Kundgebung
Samstag, 6. Mai
14 Uhr in Wollin
Die Mörder sind unter uns
SS-Kriegsverbrecher leben unbehelligt in unserer Nachbarschaft
6. Mai 2006 — Aktionstag zur Erinnerung an die Opfer des Massakers in Sant’Anna di Stazzema (Toskana/Italien)
Initiativen gegen das Vergessen demonstrieren am 6. Mai bundesweit in neun Städten in der Nachbarschaft von verurteilten NS-Kriegsverbrechern. Diese leben seit Kriegsende unbe-helligt unter uns. Das Militärgericht La Spezia verurteilte am 22. Juni 2005 zehn ehemalige SS-Angehörige in Abwesenheit wegen vorsätzlichen Mordes, begangen mit besonderer Grau-samkeit, zu lebenslanger Haft. Verurteilt wurden Gerhard Sommer (Hamburg), Horst Richter (Krefeld), Alfred Schöneberg (Düsseldorf), Ludwig Heinrich Sonntag (Dortmund), Bruss Werner (Reinbeck), Heinrich Schendel (Ortenberg), Ludwig Göring (Karlsbad), Georg Rauch (Rümmingen), Karl Gropler (Wollin) und Alfred Mathias Concina (Freiberg).
Die Mörder waren Angehörige der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“. Diese fiel in den Morgenstunden des 12. August 1944 mit 300 Mann unter dem Vorwand der „Partisanenbekämpfung“ in das Bergdorf Sant’Anna ein. In dem Dorf befanden sich aus-schließlich ältere Männer, Frauen und Kinder. Innerhalb von vier Stunden ermordete die SS 560 Menschen, darunter 120 Kinder. Diesem Kriegsverbrechen fielen 90 Prozent der Dorf-bewohner zum Opfer. Sie wurden erschossen, erschlagen oder verbrannt.
„Es wurde überall getötet, in den Häusern, in den Ställen, auf dem Kirchplatz,“ berichtet der Überlebende Enio Mancini. „In einem Haus wurden 70 Menschen zusammen gepfercht, Kinder, Frauen, alte Leute. Kaum waren sie eingeschlossen warfen die Nazi-Soldaten Handgranaten rein, dann zündeten sie das Haus an. Nur fünf Kinder entkamen.“
Das Militärgericht La Spezia verurteilte die zehn Deutschen, weil sie als SS-Offiziere Befehlsgewalt ausübten und unmittelbar für die Kriegsverbrechen verantwortlich waren.
Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema, war nicht das einzige Kriegsverbrechen der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“. Diese Einheit war in Oberitalien für den Mord an mindestens 2.700 ZivilistInnen in 250 Dörfern verantwortlich. Diese Kriegsver-brechen waren Teil des Vernichtungskrieges in den von den Nazis besetzten Ländern Europas. In Italien wurden die Ermittlungen gegen deutsche Kriegsverbrecher erstmals 1994 aufgenommen. Die Akten waren seit dem Kalten Krieg bei der Militär-Prokuratur in Rom im sogenannten „Schrank der Schande“ versteckt worden. Nachdem die Akten geöffnet und gesichtet worden waren, wurden in Italien verschieden Prozesse wegen NS-Verbrechen eröffnet.
Das Militärgericht La Spezia verurteilte die Angeklagten wegen des Massakers in Sant’Anna auch zur Zahlung von Entschädigungen. Mit diesem Urteil wurden die Täter nicht nur beim Namen genannt. Da mit diesem Urteil anerkannt wurde, dass es sich um ein vorsätzliches Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung handelte, ist den Überlebenden und Angehörigen der Ermordeten erstmals Gerechtigkeit widerfahren. Für die Täter bleibt dieses Urteil bisher jedoch ohne Konsequenzen. Nach dem Grundgesetz der BRD genießen sie Auslieferungs-schutz und bleiben trotz der Verurteilung in Deutschland unbehelligt.
Die 2002 von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft aufgenommenen Ermittlungen gegen vierzehn ehemalige Angehörige der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ sind jedoch bis heute im Sande verlaufen. Diese Verschleppung zielt offensichtlich darauf ab, die Ermittlungen solange in die Länge zu ziehen, bis die Kriegverbrecher verhandlungsunfähig oder gestorben sein werden. Die Überlebenden von Sant’Anna di Stazzema haben nach dem Urteil von La Spezia in Deutschland Nebenklage eingereicht mit dem Ziel, die verantwort-lichen Massenmörder endlich auch in Deutschland vor Gericht zu sehen. Der Anwältin der Opfer, Gabriele Heinecke, wird seit 2005 Akteneinsicht verwehrt. Die Überlebenden wollen zu einem möglichen Prozess nach Deutschland kommen. Sie möchten den Tätern ins Gesicht sehen. „Wir wollen sehen, ob ihre Augen irgendetwas verraten, ein Gefühl für das, was geschehen ist. Uns interessiert vor allem, dass Gerechtigkeit geschieht; und, dass die Schuldigen gefunden und bestraft werde. Auch, wenn es nur symbolisch ist,“ sagt Enio Mancini. Die Erinnerung an die NS-Verbrechen setzt die Anerkennung der Schuld voraus.
Während der Prozess in Italien von einer großen Öffentlichkeit begleitet wurde, herrscht in Deutschland bisher Stillschweigen. Die Kriegsverbrecher wissen sich hierzulande in Sicher-heit. Wir wollen das Schweigen durchbrechen und demonstrieren am 6. Mai 2006 deswegen in der unmittelbaren Nachbarschaft der verurteilten SS-Kriegsverbrecher.
Das Schweigen durchbrechen — die Täter haben Namen und Adressen!
Statt Renten für Kriegsverbrecher – Entschädigung der Opfer!