Bad Saarow (ib/MOZ) Bad Saarow vor 60 Jahren. Wie der mit SS- und Wehrmachtstruppen sowie zahlreichen Lazaretten vollgestopfte Ort das Kriegsende erlebt hat — darüber hat Saarows Heimatforscher Reinhard Kiesewetter am Dienstagabend vor rund 150 Zuhörern im großen Saal des Hotels Esplanade auf Einladung des Kurortfördervereins referiert.
“Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen die Wahrheit über das Kriegsende in Bad Saarow erzähle”, kokettierte der Ehrenbürger der Gemeinde. Schließlich habe er schon acht Monate vorher seinen Karabiner entsorgt und sich mit Zivilsachen in sowjetische Kriegsgefangenschaft begeben. Alles was er wisse, kenne er nur vom Hörensagen. Und die Wahrheit? “Fünf Bürger erleben ein und dasselbe Ereignis. Alle schreiben es auf — und erzählen fünf verschiedene Geschichten. Jeder sieht es anders”, sagte Kiesewetter. Doch er hat nicht nur mit vielen Soldaten, die das Kriegsende in Saarow erlebten, und anderen Zeitzeugen gesprochen, sondern auch in Archiven unnd Schriften recherchiert. Seine Fakten:
Am 25. Mai 1937 wurde Saarow zur Garnison mit den bereichen Ausbildung, Versuche und Heeresabnahme der Luftwaffen-Sperrballonabteilung. Auf dem Annenhof entstanden zudem drei große Angora-Kaninchenställe, damit die Luftwaffe ihren Beitrag zur Wirtschaft leisten konnte.
1943 zog das SS-Führungshauptamt nach Saarow, da sich die Führung in Berlin nicht mehr sicher fühlte. Die Kindergartenbaracke auf dem Dorfanger Pieskow war SS-Offiziers-Casino; Alte Eichen SS-Stützpunkt 3, wohin die Post für die KZler in Ketschendorf ging.
Als 1944/45 Heimatwehren aufgestellt wurden, blieb Saarow wegen der großen Militärpräsenz davon verschont.
Dafür bildeten SS-Leute auf dem Sportplatz 15-jährige Hitlerjungen des Kreises Beeskow-Storkow an der Waffe aus — als “Wehrwölfe”, die hinter den Linien agieren sollten.
Seit September 1939 ist Saarow Lazarett-Ort — zunächst mit dem damaligen Hotel Esplanade (140 Betten). Es folgten viele weitere Häuser. Die schlimmsten Verletzten lagen im Parkhotel — Arm- und Beinamputierte, Leute mit Erfrierungen. Die SS verlagerte ihr Feldlazarett (seit Januar 1945 im Esplanade) am 20. April Richtung Halbe.
Die Sonderanlagen von Hitlers Leibarzt Prof. Dr. Karl Brandt auf dem jetzigen Humaine-Gelände dienten dazu, kranke Menschen auszusortieren. Dazu ist es in Saarow offenbar nicht mehr gekommen.
Vom 9. März bis 21. April 1945 bezog der Stab der 9. Armee unter General Theodor Busse auf dem Saarower Eibenhof Quartier: Dr. Paul Grabley musste sein Krankenhaus räumen. Busse entkam später aus dem Halber Kessel-Chaos in einem Panzer, der auch über Zivilisten und eigene Soldaten rollte. Er flüchtete in amerikanische Gefangenschaft.
Saarow selbst erlebte das direkte Kriegsgeschehen vom 16. bis 25. April. Jagdbomber flogen kreuz und quer über den Ort. Bei Marienhöhe wurde ein sowjetisches Flugzeug abgeschossen. Ein Insasse, in anderen Berichten ist von dreien die Rede, wurde zum Eibenhof gebracht, erschossen und verscharrt.
Am 20. April wurden die Einwohner aufgefordert, den Ort zu verlassen. Viele folgten dem nicht. Andere, die Richtung Wendisch Rietz gingen, kamen auf der völlig verstopften Straße dort nicht weiter und kehrten zurück, einige gerieten aber auch in den Kessel von Halbe.
Die Rotarmisten kamen am 25. April über eine Notbrücke auf der Autobahn bei Berkenbrück und westlich von Fürstenwalde über die Spree sowie über Neu Golm und Neureichenwalde nach Saarow. Gekämpft wurde vor allem in der Silberberger Straße.
Am 27. April forderten die Befreier über Lautsprecher (“Wir geben euch zu Essen”) die Leute zum Arbeite nauf: Sie mussten in den Wäldern nach Toten suchen. Tote Sowjetsoldaten wurden in der Kolpiner Straße beigesetzt und später nach Beeskow umgebettet.
Die unheimliche Hetzkampagne der Nazis hat ihre Wirkung nicht verfehlt: Auch in Saarow gab es viele Suizide — etwa 40 Zivilisten.
In Saarow gab es etwa 100 tote Soldaten; die meisten starben in den Lazaretten.
“Bei allem, was hier an Einheiten war”, könne Saarow glücklich sein, dass relativ wenig passiert sei, sagt Dr. Peter Grabley, Vorstandsmitglied im Kurortförderverein.