbüro Süddeutschland“ hat mit ihrem geplanten Bombenanschlag in München eine „neue Dimension kriminellen Handelns“ eröffnet – so sieht es das Bundesinnenministerium. Und ist, wie viele Experten, ziemlich überrascht.
Denn bisher galten die rechtsradikalen Kameradschaften als zwar politisch extreme, aber nicht gewalttätige Organisationen.
Gegenläufig zur aktuellen Diskussion bei den Rechtsradikalen
Selbst auf ihrer eigenen Internet-Plattform, dem „Störtebeker“-Netz, wird die Anschlagsplanung des Münchner Rechtsextremisten Martin Wiese und seiner Kumpane als kontraproduktiv gewertet.
„Der Fall Wiese & Co. zeigt wieder einmal deutlich, dass die deutsche Rechte weder Juden noch Antifa benötigt, um sich fertig zu machen, sondern dies auch ganz gut alleine zuwege bringt“, heißt es bei Störtebeker. „Eigentlich passt das, was in München geplant war, nicht zur aktuellen Diskussion in der Szene“, sagt ein Rechtsradikalismus-Experte. „In der Regel gehören Kameradschaften nicht zum gewaltbereiten Spektrum.“ Die Münchner Gruppe brauchte für ihre Planung offensichtlich die Anleitung zweier ostdeutscher Neonazis: des informellen Chefs Martin Wiese, 27, geboren in Anklam, aufgewachsen in Pasewalk, und Alexander Metzings aus dem brandenburgischen Luckenwalde.
Um sie herum gruppieren sich Männer und Frauen aus Baldham, München und Garmisch-Partenkirchen, die Frauen meist als Freundinnen der eigentlich aktiven Neonazis.
Die Frauen feuern ihre Männer dann auch schon mal an, ordentlich zuzutreten, wenn die einen Abtrünnigen zusammenschlagen – wie offenbar im Juli in Unterschleißheim, als ein aussteigewilliger Rechtsradikaler von Metzing und einem Kumpan verprügelt worden war.
„Opa war in Ordnung“
Das Leben in solchen Kameradschaften erinnert manchmal fast an bürgerliche Strukturen:
Man trifft sich zum Stammtisch, spricht über Politik, vorzugsweise die während der Zeit des Nationalsozialismus, plant Reisen zu Skinhead-Konzerten oder zu Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung. In Peenemünde an der Ostsee, wo die Wehrmachtsausstellung gerade gastierte, organisierte die „Kameradschaft Usedom“ Infostände unter dem Motto: „Opa war in Ordnung“. Natürlich registrierten Polizei und Verfassungsschutz bundesweit immer wieder Anschläge mit antisemitischem Hintergrund – aber die Täter kamen meist nicht aus den rechten Kameradschaften.
Wenn etwa an der Gedenkstätte für jüdische KZ-Häftlinge in Ludwigslust (Mecklenburg) ein Schweinekopf hing, suchten die Ermittler nicht unbedingt bei den Kameraden. Die gaben sich ja unauffällig, stellten Ordner und griffen an ihren Infoständen sogar kommunalpolitische Themen auf.
Selbst wenn sie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) niederschrieen und Papierschnipsel mit rechten Parolen warfen – wie bei Thierses Besuch auf der Insel Usedom im Frühjahr 2001 – die Polizei stellte noch nicht einmal ihre Personalien fest. Sie schlugen ja nicht zu.
Viele haben schon vergessen, dass es keine drei Jahre her ist, als der „Kampf gegen das System“ noch offen propagiert wurde. Damals wurde im Szeneblatt Hamburger Sturm auch noch Mord gut geheißen. 1997 hatte der Neonazi Kay Diesner einen Berliner Buchhändler zum Krüppel geschossen und dann einen Polizisten ermordet. Ein „Akt persönlicher Befreiung“ sei das gewesen, notwendig „im Krieg gegen das System“, schrieb der Hamburger Sturm.
„Eine Frage der Zeit“
Und der Reichsruf – Mitteilungsblatt für revolutionäre Nationalsozialisten formulierte 1999 unter der Überschrift „Dann eben mit Gewalt – Analyse zur Unterdrückung oppositioneller NS-Kräfte, deren Hintergründe und zum bewaffneten Kampf“ auch Sätze, die auch heute noch hoch interessant sind. Es sei nur „eine Frage der Zeit, wann sich eine Widerstandsbewegung nach Paragraph 129a formiert und in Aktion tritt“, heißt es da. Wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ermittelt seit Donnerstagabend der Generalbundesanwalt gegen die Münchner Kameraden.
Dass Waffen und Sprengstoff in der Szene kursieren, wissen die Ermittler schon lange – immer wieder entdecken sie ganze Garagen voll Munition, Granaten, Raketenteile.
Im Süden Berlins hatte ein Neonazi sogar eine Rohrbombe gebastelt und sich ein Scharfschützengewehr besorgt, um politische Gegner auszuschalten. Im Sommer 2000 wurde ihm der Prozess gemacht. Seitdem schien etwas Ruhe eingekehrt zu sein — ein falscher Eindruck.