Niemand schreit dies laut, wenn Inferno Cottbus Transparente mit rechten Inhalten zeigt oder die NS Boys aus Chemnitz ihren Hitlerjungen präsentieren. Meist geht die Forderung einher mit der Diskreditierung von linken, antifaschistischen und antirassistischen Positionen innerhalb einer Fanszene. Beispiele gibt es zuhauf, die populärsten und aktuellsten dürften Aachen und Braunschweig sein. Doch was ist die Motivation dieser Formel, welche sich auf einen Liedtext einer rechten Band beruft?
Was unter Politik im Stadion verstanden wird, ist eine Interpretationsfrage. Der eine meint damit fanpolitische Themen, wie Eintritts-/Getränkepreise, Anstoßzeiten, Kommerzialisierung und Sicherheitspolitik. Dabei werden Themen wie Antirassismus und Aktivismus gegen Neonazis ausgeklammert, da diese mit dem Fußball nichts zu tun hätten. Wenn Fans sich engagieren gegen Ausgrenzung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder sexueller Orientierung, dann werden sie aufgrund der Politik, die sie ins Stadion tragen, angefeindet. Doch selbst der 1. FC Lok Leipzig, dessen Fanszene als rechtspolitisch eingestuft wird, erkennt, dass „gewalttätige Auseinandersetzungen und rechtsextremes Gedankengut […] gesellschaftliche Probleme [sind, deren] Auswüchse sich mitunter auch beim Fußball bemerkbar machen.“
Konkret gab es bei Turus.net vor kurzem einen Artikel über die politische Fanszene des SV Babelsberg 03. Einige Punkte waren dort falsch oder schlecht recherchiert. Bei der Betrachtung der aktuellen Fanszene in Babelsberg kommt man nicht umher, sich die Geschichte dieser anzugucken. Diese beginnt nicht etwa 1999 mit der Gründung des Filmstadt Inferno, sondern bereits in der Zeit der Wende in Potsdam. Sie geht dabei einher mit der politischen Geschichte der Stadt. Anfang der 1990er wurden Potsdam wie auch in anderen Städten Häuser besetzt und es entstand eine aktive linke Szene. Diese hatte Interesse an Fußball und suchte sich den SVB als Heimverein aus. Es hätte vermutlich auch der Konkurrent von Fortuna sein können. Fakt ist, dass die Linken wie in vielen Stadien Ostdeutschlands auf eine rechte Gegenwehr stießen und verdrängen konnten. Ähnlich wie heute in Aachen – nur mit einem anderen Ausgang. Erst jetzt entwickelte sich auch eine aktive Fanszene, die in der Gründung des FI mündete. Die linkspolitische Einstellung der Babelsberger Fanszene ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Identität. Dieses Erbe spiegelt sich vermutlich auch im Stadionnamen wieder. Während man in Schweinfurt in einem Stadion sitzt, dass nach einem SS-Mitglied benannt ist, ist es in Babelsberg einer der wohl wichtigsten Kräfte der Linken in Deutschland.
Vertreiben linkspolitische Ultragruppen Zuschauer und Sponsoren? Man könnte jetzt schon einen einfachen Blick zum großen FC St.Pauli machen und feststellen: Linke Politik vertreibt keine Zuschauer. Es sorgt eher dafür, dass bestimmte Fußballfans eher zu diesem Verein gehen. Für den FC St.Pauli ist das linke Image in vielerlei Hinsicht ein Segen. Es sorgt für bundesweit gute Einnamen im Verkauf von Fanartikeln und man hat fast überall ausverkaufte Gästeblöcke, weil die ortsansässigen linken Fußballfans sich mit dem Fußballidealbild des FC St.Pauli identifizieren können. Dabei ist es egal, ob sie in Dresden, Köln oder Frankfurt wohnen. Das gleiche ist der SV Babelsberg 03 für viele Linke auf den Dörfern in Brandenburg. Jede Woche werden sie in Orten wie Spremberg, Wittstock oder Perleberg von Neonazis drangsaliert ‑ob in der Schule, auf dem Marktplatz oder auf dem Stadtfest. Sie alle pilgern aber zum SV Babelsberg 03, denn in der Nordkurve und auch im Ostblock können sie befreit ihre politische Meinung offen zeigen ohne angefeindet, gejagt und geschlagen zu werden. Die linkspolitische Fanszene Babelsberg bietet also auch einen Schutzraum. Gleichzeitig ist es der Verein in der Region, der wie FC St.Pauli bundesweit linke Fans durch sein Image an sich binden kann. Nicht wenige Fans kommen aus Berlin, so gibt es mit den „03nullern“ auch eine Fangruppe aus der Nordkurve, die explizit aus Berlin kommt. Diese würden vermutlich nicht zum Fußball und erst Recht nicht zum SV Babelsberg gehen, wenn dieser nicht die politische Fanszene hätte. Es muss also etwas anderes sein, dass für einen Einbruch der Zuschauerzahlen sorgt. Hauptgrund dürften die Finanzen und der sportliche Erfolg sein. 2002 war man abgestiegen und musste Insolvenz anmelden. Wie viele Vereine mit einer solchen Geschichte kommt auch der SVB eben nicht plötzlich wieder in die Erfolgsspur. Zu sehr verließ man sich auf die Kommune und das Land bei Finanzierungen, heute lieber auf Schuldscheine bei der DKB.
Auch heute ist der Verein massiv finanziell angeschlagen. Der Grund, so der ehemalige Geschäftsführer Brüggemann, liegt einzig und allein an der politischen Ausrichtung des Anhangs. Doch Beispiele wie Duisburg, Essen oder Aachen zeigen, auch mit rechten und unpolitischen Fanszenen kann man sich den Insolvenzverwalter ins Stadion einladen. Warum sollen Zuschauer und Sponsoren dem SV Babelsberg die Tür einrennen, wenn in der selben Stadt der 1.FC Turbine alle naselang Meister wird, in Europa zu sehen ist und Nationalspielerinnen inne hat? Oder wenn es im Land Brandenburg den FC Energie Cottbus gibt, der seit mehr als einem Jahrzehnt in Liga 1 und 2 rumspielt? Oder wenn in der Region mit Hertha und Union zwei weitere Vereine aus dem Profibereich ansässig sind? Es ist ein Irrglaube zu denken, die Politik würde Zuschauer und Sponsoren aus dem Stadion vertreiben.
Unerfolgreicher Fußball macht dies. Als erstes gehen die Zuschauer, dann sinkt die Attraktivität für die Sponsoren, es gibt kein Geld, die Spieler werden schlechter und die Spirale dreht sich in Richtung Oberliga, wo man eben nicht mehr die Millionen braucht und auch mit einer kleinen Fanszene wie der des SVB überleben kann. Kleine Brötchen werden gebacken. Gäbe es diese Fanszene nicht, die Gelder sammelt und für ein gewisses Maß an Attraktivität sorgen würde, würden wir den SVB wohl schon bei Sachsenhausen, Zeuthen/Miersdorf und Falkensee in der Brandenburgliga sehen.
Doch kommen wir mal weg von dem ökonomischen Teil und blicken auf den gesellschaftlichen. Die Fanszene Babelsbergs als intolerant zu bezeichnen ist insofern Bullshit, als dass sie nicht wie in anderen Stadien üblich jeden Gästefan als Feind betrachtet. Fanszenen, die allerdings eine ordentliche Portion rechtes Gedankengut mitbringen, schwingt diese Intoleranz zu Recht entgegen. Warum? Man könnte einfach sagen, weil sie sich an die Statuten des DFB halten. Weil sie sich an das halten, was von ihnen durch Kanzlerin, Ministerpräsident ja sogar durch ihren Verein gefordert wird: Zivilcourage. Engagement gegen Neonazis und Rassisten. Wenn im LOK-Block Menschen geduldet werden, die ein „Josue Libertad“-Shirt tragen und in Potsdam versuchten, andere Menschen aufgrund ihrer politischen Gesinnung umzubringen, dann hat es nichts mit Fanrivalität oder dem „Politik ins Stadion tragen“ zu tun. Josue ist ein spanischer Faschist, der einen Antifaschisten mit einem Messer erstach. Wer seine Freiheit fordert, solidarisiert sich mit diesem. Wenn dazu Teile der Lokscher Fanszene „NSU“-Rufe von sich geben, darf eigentlich niemand in einem Stadion ruhig sitzen bleiben. “Wehret den Anfängen” heißt, auch im Stadion den Arsch hochzubekommen und eben nicht Neonazis und ihre Auswüchse zu tolerieren. Auch haben die 03er nicht im Vorfeld durch ihre Flyer provoziert, ebenso wenig wie die Fans von Fortuna Köln beim Ligastart der Regionalliga West Fans der Alemannia Aachen durch antirassistische Plakate provoziert haben können. Wer im konkreten fühlt sich denn dadurch provoziert? Doch nur derjenige, der angesprochen wird – Rassisten und Neonazis also. Ein Lok-Fan oder Aachen-Fan, der solche Plakate sieht, aber mit Neonazis nichts zu tun hat, warum soll sich dieser provoziert fühlen? Ein Fußballfan „der auf den Grundfesten der Freiheitlichen Demokratischen Grundordnung steht“, um mal den Verfassungsschutz oder die politische Führung zu zitieren, hat weder ein Problem mit antirassistischen Standards, noch damit, dass Neonazis die Stirn geboten wird.
Im Gegenteil: Wer für eine unpolitische Kurve kämpft, öffnet nur die Tür für diejenigen, die vorher ausgeschlossen wurden: Rassisten und Neonazis. Vorher war die Kurve bunt und offen. Egal welche Religion, Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung du hast – in einer linken Kurve gibt es nur ein Ausschluss: Rechtes Gedankengut. Selbst davon kann man sich ja verabschieden, wenn der Kopf nicht nur als biologischer Regenschirm genutzt wird. Konkrete Beispiele gibt es zu Hauf. Während man in Rostock ehrlich ist beim Umgang mit Politik und linkspolitischen Kräften, aber auch Neonazis gleichermaßen von der Süd vertreibt, zeigen Aachen und Braunschweig, dass sich hinter dem Deckmantel des „keine Politik in der Kurve“ nur das Integrieren von NPD-Kadern zeigt. Diese aktuelle Entwicklung sollte kritisch beobachtet werden und Fanszenen wie Babelsberg sollten aus Politik und Gesellschaft die nötige Unterstützung erhalten, die sie verdient haben.