(MAZ)ORANIENBURG Mehrere Tausend Menschen, darunter etwa 850 Überlebende, haben
gestern in Brandenburg an die Befreiung der Konzentrationslager Ravensbrück
und Sachsenhausen vor 60 Jahren erinnert. Bundesaußenminister Joschka
Fischer (Grüne) und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD)
riefen dazu auf, die Erinnerung an die Opfer wach zu halten und im Kampf
gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus nicht nachzulassen. Deutschland
müsse sich der bitteren Wahrheit über die eigene Geschichte und der
Verantwortung für die Erinnerung immer wieder stellen, forderte Fischer in
der Gedenkstätte Sachsenhausen, wo die KZ-Hinrichtungsstätte “Station Z” als
neu gestalteter Gedenkort eröffnet wurde. In Ravensbrück appellierte
Bundesjugendministerin Renate Schmidt (SPD) an die Verantwortung der
nachwachsenden Generationen, die Erinnerung wach zu halten.
Heute werden die Gedenkveranstaltungen mit einem “Tag der Außenlager”
fortgesetzt. Im KZ Sachsenhausen und in den rund 100 Außenlagern waren
zwischen 1936 und 1945 etwa 200 000 Menschen inhaftiert, Zehntausende kamen
ums Leben. In Ravensbrück waren 130 000 Frauen, Kinder und Männer
interniert. Im niedersächsischen Bergen-Belsen, wo gestern ebenfalls eine
Gedenkfeier stattfand, starben 50 000 Häftlinge und mehr als 200 000
Kriegsgefangene. Mit einer ökumenischen Feier war am Samstag im
ostbrandenburgischen Seelow der Opfer des Zweiten Weltkriegs gedacht worden.
Anlass war der 60. Jahrestag der Schlacht um die Seelower Höhen, die als
letzte sowjetische Großoffensive am 16. April 1945 begonnen hatte.
Aus den Nummern wieder Namen gemacht
Feierliche Übergabe eines besonderen Ravensbrück-Gedenkbuches
(MAZ)FÜRSTENBERG “Es war das Wichtigste, was ich in meinem Leben getan habe.”
Bärbel Schindler-Saefkow, Historikerin und Tochter einer Ravensbrückerin,
hat unter Mitarbeit von Monika Schnell ein “Gedenkbuch Ravensbrück”
verfasst. Dieses besondere Buch enthält 13 161 Namen von Häftlingen des
Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück.
Für eine XXL-Variante des Buches hat die Gedenkstätte einen besonderen Ort
herrichten lassen: das ehemalige SS-Wachhaus am Lagertor. Die Umbauten und
die Einrichtung konnten nur dank Spendengeldern erfolgen. Die Gestaltung
(Ausführung: Norbert Günther) der Ausstellung “Ort der Namen” ist bewusst
schlicht gehalten. An der Wand Porträts von Ravensbrückerinnen, in der Mitte
ein Tisch mit dem großen Buch. In dem darf geblättert werden. Werner Tietz
beispielsweise findet jetzt dort den Namen seiner Mutter Wanda, deren Spur
sich in Ravensbrück verloren hatte.
Da die SS 1945 die Registratur des Lagers verbrennen hat lassen, war es kein
Leichtes, die immerhin 13 161 Namen zu erfahren. Jahrzehntelang habe die
Liste der Ravensbrückerinnen nur ein paar hundert Namen umfasst, berichtete
Bärbel Schindler-Saefkow. In den Jahren nach der Wende boten sich aber weit
bessere Recherchemöglichkeiten, so dass jetzt das “Buch der Namen”
geschrieben werden konnte. Es kann jederzeit ergänzt werden.
Einer der schlimmsten Orte
Ausstellung und Gedenkplastik erinnern an die Opfer des “Zeltes”
(MAZ)FÜRSTENBERG “Am 22. November 1944 bin ich mit anderen Ungarinnen in
Ravensbrück angekommen und direkt im Zelt gelandet. Es war an den Seiten
offen. Ich fand außen Platz und konnte dadurch wenigstens atmen. Wasser
gab es nur manchmal.” Eva Fejer aus London berichtete anlässlich der
Eröffnung der Ausstellung “Standort Block 25: Das Zelt” am Sonnabend über
einen der schlimmsten Orte des Lagers. Obwohl das Zelt nur ein paar Monate
stand, spielt es in den Erinnerungen der Ravensbrückerinnen eine große
Rolle.
Im Spätsommer 1944 wurde es im südlichen Teil des Lagers — zwischen den
Blöcken 24 und 26 — als Quarantäne- und Durchgangsblock aufgestellt. Durch
die Transporte aus Auschwitz und die Deportation ungarischer Jüdinnen war
das Lager hoffnungslos überfüllt. Charlotte Müller berichtete über das Zelt:
“Es herrschte schon Frost, aber kein Ofen erwärmte die Bewohner. Kein
Bettgestell, kein Tisch oder Schemel war zu sehen. Alles Leben wickelte sich
auf dem Erdboden ab.” Und Anja Lundholm schrieb: “Viele der Gesichter, in
die wir schauen, sind vom Wahnsinn gezeichnet. Ein Inferno. Oh Gott, welch
ein Inferno!”
Um den Jahreswechsel herum änderte sich die Funktion des Zeltes: Es wurde
zur Vorstufe der Vernichtung. Die von der SS bewusst betriebene Verelendung
ließ besonders die Frauen im Zelt zur Zielgruppe der Selektionen werden.
Der Geschichtsstudent Stefan Hördler hat eine Ausstellung erarbeitet, die
genau an dem Ort steht, an dem sich das Zelt befand. Die sowjetische Armee
benutzte dieses Areal als so genannten Kohlenhof, Eigentümerin ist noch die
Brandenburgische Boden GmbH. Sie hat vor ein paar Jahren die Überbauungen
aus der Zeit nach 1945 weitgehend entfernen lassen. Geblieben ist noch der
Betonboden, unter dem sich Fundamente der Häftlingsbaracken und
möglicherweise auch andere Relikte aus der KZ-Zeit befinden.
Gedenkstättenleiterin Sigrid Jacobeit würdigte die jahrelangen und vielen
Initiativen der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis, diesem Ort eine
würdige Gestaltung zu geben. Am Sonntag war dann die Lagergemeinschaft
selbst Veranstalter der Enthüllung einer Gedenktafel am Ort des Zeltes.
Esther Bejarano, die im Mädchenorchester von Auschwitz spielen musste und
auch im Lager Ravensbrück inhaftiert war, sang jiddische Lieder, Kato Guylai
aus Ungarn schilderte aus eigenem Erleben die unvorstellbaren Zustände im
Zelt.
Die Plastik hat der Designer Hanns-Jürgen Spieß entworfen. Sie ist einem
Zelt nachempfunden und all den unglücklichen Frauen und Kindern gewidmet,
die im Zelt leiden und sterben mussten. Wie viele Frauen an Misshandlungen,
Kälte, Hunger, Erschöpfung und unbehandelten Krankheiten im Zelt ums Leben
kamen, weiß niemand genau.
Der Zelt-Standort mit der Ausstellung und der Gedenkplastik ist über den
ehemaligen Hauptlagerplatz zu erreichen.
Elf Personen vorbeugend in Gewahrsam genommen
(MAZ)Im Rahmen der umfangreichen Schutzmaßnahmen des Schutzbereiches Oberhavel
zur Vorbereitung der störungsfreien Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der
Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen, wurden am Samstag gegen
03.00 Uhr durch eine Streife mehrere Personen beobachtet, die auf einer
Wiesenfläche in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte Sachsenhausen ein
Lagerfeuer errichteten.
Die 13 Personen (drei weibliche und 10 männliche) aus dem Landkreis
Oberhavel waren teilweise erheblich alkoholisiert und hatten typische
Bekleidung der rechten Szene an. In einem vor Ort festgestellten Pkw wurden
24 CDs mit vermutlich indizierter rechter Musik fest- und sichergestellt.
Gegenüber den Polizeibeamten äußerten sich einige der anwesenden Personen
dahingehend, dass sie den “Führer” — Geburtstag feiern wollten und sich noch
mindestens zehn Stunden in der Nähe der Gedenkstätte Sachsenhausen aufhalten
wollten.
Bei der polizeilichen Überprüfung wurde bekannt, dass von den 13 Personen
bereits elf polizeilich einschlägig bekannt sind u.a. wegen Volksverhetzung,
Landfriedensbruch und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen.
Im Zusammenhang mit der in unmittelbarer Nähe liegenden Gedenkstätte und dem
Museum Sachsenhausen uden am Wochenende stattfindenden Feierlichkeiten und
der hierbei erwarteten öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen und den
umfangreichen öffentlichen Medienbekanntmachungen zu diesem Anlass, stand zu
befürchten, dass diese Person
en die Möglichkeit nutzen, öffentlich provokant
aufzutreten und dabei insbesondere Propagandadelikte begehen werden. Daher
wurden die elf Oberhaveler in Polizeigewahrsam genommen.
Im Ergebnis der polizeilichen Überprüfung war zu erwarten, dass diesen
Personen jegliches Unrechtbewusstsein zu derartigen Straftaten, insbesondere
in der Gruppendynamik fehlen würde und die öffentliche Ordnung und
Sicherheit dadurch im erheblichen Maße gefährdet war. Die Personen wurden
dem Amtsrichter vorgeführt.
Es erging am Samstag ein entsprechender Beschluss des Amtsgerichtes
Oranienburg. Zur Verhinderung zu erwartender Straftaten verblieben die 19-
bis 27-Jährigen bis zum Abschluss der Feierlichkeiten, Montag, 07:00 Uhr, in
Gewahrsam.
Blumen für die toten Kameradinnen
Die Rückkehr fällt ihnen immer noch schwer — Überlebende aus ganz Europa
treffen sich in Sachsenhausen und Ravensbrück
(MAZ)SACHSENHAUSEN/RAVENSBRÜCK Seine Häftlingsnummer wird er nicht mehr
vergessen. Jan-Leo Bocian kann sie noch heute auswendig: 82547. “Wir hatten
keine Namen im Lager, nur Nummern”, sagt der 81-jährige Pole aus Bydgosz
(Bromberg). Er gehört zu den rund 450 Überlebenden, die zur Gedenkfeier an
die Befreiung des Lagers vor 60 Jahren nach Oranienburg (Oberhavel) gekommen
sind.
Am Nachmittag haben sich die früheren Häftlinge in der “Station Z”
versammelt, dem neu gestalteten Gedenkort in Sachsenhausen. Er ist auf den
Grundmauern des Krematoriums und der Vernichtungsanlagen errichtet worden.
Rund 200 000 Menschen aus ganz Europa inhaftierten die Nazis in dem Lager.
Etwa 80 000 kamen ums Leben. Am 22. und 23. April 1945 befreiten sowjetische
und polnischen Truppen das Lager.
Viele Überlebende sind in Begleitung von Kindern und Enkeln da. Sie kommen
aus Frankreich, den Niederlanden, Deutschland, Tschechien, Israel, Russland.
Auch tausende Brandenburger strömen zu der Gedenkfeier. Bocian ist schon zum
dritten Mal wieder in Sachsenhausen. Dennoch sagt er: “Es fällt mir immer
noch schwer, hierher zurückzukehren.” Die Erinnerungen sind auch nach
Jahrzehnten unauslöschlich: Die Furcht vor den SS-Leuten, die Angst,
erschossen zu werden, der Hunger auf dem Todesmarsch. Bocian wurde Ende
April 1945 mit anderen Häftlingen von der SS aus dem Lager getrieben. Wenige
Tage später befreiten britische Soldaten den Treck bei Schwerin.
Auch in Fürstenberg (Oberhavel), rund 50 Kilometer nördlich von Oranienburg,
wird an diesem Sonntag einer Lagerbefreiung gedacht. Dort befand sich das KZ
Ravensbrück, das größte Frauenlager auf deutschem Boden. Von 1939 bis 1945
wurden hier rund 130 000 Frauen und Mädchen sowie 20 000 Männer gefangen
gehalten.
Bereits am Morgen versammeln sich hunderte Ex-Gefangene und Gäste auf dem
Schotterplatz, wo früher die Häftlingsbaracken standen. Unter ihnen ist
Nadeshda Lojasch aus der Ukraine. Die 77-Jährige ist zum ersten Mal an den
Ort ihrer Knechtschaft zurückgekehrt. Im Jahr 1942 wurde sie als junges
Mädchen nach Deutschland verschleppt. Fast drei Jahre lang musste sie bei
Ravensbrück in einer Munitionsfabrik schuften. Lojasch besichtigt mit zwei
Lagergenossinnen die Überreste des KZ: den Erschießungsgang und die Stelle,
wo früher das Krematorium stand. Die Frauen haben Blumen mit. “Für unsere
Kameradinnen, die hier umkamen”, sagt Nadeshda Lojasch. Der frühere
sowjetische Offizier Jakow Drapkin erinnert in Ravensbrück in seiner Rede
daran, dass die Lage der Gefangenen aus der Sowjetunion in den deutschen KZ
besonders schlimm war. Drapkin, ein großer, grauhaariger Mann mit einem
weißen Rauschebart, gehörte am 30. April 1945 zu den Befreiern von
Ravensbrück.
In Sachsenhausen findet die französische Ministerin Nelly Olin, auch Worte
darüber, warum die Nazi-Ideologie in den 30er Jahren bei den Massen verfing.
“Eine beispiellose Wirtschaftskrise mit einem Heer von Arbeitslosen” sei ein
Grund gewesen, sagt sie. Ein weiterer: “Die demokratischen Systeme fanden
keine Antworten auf die Probleme der Zeit.” Es klingt wie ein Weckruf für
die Politikerkollegen von heute. Auch Jan-Leo Bocian hat eine mahnende
Botschaft. “Der Faschismus kommt wieder ein bisschen hoch”, sagt er. Zwar
glaube er, dass die Deutschen heute bessere Menschen seien als in der
Nazizeit. “Aber damals ging auch alles ganz schnell”, so Bocian: “In fünf
Jahren haben die Nazis die Leute verrückt gemacht.”