Briefgeheimnis und Privatsphäre in Flüchtlingsheim in Rathenow massiv verletzt
(Junge Welt, Tim Zülch) Am Montag ging in Rathenow ein Prozeß zu Ende, der Auswirkungen auf die Leitung des Asylbewerberheimes in Rathenow und auf den Landesverband Havelland der Arbeiterwohlfahrt als Betreiberin des Heimes haben könnte. Dabei wurden die Asylbewerber Mohammed Abdel Amine und Mohammed Mahmud vom Vorwurf der »üblen Nachrede« freigesprochen.
Zur Vorgeschichte: In einem offenen Brief hatten sich im Sommer 2002 Asylbewerber des Rathenower Heimes an die Öffentlichkeit gewandt. In dem Brief klagten sie, daß ihre Privatsphäre im Heim massiv verletzt werde. Es seien Videokameras zur Kontrolle der Bewohner installiert, die Zimmer würden ohne Vorankündigung betreten, und persönliche Briefe seien geöffnet worden. Außerdem seien beim Wachschutz, der das Heim bewacht, bekannte Neonazis beschäftigt. Die AWO erstattete Anzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung, übler Nachrede und Urkundenfälschung. Die Staatsanwaltschaft Potsdam übernahm das Verfahren und präsentierte auch gleich zwei Tatverdächtige. Sie hatte Mohammed Abdel Amine und Mohammed Mahud auf einem Foto erkannt.
»Wir sind nicht die Rädelsführer, zu denen uns die Staatsanwaltschaft und die AWO machen wollen. Wir Asylbewerber haben den Brief gemeinsam verfaßt«, betont Abdel Amine. Schon im Juli 2003 hatte sich bestätigt, daß bei der Firma Zarnikow, welche den Wachschutz für das Heim stellte, bekannte und vorbestrafte Neonazis beschäftigt waren. Der Vertrag mußte gekündigt werden. Während sich die Heimleitung während des Prozesses mehr und mehr in Widersprüche verstrickte, rief die Verteidigung gut zwei Dutzend Zeugen auf, die nach und nach alle Vorwürfe der Bewohner gegen die Heimleitung bestätigten.
Obwohl die Staatsanwaltschaft immer einen Freispruch ausgeschlossen hatte, fand auch sie deutliche Worte für die Verhältnisse in dem Heim. In einer Anmaßung von Polizeibefugnissen habe die Heimleitung bei den Bewohnern Befragungen durchgeführt. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Heimleiterin und der Geschäftsführer der AWO weiterbeschäftigt werden können«, meint nach Ausgang des Prozesses der Anwalt Ulrich von Klinggräff. Die Staatsanwaltschaft erwägt sogar eine Anklage gegen die Heimleitung wegen Verletzung des Briefgeheimnisses und Falschaussage vor Gericht.