Berliner Vorstadt / Innenstadt — „Deutschland abschießen“, steht auf dem Transparent, welches das gesamte verlängerte Wochenende über vor der „Fabrik“ in der Schiffbauergasse hängt. Hier haben sich Jugendliche versammelt, denen die breit angelegten Feiern zum Tag der deutschen Einheit zutiefst suspekt sind. „Null Grund zum Feiern“, heißt das Motto des dreitägigen Kongresses, zu dem drei linke Gruppen aus Brandenburg und Berlin eingeladen haben: Rund 70 vorwiegende junge Teilnehmer kommen.
„Wir sehen, dass sich der Nationalismus in Deutschland in den letzten Jahren wieder verstärkt hat – und das durch solche Veranstaltungen versucht wird, einen Nationalstolz aufzubauen, um damit die gesellschaftlichen Probleme zu deckeln“, sagt Stefan Gerbing. Der Potsdamer ist Sprecher der JungdemokratInnen/Junge Linke Brandenburg und einer der Organisatoren. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die rot-grüne Bundesregierung. Seit sie an der Macht ist, gäbe es eine neue Form des Nationalismus. „Man zeigt, wie toll weltoffen man ist – und ist deshalb sofort stolz auf Deutschland.“ An der Einheitsfeier stört Gerbing besonders, dass das „Wir sind Wir“-Projekt singen darf. „Der Text beginnt damit, wie zerstört alles ist – und verschweigt völlig, wie es dazu kam.“ Ferner werde nur das Positive des Landes gezeigt sowie die „völkische Idee“ einer durch ihr „Blut“ zusammengehörigen Nation aufgegriffen. Deswegen zieht kurz vor dem Aufritt von „Wir sind Wir“ eine rund 50-köpfige Gruppe los – aber ihre Buhrufe verhallen.
Neben solchen „Störaktionen“ finden während des alternativen Kongresses auch Seminare und Vorträge statt. So stellt der Hamburger Publizist Günther Jacob seine Thesen zum antinationalen Nationalismus der deutschen Pop-Szene vor. Er unterstellt dabei, dass deutsche Bands wie „Blumfeld“ dazu missbraucht werden, in Deutschland politisch korrekten Anti-Nationalismus zu zeigen – bei Auftritten im Ausland dafür aber das Stolzsein auf das Land zu kultivieren. „Alle wollen dafür gelobt werden, dass sie sich so um Deutschland bemühen“, so Jacob. So könne Deutschland wieder in die Welt gehen und zeigen, dass man stolz sei auf den Umgang mit dem extremen Nationalismus. Der zum Beispiel für das Musikmagazin „Spex“ tätige Journalist geht bei seiner Analyse auch kurz auf „Wir sind Wir (Ein Deutschlandlied)“ ein: „Es ist eben diese Mischung aus Pop und Nationalismus, die in den vergangenen Jahren wieder salonfähig geworden ist.“ Dann kritisiert er die eigenen Leute: Es sei immer eine Lebenslüge der Linken gewesen, dass Stile wie Pop oder Punk vorrangig linke Musik seien. „Ich denke Kontext gebunden, ein Fußball ist erst im Stadion ein Fußball, vorher ist er einfach ein rundes Etwas.“ So ist es nach Jacobs’ Auffassung auch mit der Musik: Ihre Inhalte werden über die Texte präsentiert – und die könnten eben auch bei Pop oder Punk rechtslastig sein. Die Gäste stimmen ihm nicht gänzlich zu, wollen wissen, warum er vor allem linke Projekte als nationalistisch kritisiert, wenn sie doch explizit gegen Rechte singen. „Weil sie es früher nicht gemacht haben und sich einfach diesen Anti-Nazi-Trichter überstülpen lassen.“ Folgerichtig empfiehlt Günther Jacob: „Instrumentalmusik wäre besser für linke Musik im Ursprungssinne geeignet.“
Solche Ansichten hört bei dem Kongress freilich nur eine kleine Gästeschar. Erst am Montag erhalten die Meinungen der „Null-Bock-Auf-Deutschland“-Jugendlichen ein größeres Publikum. Rund 300 Menschen sind es nach Angaben der Veranstalter, die am Nachmittag vom Luisenplatz über die Charlottenstraße zum Platz der Einheit marschieren. Die Demo ist unter dem Motto „No Love for this Nation“ angemeldet. Vorher werden zwei Personen festgenommen, weil sich schon auf der Zeppelinstraße ein kleiner Zug Demonstranten bildet — insgesamt gibt es drei Festnahmen und laut den Organisatoren eine Leichtverletzte. Zudem dürfen die Veranstalter keine Fahnen verteilen, auf denen der Spruch „Deutschland denken heißt an Auschwitz denken“ steht. „Die Welt darf Deutschland nicht als sauber wahrnehmen, es gibt hier immer noch alten Nationalismus“, schallt es durch einen Lautsprecher aus einem Lieferwagen heraus. Organisator Stefan Gerbing nach der Demo: „Wir sind positiv überrascht, dass so viele Leute denken, dass Deutschland kein Grund zum Feiern ist – auch wenn wir natürlich nicht gegen so ein Riesenfest ankommen.“