(LR, 19.4.) Miryam Yaron war ganze sieben Jahre alt — als sie mit ihrer Familie im April
1945 auf der Verladerampe von Bergen-Belsen in einen der drei Züge gepfercht
wurde. Es sollte von dem einen Todeslager in ein anderes gehen — nach
Theresienstadt. Doch die zehntägige Irrfahrt über Soltau, Uelzen,
Wittenberge, Nauen, Berlin, Lübben, Cottbus, Senftenberg, Schipkau endete in
Tröbitz. Sie, ihre Eltern und die Schwester überlebten die Tortour unter
Hunger, Durst, Kälte und den ständigen Bombenangriffen, doch der kranke
Vater verstarb fern seiner holländischen Heimat.
Miryam Yaron lebt heute in Israel — sie besuchte gestern nach 60 Jahren das
erste Mal die Stätte ihrer Befreiung aus dem “Todeszug” , der entlang der
Gleise eine Spur von Massengräbern hinterlassen hat. “Neben mir starben
ständig Menschen in den Waggons” , erinnert sich die Frau — und auch daran:
“Es waren sehr viele Kinder darunter, manche waren noch viel jünger als
ich.” Wer es von den über 2 000 Menschen im Zug bis Tröbitz schaffte und
frei kam, als sowjetische Soldaten am 23. April 1945 die Waggontüren
öffneten, hatte das Sterben noch nicht überstanden: In Tröbitzer Erde ruhen
viele Juden aus zahlreichen Ländern der Welt — Opfer von Unterernährung und
Krankheit.
Gleich neben der Kirche, wo in zwei Massengräbern 160 Menschen begraben
sind, und auf dem jüdischen Friedhof, auf dem 125 Frauen, Männer und Kinder
ruhen, ist gestern ihrer und daran, was im Zweiten Weltkrieg Menschen
Menschen angetan haben, gedacht worden. Etwa 50 Juden, ehemalige Häftlinge
aus dem “Verlorenen Transport” und viele begleitet von jüngeren Angehörigen,
besuchten die Gräber, legten Steine nieder oder streuten gar mitgebrachte
Erde aus Israel darauf. Hier begegneten sich die Juden und die Tröbitzer,
die es “als unsere Ehre und Verpflichtung ansehen, die Gedenkstätten zu
pflegen” , wie es Bürgermeister Dieter Schäfer versicherte — und daran
erinnerte, dass damals auch 26 Tröbitzer den Tod fanden. Solche Begegnungen
seien wichtig, um das Schreckliche wach zu halten, “damit sich so etwas
nicht wiederholt” , betonte Prof. Johanna Wanka, Brandenburgs
Kulturministerin, in einer kurzen Rede. Sie böten den Überlebenden eine
Chance, der Versöhnung ein Forum zu geben, so die Ministerin. Zu den
Teilnehmern der Gedenkveranstaltung gehörten gestern neben Bürgern aus dem
Ort auch Vertreter des Kreises, des Amtes, der Kirchen und von Parteien. Und
als Isaac Shaffer von der jüdischen Gemeinde in Berlin das Totengebet sang
und sprach, erinnerte Chanoch Mandelbaum, einer der Überlebenden, vor den
großen Tafeln mit den Namen aller 553 Toten des “Verlorenen Transportes” in
bewegenden Worten noch einmal an die sechs Millionen jüdischen Opfer im
Zweiten Weltkrieg, von denen viele “zur Massenschlachtung in die
Vernichtungslager verschleppt” worden seien. Und alle waren vereint in der
Hoffnung: Nie wieder!