(MAZ, 26.03.) HERMANNSWERDER Fast eine Stunde lang hatten die Kids den Innenminister “vor der Flinte”. Das Thema der notorischen Schulschwänzer vom Oase-Projekt
Hermannswerder war ein ernstes, ein problematisches, ein emotionales: Fußfesseln. Die finden sie völlig daneben und wollten von Jörg Schönbohm wissen, was das soll; der hatte das ja vorgeschlagen. Der Minister kam mit seinen Bodyguards, überpünktlich und extrem in Eile, weil der Landtag tagte. Die Videoaufzeichnung der Diskussion hinter verschlossenen Türen ließ er sich gefallen und blieb länger als er wollte.
“Sie können wiederkommen, wenn Sie wollen”, sagte Schülerin Silvia Eckert
dem Minister zum Abschied. “Mit dem kann man ja richtig gut quatschen”,
sagte sie der Presse, mit der sie schon Erfahrung hat: Die Junge Seite der
MAZ hatte aus dem Brief zitiert, den Silvia an Schönbohm schickte; der
Besuch war die Antwort. “Wir wissen ja oft nicht, was im Land passiert”, gab
Schönbohm zu: “Das Projekt hier kannte ich gar nicht.” Aber es sei wichtig,
weil es Defizite der Gesellschaft reparieren hilft, ein Beitrag zu
Sozialisation der Jugendlichen: “Es kommt uns billiger als spätere
Strafverfolgung.” Das mit den Fußfesseln betreffe ja gar nicht solche
Schulschwänzer, erklärte Schönbohm seinen Vorstoß, sondern Schwerkriminelle.
Silvia ist 16 und in der Achten ausgestiegen, weil sie zu oft geschwänzt und
zu viele Aussetzer hatte, und die anderen fand sie dann alle irgendwann
kindisch. In Mathe stand sie fünf bis sechs und “hasste Deutsch wie die
Sünde”. Inzwischen rappelte sie sich in einer Zwölferklasse mit zwei Lehrern
und zwei Sozialarbeitern — weil sie es selber wollte — auf eins bis zwei in
Mathe und einen Brief an den Minister. Lernen macht wieder Spaß; die 9.
Klasse schafft sie sicher, vielleicht die 10., “aber das wird eng”.
Auch Bianca hat den Abschluss 10. im Blick und weiß, dass sie die neunte
schafft. Sie war oft krank an ihrer Schule und wurde flugs als Schwänzerin
geschnitten. Man hackte auf ihr rum und machte alles nur noch schlimmer.
Über die Gesamtschule “Rosa Luxemburg” schließlich kam sie zur “Oase”, wohin
man kommt, wenn “nichts mehr geht”.
Aber etwa die Hälfte dort schafft den Abschluss 10. Klasse, die meisten den
der Klasse 9, einen Hauptschulabschluss nennt Projektleiter Johannes Egger
das. Selten, dass einer nichtmal das erreicht.
Bis zu zwei Jahre bleiben die Zöglinge; es gilt, die Schulpflicht zu
erfüllen, nicht unbedingt ein Lehrziel zu erreichen, sagt Gemeindepädagoge
Bodo Ströber, der das heutige Schulsystem viel zu steif, zu frontal, zu
unflexibel und zu theoretisch findet. “Fürs Leben lernen”, der Slogan ärgert
ihn. “Wer weiß denn schon, ob er ein Berufsleben hat?!” Für den morgigen Tag
lernen müsse man und lernen, wie man Probleme lösen kann.