Es gibt Städte, wo richtig was los ist und es gibt Potsdam.
Freizeit hat geschlossen. So kann man die Situation in unserer Landeshauptstadt wohl am Besten auf den Punkt bringen. Gerade im letzten Jahr sind Dank steigender Mieten und der Kommerzialisierung von Plätzen die Freiräume für Jugendliche mehr und mehr beschnitten worden.
Es sind gerade diese Freiräume, die uns die Möglichkeit bieten uns frei zu entfalten. Orte wie Parks, Plätze oder der Jugendclub an der Ecke, der es dir ermöglicht, deine Freizeit kreativ und ohne Zwang zu genießen. Ein Platz, wo nicht die Schule bestimmt was du lernen sollst oder wo Eltern sagen, wann etwas gemacht wird. Nicht zu letzt sind es diese Freiräume in der Gesellschaft, in denen du nicht dem Konsumzwang folgen musst oder dich dem Mainstream anpassen sollst, sondern einfach mal “Du” sein kannst.
Potsdam — ausgezeichnet als “die familienfreundlichste Stadt Deutschlands”, nach dem Prognos-Familienatlas von 2007, das jedoch gilt nur für Kinder. Anscheinend hat sich niemand die Situation dieser Kinder angeschaut, wenn sie älter werden. Die Plätze wo sich Jugendliche treffen können sind spärlich gesät. So zum Beispiel die Freundschaftsinsel, die bei Einbruch der Dunkelheit ihre Pforten schließt, oder andere Parks, wo es selbst untersagt ist sein Fahrrad zu schieben, und auch sonst sind Diskotheken und Clubs für Jugendliche bis 18 Jahren oder mit schmalen Geldbeutel so gut wie nicht vorhanden. Was bleibt, ist das Abhängen auf der Straße, in nahe gelegenen Einkaufszentren oder der Weg mit der S‑Bahn nach Berlin.
In diesem Frühjahr musste auch der letzte Jugendclub der Innenstadt, das “S13” dicht machen. Mit ihm verschwand auch das “Spartakus”. Und warum das Ganze? Die Miete in der Nähe des geplanten Stadtschlosses war für die Betreiber_Innen nicht mehr zu bezahlen. Mit großen Worten versprach unser Oberbürgermeister sich für einen Ersatz der Räume einzusetzen, passiert war nix, bis der Druck durch die Öffentlichkeit und den Betreiber_Innen des “Spartakus” wuchs. Bis heute ist jedoch keine angemessene Alternative in Sicht.
Somit verkommt die Innenstadt immer mehr zu Museeum und Touristenattraktion. Eine Stadt lebt jedoch nicht nur von den Einnahmen, sondern auch von den Bürger_Innen, die dieses Stadtbild prägen, der Kultur, welche sie erschaffen und nicht allein von preußischen Prunkbauten. Der Kultur geht es jetzt wieder an den Kragen. Durch den Wegfall von Lindenpark und Waschhaus, fällt ein Stück Potsdam weg, wo es jungen Bands möglich war ihre ersten Schritte in die Musikwelt zu wagen und die Bretter die die Welt bedeuten zu erklimmen.
Doch erst Ende letzten Monats besetzten unabhängige, junge Menschen die ehemalige “Villa Wildwuchs”. Das Haus am Babelsberger Park wurde wiederbelebt. Dort finden nun Diavorträge, Infoabende, Lesungen sowie Konzerte oder Partys statt. Dieses Gebäude wurde von Menschen wiederbelebt, die keine Lust auf “preußisch Disneyland” haben und nun ihre Bedürfnisse durch solche Aktionen nach außen tragen. Der Freiraum, welcher hier erobert wurde, könnte als Ort der Vernetzung verschiedenster Gruppen oder Initiativen stehen. Menschen soll hier die Möglichkeit geboten werden, Projekte zu starten die anderswo nicht möglich sind. Ein Ort fernab der gängigen Partykultur und Konsummeilen dieser Stadt.
Selber machen ist die Devise. Die Resonanz der letzten Tage zeigt, dass solch ein Freiraum für Soziokultur benötigt und genutzt wird. Selbstverwaltet, unkommerziell und autonom werden Projekte und Veranstaltungen organisiert und zum Erfolg geführt. Das seit Monaten leerstehende, sogar zum Abriss angedachte Gebäude und die dazugehörigen Grünflächen sind im Besitz der Stadt. Diese zog sich in der Diskussion der vergangenen Monate um fehlende (Frei-)Räume auf die Position zurück, dass es keinen kostengünstigen und geeigneten Standort in Potsdam für Jugendkultur gibt. Mit der Besetzung konnte das Gegenteil bewiesen werden. Das Gebäude wurde durch Eigeninitiative wieder nutzbar gemacht.
Täglich finden Arbeiten am Haus, im Garten oder Reparaturen auf dem Dach statt, um diesem Ort Charakter und Leben einzuhauchen. In den nächsten Monaten werden Aktionen und Veranstaltungen stattfinden. An der Havel ist nun ein Ort der lebendigen Kultur entstanden und dieser wird verteidigt. Doch muss es viele solcher Orte geben um eine Alternative
zur Konsumgesellschaft zu leben. Da reichen ein, zwei oder sogar drei einzelne Freiräume nicht aus.
Wir schaffen uns Freiraum und halten nicht mehr still, wenn die Stadt uns die Luft zum Atmen, ja die Möglichkeit einer freien Entfaltung und selbstständigen Entwicklung von Jugendkultur nimmt. Irgendwann hat die Geduld ein Ende. Wir lassen uns nicht mehr alles wegnehmen, denn auch wir gestalten Potsdam mit.Sicherlich erinnert sich der eine oder die andere an die 90er Jahre. Da wurde hier gezeigt, am Beispiel des “Archivs” wie man sich Freiräume zurückerobert. Wir werden laut streiten und dafür kämpfen, das Freiräume erhalten bleiben und ausgebaut werden. Jetzt ist Schluss mit still halten.
Barb & J0pe