Die Junge Welt sprach mit Marion Siebler von der Berliner »Initiative gegen das Chipkartensystem« (Interview: Markus Bernhardt)
F: Im brandenburgischen Kunersdorf protestieren Asylbewerber seit Mittwoch gegen das sogenannte Chipkartensystem (jW berichtete). Sie wollen ihre Sozialhilfe in bar ausgezahlt bekommen. Wovon leben die Flüchtlinge, solange sie die Annahme der Karten verweigern?
Die unfreiwilligen Bewohner des Asylbewerberheims haben am Mittwoch das Tor friedlich blockiert. Die Mitarbeiter des Sozialamts kamen nicht rein und sind ihre Chipkarten nicht losgeworden. Natürlich haben die Flüchtlinge damit faktisch auch keine Sozialhilfe bekommen. Da sie nicht arbeiten dürfen, sind die Protestler auf Spenden und Unterstützung angewiesen.
F: Wie ist die Lage der Flüchtlinge in Kunersdorf?
Das Dorf selbst besteht nur aus ein paar Häusern. Die Flüchtlinge leben relativ isoliert im Wald. Zum Telefonieren oder Einkaufen müssen sie eine Stunde in den nächsten Ort laufen, denn Busfahren kann man nicht mit den Chipkarten. Und wenn die Menschen diesen trostlosen Bezirk verlassen würden, würden sie gegen die Residenzpflicht verstoßen.
F: Die Verwendung der Chipkarten ist für den Landkreis teurer als die Ausgabe von Bargeld an die Flüchtlinge. Warum hält die Politik trotzdem am Chipkartsystem fest?
Angeblich soll so verhindert werden, daß die Flüchtlinge sich von ihrem Geld »zweckfremde« Dinge kaufen oder sogenannte »Schlepper« bezahlen. Tatsächlich ist der gekürzte Satz von 70 Prozent der regulären Sozialhilfe ohnehin zum Leben zu wenig! Die Landesregierung hat es den Landkreisen freigestellt, ob sie das Chipkartensystem beibehalten. Die meisten Kommunen zählen inzwischen wieder Bargeld statt Sachleistungen aus. Diejenigen, die am Chipkartensystem festhalten, tun dies, um die Menschen auszugrenzen und zu diskriminieren!
F: Haben die Asylbewerber eine Chance gegen die Behördenschikane?
Um ihren Widerstand zu brechen, hat das Sozialamt angekündigt den Menschen für jeden Tag des Protestes fünf Euro ihres Geldes zu streichen. Der Widerstand kann nur so lange weitergehen, wie die Menschen es schaffen, auf die Chipkarten zu verzichten. Nur wenn ihnen Geld und praktische Unterstützung zukommt, können sie ihre Stärke und den Mut, den sie bewiesen haben, aufrechterhalten! In Zeiten massiver sozialer Kürzungen in allen Bereichen sind diese Menschen ein Beispiel für aufrechten und konsequenten Widerstand – wir können sicher alle noch viel von ihnen lernen!
Spenden erbeten an: »Antirassistische Initiative«, Stichwort »Aktion Chipkarten« bei der Bank für Sozialwirtschaft (Konto-Nr: 3039602 Bankleitzahl: 10020500)