Jugendprojekt gegen Rechtsextremismus in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen erhält keine
Unterstützung mehr
SACHSENHAUSEN Die Augen öffnen sich. Eine Gruppe Jugendlicher sitzt vor
einem 81 Jahre alten Herrn und hört ihm zu. Der Erzähler ist Adam König,
ein Mann, der die KZs Sachsenhausen, Auschwitz und Bergen-Belsen
überlebte. Er erzählt vom Leben in diesen Lagern, vom Alltag, wie er
sich retten konnte und wie er schließlich von den Alliierten 1945
befreit wurde. Die Jugendlichen sind verblüfft, stellen dem Mann mit der
Brille etwas vorsichtig Fragen. “Wie konnte das alles passieren?”
Adam König spricht im Rahmen des Projektes “Wahrnehmen,
Auseinandersetzen, Akzeptieren” mit Azubis in der KZ-Gedenkstätte
Sachsenhausen. Doch das 205 000 Euro teure Projekt, das bislang zu zwei
Dritteln vom Bundesprogramm Xenos und zu einem Drittel vom
Bildungsministerium gefördert wurde, wird nun nicht weiter unterstützt.
“Wir bekommen keine Gelder mehr”, sagt Projektleiter Uwe Danker. “Wie es
jetzt weitergeht, wissen wir nicht”.
Damit geht ein Projekt zu Ende, das bislang bundesweit einmalig war.
Auszubildende mit unsicherer beruflicher Perspektive (so etwa aus
überbetrieblichen Ausbildungen) waren die Zielgruppe. “Das Programm
richtete sich nicht an rechte Jugendliche”, unterstreicht der 33-jährige
Politologe. Ziel sei es gewesen, diejenigen zu stärken, die schon
demokratische Einstellungen hätten, damit sie später gegen rechte
Ressentiments vorgehen können.
So erledigten die Jugendlichen zum einen praktische Arbeiten auf dem
Gedenkstättengelände. Sie legten Leitungen und verspachtelten Wände im
Haus des früheren KZ-Inspekteurs Theodor Eicke. Das Gebäude soll später
als Internationale Jugendbegegnungsstätte dienen. Zum anderen setzten
sich die Jugendlichen mit der Geschichte des Nationalsozialismus sowie
mit heutigen Formen des Rechtsextremismus auseinander. “Wir versuchten
zunächst über die Arbeitswelt der Azubis an sie ranzukommen, um dann
über heutige Jugendkulturen zum Leben im NS-Staat eine Brücke schlagen
zu können”, sagt Danker. Die Seminare fanden im Hause und auf dem
Gelände Eickes statt. “Die Jugendlichen sollten sich fragen: Wo bin ich
hier, was mache ich hier?”, erklärt der Projektleiter. Theodor Eicke war
der “Erfinder” des KZ-Systems im NS-Staat. Seine Unterkunft wurde von
KZ-Häftlingen erbaut, steht heute unter Denkmalschutz und gehört der
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Es ist ein marodes Haus, das
Jugendliche in den letzten Jahren auf Vordermann brachten.
Das Ende des Projektes ist ein Präzedenzfall für Brandenburg. Denn neue
Sonderprogramme gegen Rechtsextremismus und Rassismus seien derzeit rar,
so Karsten Friedel, Referatsleiter für Jugendförderung- und
Jugendsozialarbeit. Gerade vor dem Hintergrund des erneuten Einzuges der
DVU in den Potsdamer Landtag sei es weiterhin notwendig, regionale
antirassistische Projekte zu unterstützen, so Friedel. “Man muss
allerdings nicht unbedingt zu Sonderprogrammen greifen.” Besser sei es,
das Geld in “allgemeine außerschulische Jugendbildungsarbeit” zu
investieren.
Ingo Grastorf, Diplom-Soziologe und Verfasser einer kürzlich erschienen
Studie zum Thema jugendlicher Rechtsextremismus in Oranienburg,
bemängelt das Aus des Projekts : “Die zivilgesellschaftlichen Pflanzen,
die seit dem Start der Förderprogramme 2000 gewachsen sind, werden jetzt
durch das Streichen wieder abgeschnitten.”
Das Bildungsministerium verweist darauf, dass man jetzt ein ähnliches
Projekt unterstütze. Gestern eröffnete Minister Steffen Reiche (SPD)
öffentlichkeitswirksam eine neue Projektwerkstatt im denkmalgeschützten
Gebäude der ehemaligen “Waffenmeisterei” in der Sachsenhausener
KZ-Gedenkstätte. Für die Einrichtung und die technische Ausstattung der
Werkstatt stellte das Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt,
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit 27 000 Euro zur Verfügung.
Die Schüler können sich in der Projektwerkstatt nach dem Prinzip des
forschenden Lernens mit einzelnen Aspekten der Lagergeschichte
auseinandersetzen.