Die Asylbewerber hatten sich unter anderem beschwert, dass Sicherheitsdienst
in ihrem Heim Neonazis beschäftigt
RATHENOW taz Sechs Prozesstage benötigte das Amtsgericht Rathenow, um den
28-jährigen Togoer Mohammed Abdel Amine und den 34-jährigen Palästinenser
Mohamad Mahmoud freizusprechen. Der Vorwurf lautete auf üble Nachrede.
Gemeinsam mit mehr als 60 weiteren Asylbewerbern hatten sich beide
Flüchtlinge im Sommer 2002 mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt, um
die Bedingungen in ihrem Heim anzuprangern. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO)
reagierte mit einer Anzeige.
Hauptvorwurf der Flüchtlinge: Das zu ihrem Schutz eingesetzte
Sicherheitsunternehmen “Zarnikow” würde Neonazis beschäftigen. Dies wurde
vom Brandenburger Verfassungsschutz bestätigt, kurz nachdem der Brief
veröffentlicht worden war. Die anderen Kritikpunkte erhärteten sich nun
ebenfalls vor Gericht: Die Flüchtlinge hatten sich beschwert, ihre Post sei
geöffnet worden und AWO-Mitarbeiter würden unangekündigt ihre Zimmer
betreten. “In beiden Anklagepunkten ist den Angeklagten die Beweispflicht
gelungen”, sagte Richter Robert Ligier.
Einschränkend verwies Ligier darauf, dass nicht nachzuweisen sei, wer die
Post geöffnet habe; zu viele Heimmitarbeiter hätten Zugang zur Poststelle
gehabt. “Dass Post kontinuierlich geöffnet wurde, sei aber zweifelsfrei
erwiesen.” Des weiteren beklagte der Richter, dass der Prozess “kein
richtiger Ort für die Diskussion über die Zustände in dem Asylbewerberheim”
gewesen sei. Dennoch äußerte Ligier die Hoffnung, dass die Missstände nun
schnell behoben würden.
Zuvor hatte Staatsanwalt Gerd Heininger zwar noch eine minimale Geldstrafe
von 50 Euro für die Angeklagten gefordert, sich aber ebenfalls schockiert
gezeigt. “Bei manchen Aussagen der Heimleitung hat es mir die Kehle
zugeschnürt.” Ob er den Prozess nochmals vor dem Landgericht aufrollt, ließ
er offen.
Gegen die AWO-Mitarbeiter, die vor Gericht ausgesagt haben, werde allerdings
eine Anzeige wegen Falschaussage geprüft. “Ich werde mir noch mal genau die
Protokolle des Prozesses anhören und dann entscheiden”, sagte Heininger der
taz.
Als besonders schwerwiegend bewertete das Gericht auch die Praxis der
Heimleitung, Flüchtlinge eigenmächtig zu verhören. Damit habe sich die
Heimleitung “Polizeibefugnisse” angemaßt. “Ich fordere personelle und
strukturelle Konsequenzen in der Betreibung des Heimes hier in Rathenow”,
sagte Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff, der den Angeklagten Mohammed Abdel
Amine vertrat. Auch die Verteidigung prüft eine Anzeige wegen Falschaussage
gegen die Heimmitarbeiterinnen.
Vom AWO-Kreisverband Havelland war nach der Urteilsverkündung keine
Stellungsnahme zu erhalten. In einer Erklärung hatte Geschäftsführer Ralf
Schröder allerdings vor einigen Tagen keinerlei Unrechtsbewusstsein
angedeutet: “Die Heimleitung muss die Hausordnung durchsetzen, um das
Heimklima für alle erträglich zu gestalten. Als Autoritätsperson muss sie
naturgemäß auch Sanktionen verhängen, wenn gegen die Heimordnung verstoßen
wird, wiederholt und ohne Einsicht.”