(Junge Welt, Andreas Siegmund-Schultze) jW sprach mit Rolf Summer. Er ist Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen (VVN/BdA) Berlin-Pankow e.V.
F: Aus Anlaß des 70. Todestages des anarchokommunistischen Schriftstellers und Revolutionärs Erich Mühsam am 10. Juli veranstalten antifaschistische Gruppen, darunter die Antifaschistische Gruppe Oranienburg (AGO) sowie die VVN/BdA Pankow, mehrere Aktionen. Welche Bedeutung hat Mühsam für Antifas heute?
Wir wollen an Mühsam nicht nur deswegen erinnern, weil er als früher Warner vor den Nazis und unbeugsamer Rebell noch heute ein Beispiel geben kann. Uns interessiert auch das revolutionäre Erbe Mühsams, der sich entschieden gegen Staatlichkeit, Kapitalismus, die deutschen militaristischen und autoritären Traditionen wandte. Er war ferner ein Kritiker von Hierarchien und Dogmen in der antifaschistischen und Arbeiterbewegung. In Oranienburg, wo er vor 70 Jahren im KZ von den Nazis bestialisch gequält und umgebracht wurde, erstarken heute wieder die Nachfolger seiner Mörder. Das verdeutlicht die Notwendigkeit antifaschistischer Gegenwehr. Gleichwohl haben wir an Mühsam manches zu kritisieren, wie beispielsweise seinen Sexismus und seine stellenweise verkürzten Analysen, die ihn zumindest zeitweilig zum Anhänger der reaktionären Theorien eines Silvio Gesell werden ließen.
F: Was für Aktionen sind geplant?
Am Abend des 3. Juli findet im »Krähenfuß« an der Humboldt-Universität Berlin ein Solikonzert mit Swingband, Mühsam-Chanson-Programm und DJs statt. Am 6. Juli organisiert die AGO eine Infoveranstaltung über Anarchismus in Oranienburg. Höhepunkt ist jedoch die Demonstration, mit der wir am 10. Juli um 15 Uhr am S‑Bahnhof Oranienburg auf kämpferische Weise an Mühsam erinnern und auf die starken Neonaziaktivitäten in Oranienburg und Umgebung hinweisen wollen.
F: Wie stark ist die rechte Szene in Oranienburg?
Die auffälligste Gruppierung ist der auch in anderen Teilen Brandenburgs aktive »Märkische Heimatschutz« (MHS) mit dem altbekannten Kader Gordon Reinholz an der Spitze. Dieser Verbund sogenannter Freier Kameradschaften geht im Rahmen seiner »Anti-Antifa«-Arbeit in jüngster Zeit verstärkt gegen Linke vor. Neben dem MHS ist in Oranienburg auch die NPD präsent. Es bestehen weiterhin die üblichen rechten Jugendcliquen und faschistoiden Tendenzen bei einem Teil der Bevölkerung.
F: Wie wird heute in Oranienburg mit Nazivergangenheit umgegangen?
Rechtslastige »Opferverbände des Kommunismus« bemühen sich verstärkt, das Gedenken an die KZ-Opfer mit einer Würdigung der Toten der sowjetischen NKWD-Lager nach 1945 zu vermischen. Wir Antifaschisten haben klarzustellen, daß rund 80 Prozent der Speziallagerinsassen nach 1945 Nazis waren. Ohnehin waren auch die NKWD-Speziallager nur Konsequenz der von den meisten Deutschen mitgetragenen brutalen Angriffskriege Nazideutschlands.
Infos im Internet: www.inforiot.de/muehsam