Potzlow: 18-Jähriger bleibt frei
(BM) Neuruppin — Einer der drei verurteilten Peiniger des ermordeten Schülers
Marinus Schöberl bleibt auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft habe ihre
Beschwerde gegen die Aufhebung des Haftbefehls zurückgenommen, sagte gestern
ein Sprecher des Landgerichts Neuruppin.
18-Jähriger bleibt frei
Beschwerde zurückgezogen
(Tagesspiegel) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Beschwerde gegen die Aufhebung des
Haftbefehls für den 18-jährigen Tatbeteiligten zurückgenommen, sagte ein
Sprecher des Landgerichts Neuruppin am Donnerstag. Der wegen
Körperverletzung zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilte 18-Jährige durfte
direkt nach der Urteilsverkündung vergangene Woche nach Hause gehen. Von
seiner Strafe hatte er bereits elf Monate in Untersuchungshaft abgegolten.
Mitten im Dorf
Auf dem Marktplatz in Potzlow wird ein Gedenkstein für den ermordeten Marinus enthüllt
(Tagesspiegel, Claus-Dieter Steyer) Potzlow. Er hat den besten Platz bekommen. Der Gedenkstein für Marinus
Schöberl wird auf dem Marktplatz des Uckermarkstädtchens Potzlow stehen. Er
soll an den 16-jährigen Schüler erinnern, der vergangenes Jahr von anderen
Jugendlichen bestialisch ermordet wurde.
Am Marktplatz muss jeder irgendwann vorbei. Heute Abend wird der Stein aus
hellem Granit enthüllt. Die Kirchengemeinde hat den Mut zu diesem Mahnmal
aufgebracht. “Man kann doch den armen Jungen nicht einfach vergessen”, sagt
ein älterer Mann. “Vielleicht hilft der Stein ja, die Jugend aufzurütteln.”
Das Dorf am Großen Potzlowsee wirkt wie ausgestorben. Ab und zu scheint sich
hinter den Fenstern eine Gardine zu bewegen, manchmal bellt ein Hund. Das
Licht vom Fernseher spiegelt sich in einigen Scheiben. 600 Menschen leben
hier, ein Drittel ist offiziell arbeitslos gemeldet, tatsächlich sollen es
mehr als 50 Prozent sein. In einem Hof füttert eine ältere Frau ihre Hühner.
Misstrauisch nähert sie sich dem Fremden. “Irgendwann muss doch Schluss
damit sein. Die drei Täter haben doch ihre Strafe bekommen”, sagt die Frau
und wirft die Haustür zu. Da irrt sie. Nur die beiden Brüder Marcel und
Marco aus Potzlow sind zu achteinhalb Jahren Jugendhaft beziehungsweise 15
Jahren Haft verurteilt worden. Der dritte Tatbeteiligte, ein 18-Jähriger aus
Templin, wurde zu zwei Jahren Jugendhaft verurteilt. Da er bereits neun
Monate in Untersuchungshaft saß, kam er frei. Die Staatsanwaltschaft hatte
zunächst gegen die milden Urteile Revision eingelegt, ihre Beschwerde aber
zurückgezogen (siehe Kasten). Es scheint, als habe sich in dem Jahr seit
Bekanntwerden der Tat nicht viel verändert im Dorf. Damals hatte sogar der
Bürgermeister von einer “Einzeltat” gesprochen. Die käme in Berlin jeden Tag
vor. Als die antifaschistische Bewegung einen Gedenkmarsch durch Potzlow
ankündigte, gab es einen Aufschrei im Dorf. Der Prozess vor dem Neuruppiner
Landgericht zeigte, dass etliche Potzlower schon lange vor der Entdeckung
der Leiche von der Tat gewusst haben.
Die Tortur des Schülers Marinus Schöberl hatte in einer Wohnung vor mehreren
Zeugen begonnen. Marcel S. prahlte später immer wieder mit der Tat. Niemand
unternahm etwas — vier lange Monate. Für den Gedenkstein sollen auch die
Eltern der beiden Brüder Marcel und Marco S. Geld gegeben haben, erzählt man
im Dorf. Sie selbst sind nicht zu sprechen. Aus ihrem Wohnzimmerfenster
schauen sie direkt auf den Tatort, wo ihre Kinder den 16-Jährigen mit einem
Sprung auf den Kopf töteten. Auch die Eltern von Marinus werden beim Blick
aus dem Fenster an den Mord erinnert. Sie schauen im zehn Kilometer von
Potzlow entfernten Gerswalde direkt auf den Friedhof. Dort erinnert an den
Jungen seit einigen Wochen endlich ein Grabstein, für den die Eltern lange
Zeit kein Geld hatten. Berliner spendeten schließlich das meiste Geld dafür.