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Wohnen & Stadt

Freiräume erkämpfen, Utopien diskutieren

Wir haben am 21.09.18 das Haus in der Guten­bergstr. Ecke, Hebbel­str. besetzt!

Wir protestieren damit gegen die Umstruk­turierungspoli­tik der Stadt Pots­dam der let­zten fast 30 Jahre, die in ihrer Folge die
Reichen immer reich­er, und die Sit­u­a­tion der Ärmeren in der Stadt immer schwieriger gemacht hat. Während die
Stadtregierung mit dem FH-Abriss sämtliche Ideen für einen unkom­merziellen Kul­tur- und Begeg­nung­sort zer­stört hat,
eröffnet die Beset­zung einen Freiraum in der Innen­stadt, der sich gegen den rabi­at­en Kahlschlag und Ausverkauf stellt. Das
beset­zte Haus kann ein Ort der Möglichkeit­en sein, der fern von Prof­it­gi­er und Barock­fan­tasien die rel­e­van­ten Bedürfnisse der
Men­schen in den Mit­telpunkt stellt. Es braucht keine detail­lierte Umfrage, um zu wis­sen, was in dieser (Innen)-stadt fehlt
(Wohnen, selb­stver­wal­tete Kul­tur, Begeg­nung­sorte, Band­proberäume usw.). Das beset­zte Gebäude kann zeigen, dass die
kom­merzielle Ver­w­er­tung und die Entwick­lung zur toten Pup­pen­stadt nicht alter­na­tiv­los ist! Auch wenn’s der Stadtregierung
nicht passt: Wir reden nicht nur von einem bun­ten und tol­er­an­ten Pots­dam – wir fordern es ein und leben es! Und wenn es sein
muss, kämpfen wir um jeden Zen­time­ter Freiraum!
Der Wohlfühlfak­tor der Reichen

Im Gegen­satz zum ver­meintlichen Wohlfühlfak­tor (siehe PNN..), gibt es keine Erhe­bun­gen darüber, wie viele PotsdamerInnen
in den let­zten Jahren die Stadt ver­lassen haben, weil sie sich die Miete nicht mehr leis­ten kon­nten. Dage­gen ist der Zuzug z. B.
aus Berlin unbe­strit­ten. Oft sind es die Reichen, denen Berlin zu unüber­sichtlich gewor­den ist, um sich einen Platz am See zu
sich­ern– Vor dem Hin­ter­grund des maßlosen Luxus‘ wer­den aus 10–15 Euro Kalt­mi­ete schnell mal eine absurde Idee für
bezahlbare Mieten. Weit­ere absurde Ideen, wie ein ver­meintlich schönes Pots­dam auszuse­hen hat, kön­nen wir uns aktuell an
ver­schiede­nen Stellen zu Gemüte führen; Neo­barock, wenn wir es wohlwol­lend so nen­nen wollen, Beton­klötze mit
vorge­bauter his­torisieren­der Fas­sade trifft aber eher den Kern der Sache. Die Reichen bauen sich ihre Stadt ohne Rück­sicht auf
Ver­luste. Kahlschlag und das His­torisieren ein­er Innen­stadt gehören zu der vorherrschen­den Leitidee, die für andere Ideen
keinen Platz mehr lassen.
Als hätte es den 2. Weltkrieg nicht gegeben…

Diese Umstruk­turierung ist in zweier­lei Beziehung sehr frag­würdig, bzw. geschicht­s­los. Es tilgt nicht nur eine Baue­poche aus
der Innen­stadt, die fra­g­los einen Bruch mit dem preußisch Barock­en Stil vorgenom­men hat, sie tut auch so, als habe es den
Krieg und Hitler nicht gegeben. Bei der Gar­nisonkirche ist der Spa­gat mit dem eine Kriegs- und Nazikirche zum Tem­pel des
Friedens umgewid­met wer­den soll offen­sichtlich­er. Die neuen Innen­stadtquartiere stellen qua­si einen Vorkriegszu­s­tand wieder
her, als habe es die geschichtlichen Brüche, vom deutschen Größen­wahn, über Bombe­nan­griff, bis zur sozial­is­tis­chen Moderne
nicht gegeben. Argu­men­tiert wird dabei von der Wieder­auf­baufrak­tion mit gewach­se­nen Stadt­struk­turen, gold­en­em Schnitt und
Wun­den, die geheilt wer­den müssten. Dass dafür andere Wun­den geris­sen wer­den, und vor allem an anderen Stellen, wenn
Sem­mel­haak und Co neu bauen, gold­en­er Schnitt und der Rest keine Rolle spie­len, macht nur offen­sichtlich worum es
eigentlich geht – einen Traum Wirk­lichkeit wer­den zu lassen, der öffentlichen Raum pri­vatisiert und den Reichen „Inve­storen“
ihre gold­e­nen Ärsche noch gold­en­er wer­den lässt. Das Vier­tel, das ger­ade rund um den Bahn­hof entste­ht zeigt das ziemlich
deut­lich, dort wächst nichts außer der Ren­dite, gold­en­er Schnitt ist für die Pla­nung ein Fremd­wort und zum Schluss wird es ein
leblos­es Wohn­quarti­er, ohne Kul­tur, Kneipe oder Infra­struk­tur, an dem sich die Inve­storen­fre­unde des Bürg­er­meis­ters fett
gemacht haben wer­den, neben­bei an Hässlichkeit nicht mehr zu übertr­e­f­fen. Diese Par­al­le­len­twick­lung ent­larvt jedes
Argu­ment, das für die his­torisierende Innen­stadt vorge­bracht wurde als Lüge und kommt neben­bei in
geschicht­sre­vi­sion­is­tis­ch­er Manier daher, dass einem schlecht wer­den mag.
Alles ganz demokratisch

Demokratie erhält ihre Legit­im­ität aus Mehrheit­en, was also, wenn eine Mehrheit sich entschei­det, gar nicht mehr an dem
Rit­u­al der Wahl teilzunehmen? Wie legit­im sind dann eigentlich noch Entschei­dun­gen, die von Mehrheit­en gefällt wer­den, die
im End­ef­fekt aber nur von ein­er Min­der­heit zu soge­nan­nten VolksvertreterIn­nen ernan­nt wur­den? Kurz vor dem Ende der DDR
am 6. Mai 1990 war die Wahlbeteili­gung bei Kom­mu­nal­wahlen in Pots­dam mit 74,4 Prozent unge­fähr auf dem Niveau von
Bun­destagswahlen. Demokratie wurde hoff­nungsvoll aufgenom­men. Nach der „Selb­st­be­freiung“ von der Dik­tatur war es eine
Frage der Ehre wählen zu gehen. Die Werte der Wahlbeteili­gung zu Kom­mu­nal- und Bürg­er­meis­ter­wahlen sanken seitdem
kon­tinuier­lich (1993: 62,8%, 2008:51,7%) auf aktuell etwas unter 50%. Wir inter­pretieren das als eine Reak­tion auf Poli­tik, à
la „die da oben machen doch eh , was sie wollen…“. Und na klar, wer sich in Pots­dam in den let­zten fast dreißig Jahren um
Beteili­gung am poli­tis­chen Prozess bemüht hat ist entwed­er desil­lu­sion­iert, in ein­er der Parteien gelandet, die den Ausverkauf
mit organ­isiert hat, oder bei­des auf ein­mal. Außer­halb dieser Struk­turen, also bei Protesten gegen Gar­nisonkirche, Abris­sen und
Auf­bau, Ausverkauf und teure Mieten ste­ht man schnell im kalten Wind der Macht. Krim­i­nal­isierung, Polizeige­walt und
Bespitzelung sind die Mit­tel, mit denen gegen Kri­tik­erIn­nen vorge­gan­gen wird, schöne Grüße aus dem let­zten Jahr, von der
FH-Beset­zung. Eine Woche nach dem G20 Gipfel stand die Beset­zung ganz im Zeichen des Polizeis­taates. Fast ausschließlich
ver­mummte PolizistIn­nen haben die Lösung des Prob­lems der Stadt­poli­tik über­nom­men, Gewalt war keine Randerscheinung,
son­dern omnipräsent. Schläge mit Quarzhand­schuhen, Schika­nen gegen eine angemeldete Ver­anstal­tung und Bedrohung
einzel­ner Teil­nehmerIn­nen bleiben den betrof­fe­nen in Erin­nerung. Als Reak­tion auf den Ver­such, einen kleinen Teil des,
inzwis­chen abgeris­se­nen, FH-Gebäudes mit orig­i­nal Farbton zu stre­ichen, hagelte es Schläge und Anzeigen. Willkom­men in
der Stadt der Bürgerbeteiligung.…
Demokratie nicht verstanden

Von Hüneke bis Jakobs geiferte es, wir hät­ten die Demokratie nicht ver­standen, schließlich hätte man ja schon vor zwanzig
Jahren Beschlüsse gefasst. Ein PNN-Jour­nal­ist ver­stieg sich in der The­o­rie, die Beset­zerIn­nen seien nicht bess­er, als Nazis, die
in ein­er KZ-Gedenkstätte für deren Abriss demon­stri­eren. Als dann bei ein­er Mitteschön­freuden­ver­anstal­tung zwei Wochen­später auf dem Alten Markt zwanzig geis­ter­hafte Gestal­ten gegen den Abriss der FH schweigend demon­stri­erten, war der Mob
von der Leine. Man solle sie ver­gasen, war die schlimm­ste Reak­tion, ange­dro­hte Schläge und Beschimp­fun­gen nor­maler Ton.
Von CDU, über GRÜNE und SPD, bis hin zu einzel­nen AFD Leuten war die ver­meintliche demokratis­che Stadtgesellschaft
dort vertreten, sie kan­nten keine Parteien mehr, son­dern nur noch eine Idee, den bedin­gungslosen Wiederaufbau.
Nest­beschmutzerIn­nen müssen dementsprechend ihre Art von Demokratie nicht ver­standen haben. Soll heißen,
Bürg­er­begehren zuzu­lassen, um sie dann zu ver­bi­eten, sie mit Tricks aus zu hebeln oder wie bei der Befra­gung zum
Schwimm­bad ein­fach zu ignori­eren. Der SPD- Bürg­er­meis­terkan­di­dat Mike Schu­bert hat sich in drei Wahlgän­gen zum
Sozialdez­er­nent wählen lassen und auch die Abstim­mung zum Bebau­ungs­plan des Stadtschloss­es brauchte drei Anläufe. Die
Liste ließe sich ver­längern.… Ja, wir haben Demokratie nicht verstanden!!
Wie eine piefige West­deutsche Kleinstadt

Jan Jakobs begann seine Kar­riere in Pots­dam als Sozialdez­er­nent u.A. im August 1997 mit der Räu­mung des Archivs. Es
wurde später zurück­gegeben, vielle­icht auch weil sein Büro als Reak­tion darauf ver­wüstet und Teile davon aus dem Fenster
gewor­fen wur­den. Haus­be­set­zun­gen begleit­eten seinen Weg, unvergessen­er Moment, als er zum Beispiel 2008 die Besetzung
der Stadtverord­neten­ver­samm­lung als Reak­tion auf eine sehr gewalt­tätige Räu­mung der dama­li­gen Skater­halle nutzte, um die
Jun­gen Leute mit SA-Hor­den gleichzusetzen.
Beset­zte Häuser und Pro­jek­te, die daraus ent­standen sind, beka­men immer den beson­deren Druck der Stadtver­wal­tung ab.
Scheiß Pacht- oder Mietverträge, Aufla­gen vom Bauamt, der Feuer­wehr usw. usf. Ohne die Haus­be­set­zun­gen der letzten
dreißig Jahre, wäre Pots­dam eine so piefige Kle­in­stadt, wie das Nest aus dem Jakobs hier­hergekom­men ist. Ohne
Haus­be­set­zun­gen gäbe es keine Tanz­fab­rik, kein Waschhaus, wahrschein­lich nicht die Schiff­bauer­gasse in ihrer jet­zi­gen Form,
kein Archiv, keine alter­na­tiv­en Lebens­for­men, wie Haus­pro­jek­te oder Wagen­bur­gen; und ohne Jugend­be­we­gung 2008 und der
schon erwäh­n­ten Beset­zung der Skater­halle, aber auch der seit zehn Jahren beset­zten „La Datscha“, wahrschein­lich kein
Freilandgelände.
— Sem­mel­haak kaufte unge­fähr im sel­ben Zeitraum 100 Häuser zum Vorteil­pauschal­preis, die er nach Ablauf der 10 Jahres
Speku­la­tion­sklausel zum Teil zum dop­pel­ten Preis weit­er­verkaufte, während die linke Szene und viele Kul­turein­rich­tun­gen um
jeden Cent und jeden Zen­time­ter kämpfen musste.
— Kirsch machte es gle­ich. Sein „Imperi­um“ fußt offen­sichtlich auss­chließlich auf seinem dama­li­gen Parteibuch, denn als er
sich im Ufer­wegstre­it gegen die Ver­wal­tung stellte und seine eigene Mini­partei grün­dete, war es vor­bei mit exk­lu­siv­en Käufen.
— Der neue Besitzer des alten Land­tages, des „Kreml“, ver­mi­etete das Gebäude nach Ver­tragsab­schluss für anderthalb
Mil­lio­nen im Jahr auf vier Jahre an die Stadt als Flüchtling­sun­terkun­ft und hat­te den Kauf­preis schnell wieder drin. Das der
neue Besitzer als Auch-Eigen­tümer der KÖPI, ein ehe­mals beset­ztes Haus in Berlin, in den Fokus ger­at­en ist, weil er mit
zwielichti­gen Mit­teln ver­sucht hat gel­tende Geset­ze auszuhe­beln, egal. Er soll wegen Betrugs und Urkundenfälschung
vorbe­straft sein.
Auch diese Liste ließe sich verlängern…
Häuser besetzen—immer wieder…
Na klar, wir tun es wieder, was soll schon sein? Irgend­wie gibt uns die Geschichte Recht, wenn es z.B. in Berlin als
All­ge­mein­wis­sen gilt, dass die Haus­be­set­zerIn­nen in den 80er Jahren Alt­stadtvier­tel vor dem Abriss und Kiezstruk­turen vor der
Vertrei­bung bewahrt haben. Wir ste­hen in der Tra­di­tion der Beset­zer­be­we­gung in Pots­dam, die deut­liche Spuren hinterlassen
hat, wir müssen uns für nix schämen.
Das uns trotz­dem nie­mand Richtig gut find­et, liegt wohl an einem Prinzip, das wir in Frage stellen und die eigentliche
Grund­lage unser­er Gesellschaft darstellt, der Besitz. Den gilt es zu schützen, denn wenn er nichts mehr gilt, ist ein Preis nichts
mehr wert und das kap­i­tal­is­tis­che Kaufen-Verkaufen-Prinzip funk­tion­iert nicht mehr. Dass die Arm-Reich-Schere auseinander
geht, dass die 60 Reich­sten soviel haben, wie das ärm­ste drit­tel der Welt­bevölkerung, das zer­stört und aus­ge­beutet wird, um die
Reichen noch Reich­er zu machen, ist bekan­nt. Das daraus aber fol­gert, dass an dieser Gesellschaft etwas nicht stimmt, ist
mit­nicht­en die logis­che Schlussfol­gerung. Kap­i­tal­is­mus gilt als das Ende der Geschichte, jed­er der ihn in Frage stellt, gilt
schnell als Anti­demokrat. Aus dieser Per­spek­tive ist es nicht „unmoralisch“, MieterIn­nen aus Woh­nun­gen rauszu­mobben, oder
ganz aus Städten zu vertreiben, um Mieten zu ver­lan­gen, die vor zehn Jahren noch als Frech­heit gegolten hätten
Unsere Prob­leme wer­den klein, wenn wir ver­suchen, die glob­alen Zusam­men­hänge zu betra­cht­en. Das selbe kapitalistische
Prinzip – nicht diesel­ben Kap­i­tal­is­ten – vertreibt Men­schen durch seine Gier sog­ar aus Län­dern. Nicht wir zetteln Kriege an,
um noch mehr Kohle zu schef­feln, nicht wir zer­stören das Kli­ma, weil sich damit Geld ver­di­enen lässt. Es ist ein Prinzip, das
so verin­ner­licht wurde, dass Alter­na­tiv­en zu disku­tieren schon als Angriff auf unsere Gesellschaft begrif­f­en wer­den. Was aber
soll schlechter an ein­er Gesellschafts­form sein, die die Ver­sorgung aller Men­schen und nicht den Gewinn einiger Weniger in
den Mit­telpunkt stellt. Darum geht es uns aber, anhand von Inter­ven­tio­nen wie dieser Beset­zung Utopi­en ins Spiel zu bringen
und zu disku­tieren, die das basis­demokratis­che Miteinan­der und eine sol­i­darische Gesellschaft zum Ziel hat und nicht das
Aus­beuten und Unter­drück­en von Men­schen durch andere Menschen.
Macht mal nen Punkt – Freiraum in der Innenstadt!
Wieder run­tergeschraubt auf Pots­dam heißt das, Investor ist für uns ein Schimpf­wort, Neue Wohn­quartiere ein Angst­fak­tor und
der Gewinn der Immo­bilien­mafia ist uns scheiße­gal… Wer so brachial alles ver­zockt und unsere Umwelt zur Ware werden
lässt, soll uns nicht damit kom­men, dass Haus Beset­zen ille­gal sei. Demokratie wurde mit Bar­rikaden erkämpft, Despoten
dadurch ver­trieben und Macht in Frage gestellt. Demokratis­che Struk­turen wer­den nicht vertei­digt oder zurücker­obert, indem
man sich an die Regeln der­er hält, die sich mit Hil­fe dieser Regeln an der Macht fes­thal­ten. Schon Berthold Brecht fragte, wer
der größere Ver­brech­er sei, der­jenige der die Bank grün­det, oder diejenige Per­son, die sie überfällt.… ?
FREIRÄUME ERKÄMPFEN! UTOPIEN DISKUTIEREN! SOLIDARISCHE GESELLSCHAFT SCHAFFEN!

Eine Antwort auf „Freiräume erkämpfen, Utopien diskutieren“

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