(BM, 07.05.) Brandenburg/H. — Nach den Vorwürfen der Misshandlung von Häftlingen hat das
Justizministerium erste disziplinarische Maßnahmen ergriffen. Fünf
Bedienstete der Brandenburger Haftanstalt wurden gestern suspendiert. Ihnen
wird vorgeworfen, einem Strafgefangenen, der einen Herzinfarkt erlitten
hatte, nicht geholfen zu haben. Am Montag wird sich der Rechtsausschuss des
Landtages in einer Sondersitzung mit dem Fall beschäftigen.
Der Häftling — er sitzt wegen Totschlags ein — hatte in der Nacht zum 14.
Januar 2004 über Herzbeschwerden geklagt und nach einem Arzt verlangt. Einem
herbeigerufenen Sanitäter habe er die Auskunft verweigert und geschrien und
getobt, sagte der Leiter der Justizvollzugsanstalt, Hermann Wachter. Der
Sanitäter habe Puls und Blutdruck gemessen und nichts Ungewöhnliches
festgestellt. Da er den Mann nicht beruhigen konnte, verließ er den Raum.
Der Gefangene habe daraufhin geschrien und gegen die Tür getreten. Nach
mehreren Ermahnungen hätten die Bediensteten versucht, ihn in eine Zelle in
einem anderen Trakt zu bringen. Dabei trugen sie Wachters Angaben zufolge
Schutzschilde, Overalls und Masken. Drei Bedienstete hätten draußen
gewartet, zwei seien in die Zelle gegangen, hätten dem sich wehrenden Mann
mit einem Schild die Beine heruntergedrückt, seine Hände gefesselt und ihn
in eine andere Zelle gebracht. Am Morgen sei der Mann ins Krankenhaus
gefahren worden. Diagnose: Herzinfarkt. Insgesamt wurden gegen acht
Bedienstete Disziplinarverfahren eingeleitet. Zudem werde gegen einen Arzt
der Anstalt wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt ermittelt, sagte
Oberstaatsanwalt Heinrich Junker. Er könnte zu spät medizinische Hilfe
geleistet haben.
Justizministerin Barbara Richstein zeigte sich empört über den Vorgang. Sie
könne nicht nachvollziehen, dass die Bediensteten maskiert gewesen seien,
auch wenn sie Angst um ihr Leben und das ihrer Familien hatten. Mit der
Vermummung hätten sie eine “Macht” demonstriert und einen ohnehin
unterlegenen Menschen eingeschüchtert. Das Tragen der Masken in der JVA sei
seit Montag verboten.
Einige der beschuldigten Wärter sollen dem Sender RBB zufolge schon in der
DDR an Misshandlungen politischer Häftlinge beteiligt gewesen sein. Deshalb
werden jetzt die Personalakten von Wärtern nochmals überprüft, die bereits
in der DDR im Gefängnis Dienst taten.
Vermummt auf herzkranken Gefangenen eingeprügelt
Ein Häftling erleidet einen Infarkt — doch statt zu helfen, misshandeln Beamte den Mann / Justizministerin Richstein suspendiert fünf Bedienstete
(Berliner Zeitung, 7.5.) BRANDENBURG/HAVEL. Die Nacht zum 14. Januar dieses Jahres: Friedrich F.
hämmerte immer wieder gegen die Tür seiner Zelle in der
Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel. Er klagte über starke Schmerzen in
der Brust, wollte einen Arzt. Doch nur ein Sanitäter kam. Als der 55-Jährige
weiterhin einen Arzt verlangte, stürmten um 2.15 Uhr vermummte und mit
Schlagstöcken bewaffnete Wärter in seine Zelle. Da lag Friedrich F. auf
seinem Bett. Der herzkranke Gefangene wurde mit einem Schutzschild
niedergedrückt, gefesselt und anschließend in eine Isolierzelle gesteckt.
Erst am nächsten Tag, lange nach 10 Uhr, kam er in eine Klinik. Diagnose:
schwerer Herzinfarkt. Friedrich F. ist seit Januar 2001 im Gefängnis. Er war
wegen Totschlags zu acht Jahren Haft verurteilt worden.
Justizministerin Barbara Richstein (CDU) bestätigte den Vorfall am
Donnerstag. Sie sagte, alle der fünf in der Nacht an dem Vorfall beteiligten
Beamten seien am “heutigen Tage vom Dienst” suspendiert worden. Insgesamt
laufen gegen acht Bedienstete Disziplinarvervahren. Gegen sie ermittelt die
Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener
Hilfeleistung. Zudem gibt es auch ein Verfahren gegen den Anstaltsarzt wegen
unterlassener Hilfeleistung. Erst um 8 Uhr morgens sei der Gefangene vom
Arzt untersucht worden, so JVA-Leiter Hermann Wachter. Der Gefangene galt
als schwieriger Fall. “Der Mann war häufig auffällig.”
Wachter, der seit zwei Jahren die Anstalt leitet, war überrascht über die
Vermummung seiner Untergebenen: “Ich kannte so etwas nicht aus meiner Zeit
in Sachsen.” 1994 sei die Schutzmontur für die Bediensteten in
Brandenburg/Havel angeschafft worden. Dazu gehöre auch die Maske.
Sie wisse, dass sich die Beamten manchmal schützen müssten, wenn sie in eine
Zelle gingen, sagte Justizministerin Richtstein. “Es macht mich aber
betroffen, dass man ein Spannungsverhältnis ausnutzt und durch eine
Vermummung Macht demonstriert”, um eine unterlegene Person einzuschüchtern.
Sie kenne keine andere deutsche Justizvollzugsanstalt, in der sich die
Bediensteten im Fall einer Gefahr vermummen dürfen. Es gebe auch keine
Verordnung, die diese Vermummung vorschreibe. Seit vergangenen Montag ist es
daher nun auch in Brandenburg/Havel verboten, eine Zelle mit diesen Masken
zu betreten.
Erst drei Tage zuvor war Richstein von den Vorgängen in der JVA unterrichtet
worden — auf Nachfrage des RBB-Fernsehmagazins Klartext. Dieses sendete
danach einen Bericht, dass seit 1999 immer wieder vermummte Wärter nachts
durch die Zellen zogen und Häftlinge misshandelten. So sei es angeblich auch
zu DDR-Zeiten geschehen. Außer Friedrich F. erzählten in dem Film noch zwei
weitere Männer, Ex-Häftlinge, von den Schlägertrupps.
Die Vorwürfe sind zumindest der Staatsanwaltschaft seit längerem bekannt. So
ließ Friedrich F. bereits am 18. Februar die Polizei ins Gefängnis kommen,
um Anzeige zu erstatten. Man werde sich nun die Personalakten der
beschuldigten Bediensteten genau ansehen. “Wir werden die Akten auf
Vorkommnisse vor der Wende einsehen”, sagte die Justizministerin. Der Bund
der Strafvollzugsbediensteten weist indes die Vorwürfe von Rollkommandos,
die schon zu DDR-Zeiten Häftlinge misshandelt haben sollen, zurück. “Wenn es
solche Beamten gegeben hat, sind sie nicht mehr im Dienst”, so Landeschef
Willi Köbke.
Richstein bringt der Skandal in Bedrängnis. Erst vorige Woche war sie wegen
ihrer Amtsführung als Europaministerin kritisiert worden. Zudem ist es nicht
das erste Mal in ihrer kaum zweijährigen Amtszeit, dass diese JVA für
Schlagzeilen sorgt. Anfang 2003 kam heraus, dass sich Beamte mit Produkten
aus der Haftwerkstatt versorgten. Dann folgten Ermittlungen gegen eine
Ärztin und Pfleger. Sie sollen sich in der Haftapotheke bedient haben.
Am Montag soll Richstein vor dem Rechtsausschuss Rede und Antwort stehen.
“Das muss restlos aufgeklärt und für die Zukunft verhindert werden”, so
CDU-Fraktions-Chefin Beate Blechinger. Die Abteilung Strafvollzug ist seit
einem Jahr führungslos, nachdem Richstein den Leiter suspendiert hatte. Er
soll in die Bewilligung zu hoher Trennungsgeldzahlungen involviert gewesen
sein. PDS-Rechtsexperte Stefan Sarrach sagte, das Justizressort taumele von
Krise zu Krise. “Wenn die Aufsicht nicht funktioniert hat, muss man
Konsequenzen ziehen”, so Peter Muschalla, SPD-Rechtspolitiker. Die CDU
fürchtet, dass weitere Fälle von Gefangenenmisshandlung publik werden.
Strafgefangener: “Ich brauche keinen Sanitäter!”
Wie ein Gefangener Opfer eines Übergriffs maskierter Justizbeamter wurde
(MAZ, 7.5.) BRANDENBURG/HAVEL. Der Januartag, an dem der jüngste Skandal in Brandenburgs
größtem Gefängnis seinen Lauf nahm, begann scheinbar harmlos. Am Vormittag
hatte der 53-jährige Wolgadeutsche Friedrich Frank die Tabletten gegen seine
Herzkrankheit vorschriftsmäßig eingenommen, so, wie er es alle drei Tage
tat. Noch um die Mittagsstunde des 13. Januar deutet der als sehr
aufbrausend
und cholerisch bekannte Frank der Krankenschwester mit keinem
Wort eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes an. Kurz nach
Mitternacht, der Gefangene befand sich seit Stunden ruhig in seiner
Einzelzelle, überschlugen sich die Ereignisse.
Friedrich Frank verspürte plötzlich, wie er später erklärte, messerartige
Schmerzen in der linken Brustgegend. Offenbar ergriff ihn Angst, da er die
Symptome seit einem früheren Herzinfarkt kannte. Er klopfte heftig gegen
seine Zellentür und verlangte dringend einen Arzt. Es war 1.15 Uhr, 200
weitere Häftlinge schliefen auf der Station.
Kurz darauf betrat ein Sanitäter der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel
in Begleitung von Bediensteten die Zelle. Häftling Frank reagierte schroff.
“Einen Arzt, ich brauche keinen Sanitäter!” rief er. Zunächst gelang es dem
Sanitäter jedoch, den Aufgebrachten zu beruhigen. Er bat Frank, seinen
Schmerz zu lokalisieren. Der Gefangene steigerte sich dennoch in Rage,
sprang in der Zelle umher, warf die Tablette, die man ihm reichte, auf den
Boden. Puls und Blutdruck konnte der Sanitäter noch messen, dann verließ er
die Zelle. Er war wohl der Meinung, dass ein Häftling, der derart wütend
reagieren konnte, so krank nicht sein mochte.
Während Friedrich Frank weiter schlug und schrie und auch auf Drohungen der
Bediensteten nicht reagierte, wurde in der Zentrale der JVA entschieden, den
Häftling mit anderen Mittel ruhigzustellen. Das Sonderkommando der Anstalt
wurde alarmiert, wenig später versammelten sich fünf für besonders heikle
Einsätze trainierte JVA-Bedienstete vor der Zelle. Zwei hatten, wie es
üblich war, um sich vor Racheakten zu schützen, Masken über ihr Gesicht
gezogen, zudem trugen sie ihren Spezial-Overall, der auch vor Stichen
schützen soll. Auf Kommando stürmten die mit Schutzschilden ausgerüsteten
Männer die Zelle, Friedrich Frank warf sich von seiner Pritsche auf den
Boden und trat um sich. Mit einem Schutzschild pressten die Wachmänner
Franks Beine unsanft auf den Boden.
Gefesselt wurde der Überwältigte in den so genannten besonders gesicherten
Haftraum transportiert, nur die Unterhose wurde ihm gelassen. Renitente
Häftlinge werden oft auf diese Weise in diesen vollständigen gefliesten,
kargen Raum gebracht.
Doch auch dort gab Friedrich Frank keine Ruhe. Zwischen 2.15 und 5.30 Uhr
verlangte er drei weitere Mal nach einem Arzt. Schließlich wurde er gegen 8
Uhr untersucht, gegen 10 Uhr in die städtische Klinik transportiert. Der
behandelnde Arzt stellte die Diagnose: Herzinfarkt.
So beschrieb gestern bei einer Pressekonferenz JVA-Leiter Hermann Wachter
den Fall, den Brandenburgs Justizministerin Barbara Richstein (CDU) zum
Anlass nehmen will, schon in Erwägung gezogene Organisations- und
Strukturänderungen in der Haftanstalt zu forcieren. Sie habe von den
Vorgängen in der Anstalt erst vor einer Woche, am Nachmittag des 30. April,
durch eine Presseanfrage erfahren, sagte die Ministerin. Ein Dezernent der
Staatsanwaltschaft Potsdam hatte den Fall jedoch schon seit dem 6. März
bearbeitet — “zügig” und nicht zu beanstanden, wie Generalstaatsanwalt
Erardo Rautenberg betonte. Eine Pflicht, den Fall ans Ministerium zu melden,
habe nicht bestanden. Zugegebenermaßen habe der ermittelnde Staatsanwalt die
mediale Brisanz des Falles jedoch offenbar unterschätzt und nicht einmal die
Leitung der Potsdamer Staatsanwaltschaft informiert.
Die Nachforschungen des Justizministeriums haben laut Richstein bisher
ergeben, dass es sich bei den Vorgängen vom 13. Januar 2004 um einen
Einzelfall handelte. Davon ist auch nach Recherchen der MAZ auszugeben.
Experten halten es für unwahrscheinlich, dass “Rollkommandos” willkürlich
und ohne Aufsicht gegen Häftlinge vorgehen. “Das hätte ich mitbekommen”,
sagt ein Kenner der JVA aus Brandenburg. Es gebe immer einmal Aufseher, die
in Konfliktsituationen das Augenmaß verlören, die Regel sei das allerdings
nicht.
Üblich ist es nach MAZ-Information hingegen gewesen, dass die maskierten
Sonderkommandos gezielt und auf Anweisung randalierende Häftlinge — die
teilweise unter Drogen- und Alkoholeinfluss stehen — gewaltsam überwältigten
und dabei auch Schlagstöcke eingesetzt wurden. Solche Einsätze gebe es
durchschnittlich einmal im Vierteljahr in der JVA Brandenburg/Havel. Dabei
komme es auch vor, dass auch noch auf den Häftling eingeschlagen wird, wenn
er schon gefesselt am Boden liegt.
Mit Masken zur Prügelorgie im Knast
Wächter der JVA Brandenburg schlugen Gefangene
(LR, 7.5.) «Das sind ja alles auch nur Menschen» , sagt Gefängnischef Hermann Wachter
auf die Journalistenfrage, warum ausgerechnet die Justizvollzugsanstalt
(JVA) in Brandenburg/Havel immer wieder mit Skandalen aufwartet.
Laut einem Bericht des RBB-Magazins «Klartext» sollen Anstaltsbedienstete
maskiert und vorzugsweise nachts in Zellen eingedrungen sein und Häftlinge
verprügelt haben.
«Das sind sehr ernste Vorwürfe, denen wir ernsthaft nachgehen werden» , sagt
Justizministerin Barbara Richstein (CDU) gestern in der Havel-stadt. Erste
Konsequenz: Gegen acht der 459 Mitarbeiter wurden Disziplinarverfahren
eingeleitet, fünf von ihnen mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert.
Richstein, die sich zuvor an Ort und Stelle informiert hatte, sichert
gründliche und lückenlose Untersuchung zu. Es ist immerhin der dritte — und
größte — Skandal in der JVA Brandenburg innerhalb kurzer Zeit. 2003 war
aufgeflogen, dass sich Bedienstete zu Spottpreisen jahrelang in der
Metallbauwerkstatt des Gefängnisses Dinge für den privaten Gebrauch
herstellen ließen. Dann wurde von medizinischem Personal unter anderem
Medikamente für die eigene Behandlung aus der Apotheke «abgezweigt» . In
beiden Fällen mit zwölf beziehungsweise fünf Beteiligten stehen die
Ermittlungen nach Angaben der Staatsanwaltschaft unmittelbar vor dem
Abschluss.
Im Gefängnis sind jetzt zunächst die so genannten Sturmhauben verboten, mit
denen sich die Wärter vor ihren «Einsätzen» maskierten. Ministerin Richstein
kann eine Vermummung ohnehin nicht nachvollziehen. «Dass jemand so seine
Macht noch zusätzlich demonstriert und den Gefangenen einschüchtert» , sei
auch nicht mit einem Schutzbedürfnis des Bediensteten oder seiner Sorge um
die Sicherheit seiner Familie zu begründen. Eine Vorschrift für ihre
Benutzung gebe es nicht, räumt Wachter ein.
Ein Gefangener, dem im Januar bei einem Herzinfarkt möglicherweise ärztliche
Hilfe verweigert wurde, wurde nun an einen anderen Ort verlegt. Laut seiner
Anzeige wurde er geschlagen und getreten statt behandelt. Nach Wachters
Worten war der Mann schon vorher öfter mal «disziplinarisch auffällig» ,
habe auch in der fraglichen Nacht lautstark Probleme gemacht, den Sanitäter
abgewiesen und wegen eines Herzinfarktes einen Arzt verlangt.
Um die Nachtruhe für die anderen Häftlinge zu gewährleisten, sei der Mann
nach mehreren Ermahnungen in einen Haftraum außerhalb des Gebäudes gebracht
worden. Dazu seien zwei Beamte in Schutzausrüstung — aber ohne Knüppel — in
die Zelle gegangen, drückten dem auf dem Boden Liegenden mit einem
Schutzschild die Beine nieder und fesselten ihn. Drei andere Beamte standen
vor der Zellentür. Erst am nächsten Vormittag wurde der Gefangene im
städtischen Klinikum von einem Arzt untersucht, der in der Tat einen Infarkt
feststellte.
«Alle Beteiligten werden sich verantworten müssen» , unterstreicht
Richstein. Und: Die Übernahme von Bediensteten aus DDR-Zeiten stelle sich
als problematisch dar. Die Perso
nalakten würden jetzt nochmals geprüft. Es
handele sich jedenfalls um Einzelfälle, nicht um ein strukturelles Problem.
Trotzdem sollen nun Experten von außerhalb, aus Sachsen, zu Rat gezogen
werden.
Direktor Wachter jedenfalls hat einstweilen keine Erklärung für die Häufung
der Skandale in der seit Mai 2002 von ihm geleiteten Anstalt mit 751
Insassen. «Menschliches Versagen» , meint er.