Neonazis modernisieren ihre Nachwuchsarbeit und locken die Jugendlichen mit
harmlosen Freizeitangeboten an
(TAZ, 19.4.) BERLIN Die Kicker vom “Sportvolk” genießen in Rathenow einen durchaus
respektablen Ruf. Zwar krebst die Mannschaft seit langem auf dem letzten
Tabellenplatz herum. Aber: Schlechter Stil? Auffällige Parolen?
Ungewöhnliche Outfits? Nein, versichert Nils Ahrens, Rechtsanwalt und für
die gegnerische “Partyzan”-Elf aktiv, das wäre ihm neu. Im Gegenteil: Die
Sportsfreunde vom Tabellenende hätten der Turnierleitung “nie einen Anlass
gegeben zu sagen — ihr dürft hier nicht mehr mitspielen”. Rechtsanwalt
Ahrens war deshalb verblüfft, als er in der Zeitung las: Einigen Spielern
vom “Sportvolk” wurde gerade die rote Karte gezeigt — allerdings jenseits
des Fußballfelds.
Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden widmeten zumindest fünf
“Sportvolk”-Kicker ihre freie Zeit auch der havelländischen
Neonazi-Kameradschaft “Hauptvolk”. Brandenburg hat die verfassungsfeindliche
Truppe und ihre Jugendorganisation “Sturm 27” vor einigen Tagen verboten.
Mit diesem “deutlichen Signal” sei es allerdings nicht getan, mahnte
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Auch Schulen, Eltern und Vereine müssten
“ihre besondere Verantwortung wahrnehmen”.
Das Pikante an dem Appell: Die kameradschaftsnahe Fußball-Elf “Sportvolk”
und die von einem führenden “Hauptvolk”-Mitglied in der Stadt geleitete
Kickbox-Gruppe werden sich wohl weiter nach Kräften um den Nachwuchs in
Rathenow bemühen. Denn beide sind nicht von dem Verbot betroffen. Die
Begründung der Sicherheitsbehörden: Die Gruppierungen seien ja nur zum Teil
“personenidentisch” mit dem “Hauptvolk”.
Für Fachleute zeigt der Fall damit exemplarisch eine der Schwächen der
Verbotsstrategie im Kampf gegen rechts. Denn viele Formen rechtsextremer
Nachwuchsrekrutierung lassen sich nicht so einfach untersagen. “Die
Kameradschaft ist keine Strukturbedingung für die Jugendarbeit der
Rechtsextremen”, sagt Wolfram Hülsemann, Leiter des Mobilen Beratungsteams
in Brandenburg. Die Rechtsextremisten setzten vielmehr auf andere Wege, um
in unterschiedliche “Alltagskulturen” der Jugendlichen einzudringen.
Seit geraumer Zeit beobachten Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams, dass
Neonazis mit “niedrigschwelligen” Freizeitangeboten — Sport, Ausflüge,
Lagerfeuerabende — gelangweilte Teenager ködern. Mancherorts hätten
Rechtsextreme sogar versucht, die Jugendfeuerwehr zu unterwandern. “Die
haben in der Nachwuchsarbeit ganz schön dazugelernt”, urteilt auch Michael
Kohlstruck, Extremismusforscher von der TU Berlin. Das Ziel sei, möglichst
“sanft” an die “Bedarfslagen” junger Leute anzudocken: “Die Einladung zum
Schulungsabend ist in der Regel erst der zweite Schritt.”
Ein Blick in einschlägige Internetforen lässt befürchten, dass solche
Propagandarunden militanter Neonazis im Havelland bald wieder stattfinden
dürften — ungeachtet des jüngsten Kameradschaftsverbots. Denn kleinlaut
wirken die Kommentare nicht, im Gegenteil — mancher Kamerad gewinnt dem
staatlichen Durchgreifen sogar Positives ab: Es sei ohnehin Zeit, sich von
der “Vereinsmeierei” zu verabschieden, urteilt ein Aktiver. Ein anderer
hofft, dass sich die “nationale Szene” nun endlich organisatorisch
“modernisiere”. Das Ziel: noch losere Strukturen bilden, auf bedruckte
T‑Shirts, Wimpel oder förmliche Mitgliederversammlungen verzichten. Die
Kameradschaft “Weserbergland” hat diesen Kurs offenbar bereits
eingeschlagen — zumindest behauptet sie dies in einer im Internet
verbreiteten Auflösungserklärung: Um einer Verbotsaktion vorzubeugen, trete
die frühere Kameradschaft jetzt nur noch als “Informations- und
Kommunikationsplattform” ohne feste Mitgliedschaften und eigene Finanzen in
Erscheinung. “Wir sind am Puls der Zeit!”
Das gilt wohl auch für die Taktik des Rathenower Rechtsaußen-Fußballteams.
Jedenfalls sieht man bei der “Partyzan”-Konkurrenz in der Stadtliga offenbar
keinen Grund, den Tabellenletzten zu disqualifizieren. Warum auch, fragt
Fußballliebhaber Ahrens: “Die wollen doch nur kicken.”