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Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt: Leben zwischen Wohnheim und Knast

Unter Gen­er­alver­dacht

Flüchtlinge in Eisen­hüt­ten­stadt: Leben zwis­chen Wohn­heim und Knast

ZABH-Leit­er Lorsch:

“Die Zäune dienen dem Schutz der Asyl­be­wer­ber… Wir haben natür­lich das Prob­lem, daß die
Asyl­be­wer­ber in Eisen­hüt­ten­stadt diese Ein­rich­tung als Schutz empfind­en müssen, weil sie son­st diese
Ein­rich­tung nicht mehr anlaufen würden,sie wür­den son­st zwangsläu­fig auf der Park­bank irgendwo
schlafen, kein geregeltes Essen mehr bekommen…”

EISENHÜTTENSTADT Eisen­hüt­ten­stadt — von diesem ein­sti­gen Indus­triezen­trum der DDR
ist nur noch der Name übrigge­blieben. Mit dem Zusam­men­bruch der Indus­trie nach 1990 hielt die
Arbeit­slosigkeit Einzug in die Stadt und die umliegende Region. Vor allem Jün­gere zogen weg.
Andere blieben frus­tri­ert zurück. Manche sucht­en Sün­den­böcke und mein­ten, sie in den
Insassen der Zen­tralen Auf­nahmestelle für Asyl­be­wer­ber gefun­den zu haben. Anfang der 90er
Jahre geri­et die Stadt durch ras­sis­tis­che Überfälle immer wieder in die Schlagzeilen.
Höhep­unkt waren die Som­mertage Ende August und Anfang Sep­tem­ber 1992, als das am Rande
der Innen­stadt gele­gene Flüchtling­sheim in der Nähe eines Neubauge­bi­ets von rechten
Jugendlichen tage­lang belagert und unter dem Applaus von Schaulusti­gen mit Brand­flaschen und
Steinen attack­iert wurde. Mehrere Gebäude­teile bran­nten damals völ­lig aus. 

Nichts erin­nert heute mehr an diese Som­mertage vor über neun Jahren. Längst hat die
Nor­mal­ität auch in Eisen­hüt­ten­stadt Einzug gehal­ten. Doch die ist für Migranten alles
andere als erfreulich. Hier lan­den alle Flüchtlinge, die im Land Bran­den­burg Asyl beantra­gen. Zur
Zeit kom­men sie über­wiegend aus Kolumbi­en, Kamerun, Viet­nam und Alge­rien. Meis­tens werden
sie vom BGS aufge­grif­f­en und nach Eisen­hüt­ten­stadt gekar­rt. Die durch­schnit­tliche Verweildauer
beträgt vier bis sechs Wochen. Ein Teil wird dann auf andere Heime verteilt, auf die anderen wartet
der Abschiebek­nast direkt auf dem Gelände. 

Mico­lai ist sehr beschäftigt. Der jugoslaw­is­che Flüchtling stre­icht die Wände im Flur des
Fam­i­lien­heims. “So habe ich etwas Abwech­slung und ver­di­ene mir auch noch etwas Taschengeld”,
meinte er. Tat­säch­lich sind zwei DM Stun­den­lohn für einen Flüchtling mit 80 DM im
Monat ein willkommen­er Zuver­di­enst. Doch nicht alle arbeit­en frei­willig. Manche müssen damit
Straf­be­fehle abbezahlen, die wegen irgendwelch­er Ver­let­zun­gen der Aufen­thalts­bes­tim­mungen, wie dem
Ver­lassen des Land­kreis­es, ver­hängt wurden. 

Im Fam­i­lien­heim leben die Flüchtlinge, die wie Mico­lai mit Frau und Kindern nach Deutschland
ein­gereist sind. Jede Fam­i­lie teilt sich einen Raum. Die unver­heirateten Insassen, die die Mehrheit der
zir­ka 800 Heim­be­wohn­er stellen, müssen sich mit sieben frem­den Men­schen einen engen Raum im
Gebäude ein­er ehe­ma­li­gen NVA-Kaserne teilen. Die Zim­mer sind vollgestellt mit Mobil­iar, welches
von Sper­rmüll oft kaum zu unter­schei­den ist, ein Tisch, Stüh­le, ein paar Regale, in der Regel
vergilbt oder verblichen und stark abgenutzt. Der Blick nach draußen trägt viel zur
bek­lem­menden Atmo­sphäre bei. Ein Maschen­drahtza­un, gle­ich dahin­ter eine zweite Wand aus
Well­blech, das ver­wilderte NVA-Übungs­gelände, eben­falls hin­ter Draht, und ein betonierter
Park­platz. Drei Gebäude begren­zen den Appellplatz. Im ersten ist die Außen­stelle des
Bun­de­samtes für die Anerken­nung aus­ländis­ch­er Flüchtlinge (BAFl) unterge­bracht. Ein
kleineres Querge­bäude belegt die Lager­leitung der pri­vat­en Sicher­heits­fir­ma B.O.S.S., die für
die Bewachung und Kon­trolle der Anlage zuständig ist. Im drit­ten Gebäude am Platz, einem
Kaser­nen­bau der NVA, sind die ledi­gen Män­ner unterge­bracht. Dazwis­chen liegen ein kleiner
Spielplatz und ein Fußballfeld. Doch bei deren Benutzung ist Vor­sicht geboten, wenige Meter weiter
begin­nt die Tabuzone. 

Dort befind­et sich das Lager im Lager, der für 60 Män­ner und 14 Frauen ausgestattete
Abschiebek­nast. Was im Inneren vorge­ht, ist von außen nicht wahrnehm­bar. Nur eine Stunde am
Tag kommt etwas Leben in die ster­ile Umge­bung. Dann haben die Häftlinge Hof­gang. Dann sehen
die Flüchtlinge Män­ner und Frauen, mit denen sie bis vor kurzen noch das Zim­mer und die
Küche sowie die Hoff­nung auf ein neues Leben in Deutsch­land geteilt hat­ten, einges­per­rt hinter
Stachel­draht. Mitar­beit­er des Bran­den­burg­er Flüchtlingsrats hal­ten die Zusam­men­le­gung von
Flüchtling­sheim und Abschiebek­nast für eine beson­ders abschreck­ende Maßnahme.
“Damit wer­den die Flüchtlinge vom ersten Tag an daran erin­nert, wie ger­ing ihre Chance auf
Anerken­nung ist.” 

Noch drastis­ch­er drück­en es viele Insassen aus. “Eisen­hüt­ten­stadt ist für uns
Flüchtlinge ein Ort des Schreck­ens”, meint Eric Pas­cal Powe. Der Aktivist der Brandenburger
Flüchtlingsini­tia­tive kommt aus Kamerun. An seinen mehrmonati­gen Aufen­thalt in
Eisen­hüt­ten­stadt hat er keine guten Erin­nerun­gen. Alle Flüchtlinge müssen
ständig eine Chip­karte mit ihren per­sön­lichen Dat­en bei sich tra­gen. Beim Ver­lassen des
Heimes muß die eben­so wie bei der Ankun­ft in ein elek­tro­n­is­ches Lesegerät gesteckt werden,
so daß die Insassen unter totaler Kon­trolle ste­hen. Doch die Bewohn­er haben nicht die
Möglichkeit, bei einem Stadt­bum­mel den grauen Heimall­t­ag für einige Stun­den zu vergessen. 

“Ein Leben außer­halb des Heims gibt es dort für die Flüchtlinge nicht”, erin­nert sich
Powe. Das liegt auch an den in Eisen­hüt­ten­stadt und Umge­bung nach wie vor aktiven
Neon­azi­grup­pen. Deshalb ver­lassen die Flüchtlinge das Heim möglichst nicht allein und
mei­den die Stadt nach Ein­bruch der Dunkel­heit. Aber auch die Staats­macht will ver­hin­dern, daß
sich die Bewohn­er außer­halb des Heims soziale Kon­tak­te auf­bauen. Flüchtlinge beklagen,
daß sie von der Polizei ver­fol­gt wer­den, wenn sie das Heim ver­lassen. Bewegt sich ein
Flüchtling Rich­tung Bahn­hof, macht er sich in den Augen von BGS und Polizei besonders
verdächtig. Er kön­nte im Begriff sein, ger­ade eine Straftat zu bege­hen. Schließlich
unter­liegen alle Heim­be­wohn­er der Res­i­den­zpflicht. Sie dür­fen den Land­kreis nicht verlassen. 

“Oft gehen die Flüchtlinge völ­lig ahnungs­los und ohne einen Anwalt in die Gespräche,
die über Aufen­thalt oder Abschiebung entschei­den”, meint Klaus. “Daher ver­wun­dert die niedrige
Anerken­nungsquote in Eisen­hüt­ten­stadt auch nicht.” Klaus gehört zu ein­er kleinen
örtlichen Ini­tia­tive, die die Flüchtlinge besucht und über ihre Rechte informiert. Die
Flüchtlinge haben kein Ver­trauen in die staatlichen Beratungsstellen. Eine unabhängige
Beratungsstelle, wie es sie in vie­len anderen Städten längst gibt, fehlt aber in
Eisen­hüt­ten­stadt noch immer. 

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