Kurz vor dem Ende des Verfahrens gegen vier Angehörige der linken Szene Potsdams wegen des nächtlichen Angriffs auf den rechtsextremen Benjamin Oe. sind aus Sicht der Verteidigung bis jetzt „drei bis vier“ Entlastungszeugen für Julia S. gehört worden. Dies sagte gestern ihr Anwalt Steffen Sauer auf PNN-Anfrage. Bei dem seit August laufenden Verfahren ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, da mehrere Beschuldigte zur Tatzeit unter 21 Jahren alt waren. Mit dem Urteil wird für nächste Woche Mittwoch gerechnet.
Für die morgigen Plädoyers im Landgericht Potsdam kündigte Sauer an, für seine Mandantin auf Freispruch zu drängen. „Es haben aus unserer Sicht mehrere Zeugen bestätigt, dass Julia erst nach dem Überfall an den Tatort gekommen ist“, so Sauer. Dies hatte Julia S. selbst ebenso ausgesagt (PNN berichteten). Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, gemeinsam mit weiteren Beschuldigten Benjamin Oe. am 19. Juni 2005 erst gejagt und vor dem Café Heider zusammengeschlagen zu haben. Dabei soll der zur Tatzeit 20-jährige Mitangeklagte Arend L. mit einem Teleskopschlagstock den Kopf des 17-jährigen Opfers aus Fahrland verletzt haben.
Arend L. ist gleichzeitig einer der Entlastungszeugen für Julia S.: Auch laut seiner Aussage sollen Julia S. sowie die ebenfalls Angeklagten Robert D. und Isabelle K. erst nach der Auseinandersetzung mit Oe. vor das Café Heider gekommen sein. Gegen die zur Tatzeit 16-jährige Isabelle K. wurde das Verfahren Mitte September gegen die Ableistung von 30 Arbeitsstunden eingestellt. Arend L. selbst will bei dem Überfall auf Oe. rund fünf Meter entfernt gewesen sein und keine Gewalt angewendet haben. Als weitere Entlastungszeugin sieht Julia S.-Anwalt Steffen Sauer mit Cindy P. ausgerechnet eine Angehörige der rechten Szene Potsdams, die mit Benjamin Oe. unterwegs gewesen sei. Ihre Aussage bringt Sauer mit dem Zeugen Hagen T. in Verbindung, der mit Julia S. während des Angriffs auf Oe. an der Mittelstraße gestanden haben will – diese Szenerie beschrieb laut dem Anwalt auch Cindy P. bei ihrer Aussage vor Gericht.
Der Fall Julia S., Chefin des Wohnprojekts „Chamäleon“ in der Hermann-Elflein-Straße, hatte für Aufsehen gesorgt, weil die 22-Jährige fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen und die Potsdamer Staatsanwaltschaft zunächst wegen versuchten Mordes ermittelt hatte. Vor Gericht wird nur noch wegen gefährlicher Körperverletzung verhandelt. Dazu wurde gestern der öffentlich heftig kritisierte zuständige Staatsanwalt Peter Petersen vor Gericht vernommen: Er soll laut Sauer bei einem Haftprüfungstermin für Julia S. bereits von der entlastenden Aussage von Arend L. gesprochen haben. „Vor Gericht hat Herr Petersen leider nicht soviel ausgesagt, wie wir dies erwartet hätten“, so Sauer. Danach soll Petersen als Zeuge wiedergegeben haben, dass Arend L. damals ausgesagt habe, dass Julia S., Robert D. und Isabelle K. nichts mit der Tat zu tun hätten.
Allerdings gibt es auch belastende Indizien gegen Julia S.: So wurde bei ihr kurz nach der Tat ein Teleskopschlagstock gefunden, allerdings war eine „Mischspur“ am Griff nicht eindeutig Oe.‘s Blut zuzuordnen. Zudem will eine im Café Heider anwesende Polizistin Julia S. als Angreiferin erkannt haben, andere Zeugen rechnen sie zu den am Tatort festgehaltenen mutmaßlichen Tätern.